Wege aus der Energiekrise: Gas aus Afrikas Wüste

Italiens Milliardendeal mit Algerien krönt eine Serie neuer Geschäfte, um die EU von Russlands Gas zu lösen. Die EU kauft auch in Aserbaidschan ein.

Gasflamme in Wüstenlandschaft

Das Gasfeld Zarzaitine in Amenas, Algerien Foto: Mohamen Kadr/Imagespic/imago

BRÜSSEL/BERLIN taz | Die Kulisse war imposant, die Stimmung feierlich. Vor den grün-weiß-roten Flaggen beider Länder unterzeichneten Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und Algeriens Präsident Abdelmajid Tebboune gleich fünfzehn Abkommen und Absichtserklärungen zur Vertiefung der Zusammenarbeit über das Mittelmeer. Krönender Abschluss von Draghis Staatsbesuch in Algier war am Dienstagabend ein Milliardengeschäft: Algeriens staatliche Öl- und Gasfirma Sonatrach vereinbarte mit den Ölmultis Eni (Italien), Total (Frankreich) und Occidental Petroleum (USA) Investitionen von 4 Milliarden US-Dollar, um in Berkine im Süden Algeriens 46 Öl- und Gasquellen zu modernisieren und 100 neue zu eröffnen und damit „sehr große Mengen Erdgas“ nach Italien zu liefern, wie Tebboune erklärte.

Italiens Algerien-Deal ist das aktuell größte neue Gasgeschäft in Afrika und die bisher umfangreichste Vereinbarung im Rahmen der Politik, Europas Abhängigkeit von russischem Gas zu beenden. „Europa leidet unter heftigem Gasfieber und fröstelt mitten im Juli“, kommentierte am Mittwoch die algerische Zeitung L'Expression. „Algerien erscheint wie Europas Retter.“

Die Zahlen sind einfach. Alle EU-Staaten verbrauchen zusammen jährlich knapp unter 400 Milliarden Kubikmeter Gas. Gut 80 Prozent davon sind importiert. Mit 155 Milliarden Kubikmetern, 55 Milliarden davon durch die Pipeline Nordstream 1, war Russland im Jahr 2021 der größte Lieferant – 43,5 Prozent der Importmenge. Zweiter Lieferant war Norwegen (23,6 Prozent), gefolgt von Algerien (12,6 Prozent).

Wenn diese 155 Milliarden Kubikmeter auch nur teilweise ausfallen, wer kann sie ersetzen? Algerien hat viel Luft nach oben. 32 Milliarden Kubikmeter pro Jahr beträgt die Kapazität der Transmed-Pipeline, die seit 1983 von Algerien über Tunesien durch das Mittelmeer nach Italien führt und nach 2.580 Kilometern nahe Bologna im europäischen Verteilernetz mündet. Nur 22 Milliarden Kubikmeter werden derzeit tatsächlich geliefert. Die Lücke von 10 Mil­liar­den, die bei entsprechender Förderung sofort gefüllt werden könnte, entspricht der doppelten Kapazität des geplanten LNG-Terminals Brunsbüttel.

Soll übererfüllt

Algerien hat dieses Jahr seine Lieferungen über Italien bereits übererfüllt. Jetzt sagte das Land ab sofort vier Milliarden Kubikmeter zusätzlich zu. Bis 2023/24 sollen es nach Eni-Angaben 9 Milliarden Kubikmeter Gas werden, ermöglicht durch den Ausbau der Förderung.

Während Italiens Regierungschef Draghi also in Algier Gas kaufte, empfing Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Staatsoberhaupt der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayed Al Nahyan, und unterschrieb mit ihm am Montag ein Energieabkommen. Details wurden nicht veröffentlicht, aber das Abkommen „erlaubt uns, der dringenden Herausforderung der Energiesicherheit kurzfristig zu begegnen“, erklärte Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le ­Maire. In Presseberichten war von Flüssiggas die Rede.

Ebenfalls am Montag reiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Baku und machte Aserbaidschans Diktator lham Alijew ihre Aufwartung. Aserbaidschan werde wichtig „für unsere Versorgungssicherheit“, sagte die Deutsche und unterschrieb mit Alijew eine Absichtserklärung, um Gasimporte aus Aserbaidschan zu verdoppeln. Aktuell importiert die EU jährlich 8,1 Milliarden Kubikmeter aserbaidschanisches Erdgas. Daraus sollen 2023 12 Milliarden werden und bis zum Jahr 2027 20 Milliarden, sagte die EU-Kommissionspräsidentin: „Die EU wendet sich zuverlässigeren Energielieferanten zu.“

Energiemix

Normalerweise sind für Energieimporte in der EU die Mitgliedstaaten zuständig. Sie entscheiden über den nationalen „Energiemix“ und verhandeln in der Regel auch allein über Pipelines und Lieferungen. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine wurden jedoch immer mehr Kompetenzen auf die Brüsseler EU-Zentrale übertragen. Die Kommission trat selbst in Verhandlungen ein. Neben Fracking-Gas aus den USA ging es zunächst vor allem um Aserbaidschan.

Bereits Anfang Februar reisten EU-Energiekommissarin Kadri Simson und EU-Erweiterungskommissar Oliver Var­hel­yi nach Baku, um über zusätzliche Gaslieferungen zu sprechen. Im Frühjahr legte die Kommission dann Pläne vor, mit deren Hilfe die EU unabhängig von russischen Energien werden sollte.

Das Ziel der Verdoppelung der Lieferungen aus Aserbaidschan wird jedoch erst in mehreren Jahren erreicht; gegen die aktuelle Gaskrise hilft das also nicht. Italiens Deal mit Algerien ist da schon konkreter.

Die EU-Kommission zog am Mittwoch eine positive Bilanz: Im ersten Halbjahr 2022 seien nichtrussische Gasimporte in EU-Länder im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 35 Milliarden Kubikmeter gestiegen – 21 Milliarden als Flüssiggas, 14 Milliarden über Pipelines. Die wichtigsten Zusatzlieferanten: Norwegen, Aserbaidschan, Großbritannien und „Nordafrika“, womit vor allem Algerien gemeint sein dürfte.

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