Algerischer Journalist über Gaspolitik: „Die Pressefreiheit ist in Gefahr“
Algerien hofft auf einen Wirtschaftsaufschwung, sagt Khaled Drareni. Doch nach dem Abflauen der Hirak-Proteste verfolgt die Regierung kritische Presse.
taz: Herr Drareni, seit Russlands Invasion in der Ukraine versucht Algerien, sich mehr als je zuvor als Drehscheibe für Erdgaslieferungen nach Europa zu positionieren. Mehrere europäische Politiker*innen sind seitdem nach Algerien gereist und haben Absichtsverträge oder Abkommen unterzeichnet. Helfen solche Deals, um Algeriens Wirtschaftskrise zu überwinden?
Khaled Drareni: Algerien war schon immer ein wichtiger Partner im Gassektor für Europa, vor allem für Italien und Spanien. Die Zusammenarbeit hat eine lange Tradition, schließlich ist Algerien durch je eine Gaspipeline direkt mit Italien und Spanien verbunden. Zudem gibt es die Trans-Sahara-Gaspipeline, ein über 4.000 Kilometer langes Pipeline-Vorhaben, das Nigerias Erdgasfelder mit Algeriens Verteilernetz verbinden soll. Algeriens Regierung hofft dabei auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die russische Aggression gegen die Ukraine hat Algerien zu einem unumgänglichen Akteur in Hinblick auf die Gasversorgung Europas gemacht. Algerien ist bereit, mehr Gas zu liefern, steht aber trotzdem Russland sehr nahe. Algeriens Präsident Abdelmadjid Tebboune besuchte erst Anfang Juli Russland. Ich habe den Eindruck, dass Algerien versucht, sich in der Mitte zu positionieren, also europäische Länder mit mehr Gas zu versorgen und russische Lieferungen zu ersetzen, während es gleichzeitig die Beziehungen zu Moskau intakt hält.
ist Journalist und Vertreter von Reporter ohne Grenzen in Nordafrika. Er lebt in Algerien. 2019 berichtete er über die algerische Protestbewegung Hirak, die den Sturz von Abdelaziz Bouteflika erzwang. Drareni saß wegen seiner Berichterstattung von 2020 bis 2021 im Gefängnis.
Algeriens Protestbewegung Hirak, zu Deutsch „Bewegung“, die 2019 Präsident Bouteflika gestürzt hat, ist aus der internationalen Presse verschwunden. Sie berichtet auch kaum noch über Einschränkungen von Freiheitsrechten. Der Druck auf Algerien hat sichtbar nachgelassen. Nützt die erhöhte Nachfrage nach Gas Algeriens Regime, da es weniger Kritik an der Menschenrechtslage erwarten muss?
Der Hirak war eine historische Volksbewegung, die die ganze Welt überrascht hat. Vor allem, da es sich um eine zivile und friedliche Bewegung handelte, die mehr als 20 Millionen Menschen mobilisierte. Bouteflika verzichtete angesichts des Drucks durch den Hirak darauf, eine fünfte Amtszeit als Staatsoberhaupt anzutreten, aber dann kam Covid-19. Anfang 2021 organisierte der Hirak nochmals Demonstrationen, doch die Behörden begannen nun, Protestierende festzunehmen. Seither gibt es keine Proteste mehr – aber weiterhin politische Gefangene. Wir von Reporter ohne Grenzen setzen uns für die Freilassung inhaftierter Journalisten ein, unter anderem für Ihsane El-Kadi und Mustafa Benjamaa.
Außergewöhnlich ist der Fall von El-Kadi. Er wurde im Dezember festgenommen und später zu fünf Jahren Haft verurteilt. Warum wurde er derart bestraft?
Ich habe das selbst erlebt, als ich zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Den Familien inhaftierter Journalisten sage ich immer, dass die veranschlagte Haftdauer nur eine Zahl ist, eine Nummer. Wir müssen trotzdem die Hoffnung bewahren. Die Familie El-Kadis und wir haben weiterhin Hoffnung, dass er bald freigelassen wird. Wir machen so lange auf seinen Fall aufmerksam, bis er frei ist.
Seit die von El-Kadi betriebenen News-Websites Maghreb Emergent und Radio M in Algerien gesperrt wurden, scheint es, als sollten sämtliche unabhängige Medien in Algerien mundtot gemacht werden.
Die Lage der Presse in der ganzen Region ist sehr besorgniserregend. In Algerien wurden Zeitungen eingestellt oder aufgrund von Finanzproblemen bestreikt. Andere Journalist*innen haben Probleme mit der Justiz. In Tunesien und Marokko finden wir nahezu identische Probleme. In Marokko sitzen mit Omar Radi, Soulaiman Raissouni und Tawfik Bouachrine drei Journalisten im Gefängnis. Es wird weiter für ihre Freilassung gekämpft. In Tunesien ist die Lage ebenso besorgniserregend. Erst kürzlich wurde der Journalist Khalifa Guesmi zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er seine Quellen nicht offenlegen wollte. Dies ist die höchste Haftstrafe für einen Journalisten in Tunesien seit der Unabhängigkeit 1956. Aber er sitzt nicht im Gefängnis, sondern lebt im Untergrund. Wir erleben gerade, wie alle Errungenschaften der tunesischen Revolution von 2011 wieder demontiert werden.
Im Gegensatz zu Ägypten 2013 und Algerien 2021 findet die Konterrevolution in Tunesien in Trippelschritten statt. Es gibt immer noch Proteste und Medien kritisieren den Präsidenten und die Regierung. Wie steht es um die Pressefreiheit in Tunesien?
In Tunesien wird es schwieriger, den Präsidenten zu kritisieren. Mehrere Radiojournalist*innen wurden vorgeladen und angeklagt, nachdem sie den Staatschef kritisiert hatten. Das Gleiche gilt inzwischen bei Minister*innen: Die beiden Reporter*innen Monia Arfaoui und Mohamed Abu Ghaleb hatten den Minister für religiöse Angelegenheiten wegen Korruptionsverdacht kritisiert und wurden verhört und angeklagt. Die Freiheitsrechte der letzten Jahre scheinen der Vergangenheit anzugehören. Dennoch gibt es weiterhin die starke, mutige und einflussreiche Journalist*innen-Gewerkschaft SNJT, die immer noch zu Demonstrationen aufruft und Journalist*innen verteidigt.
Zurück zu Algerien: Unter Bouteflika gab es klare rote Linien. Worüber darf heute nicht öffentlich gesprochen werden?
Die Rückschritte bei der Pressefreiheit begannen schon unter Bouteflika. Seit seinem Amtsantritt 1999 war klar, dass er der freien Presse nicht freundlich gesinnt war. Dennoch gab es eine gewisse Pressefreiheit. Heute ist das ähnlich, doch der regionale und algerische Kontext ist anders. Die Pressefreiheit ist mehr denn je in Gefahr in Algerien, und es ist die Aufgabe von uns Journalist*innen, die Freiheiten mit allen Mitteln zu verteidigen.
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