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Kolorierte Ansicht um 1905 vom „Haus des Gastes“: Damals war es noch ein Sanatorium Foto: privat

Denkmalschutz auf Nordseeinsel AmrumZoff im Urlaubsparadies

In Nebel kämpfen Bewohner für den Erhalt eines alten Sanatoriums. Der Bürgermeister will es abreißen. Über ein Dorf, in dem man nicht mehr miteinander redet.

Esther Geisslinger
Von Esther Geisslinger aus Nebel Auf Amrum

E s riecht nach Kaffee und salzhaltiger Luft, während Ur­lau­be­r*in­nen Eis schleckend an reetgedeckten Häusern vorbeischlendern. Der Weg führt an einer weißen, schmalen Kirche vorbei ans Meer. Die Gemeinde Nebel auf Amrum, ein Ort mit nur rund 900 Einwohner*innen, genießt den Sommer. Doch in der Urlaubsidylle tun sich Gräben auf, der Streit wird dabei offen in den lokalen Medien ausgetragen. „Zoff? Es gibt keinen Zoff“, sagt Cornelius Bendixen, der Bürgermeister und Besitzer des örtlichen Supermarkts. „Der Cornelius redet nicht mehr mit uns“, sagt Lia­ne Kurfürst.

Alles hat mit einer eigentlich harmlosen Frage zum „Haus des Gastes“ begonnen. Das Gebäude steht am Ortsrand, dicht dahinter rauscht das Meer ans Ufer. Der weiße Turm mit dem roten Dach ragt über die Bäume eines kleinen Parks. Über den Türen sind Jugendstil-Ornamente zu erkennen, drinnen finden sich Elemente aus dem Gründungsjahr 1905, als das Haus noch ein Sanatorium war. Dort, wo früher das Essen an die Kurgäste ausgegeben wurde, befindet sich heute die Touristen-Information. „Ich selbst würde das Gebäude gern erhalten“, sagt deren Mitarbeiterin. „Man hat alles versucht, aber leider …“

Das Gebäude ist feucht, schwer zu heizen, nicht zeitgemäß, sagt die Gemeinde. Seit 2011 wird diskutiert, was mit dem Haus passieren soll. Seit 2019 steht fest, dass es ein Neubau wird. Den Architekturwettbewerb 2020 gewann ein Entwurf für einen Flachbau aus Glas und Holz. Aus Sicht der Gemeinde die richtige Wahl: Die Architektur sei „kleinteilig, filigran und zurückhaltend“, dank der Materialien und des begrünten Flachdachs passe sich das Gebäude „gut in das parkähnliche Grundstück ein“, schwärmt Bürgermeister Bendixen.

„Viele im Ort finden diesen Glaskasten schrecklich“, sagt dagegen Liane Kurfürst. Für sie und ihre Mit­strei­te­r*in­nen ist das alte Haus im Park ein besonderer Platz, eine einzigartige Oase unter Bäumen. Auch In­sel­be­su­che­r*in­nen schreiben im Netz Liebeserklärungen an das alte Haus, berichten von ruhigen Nachmittagen im Park, loben das „Kleinod“ als Wahrzeichen des Orts. Der geplante Neubau mit seiner größeren Grundfläche sei dagegen „kalt“, „wuchtig“, „unökologisch“.

Der Bürgermeister hat den Abriss immer mit einem Gutachten begründet. Doch das wurde nie erstellt

Doch offenen Protest gegen die Pläne der Gemeinde gab es in den vergangenen Jahren nie. Denn es schien ja gewichtige Gründe zu geben, berichtet Liane Kurfürst: „Es hieß immer, das Haus des Gastes sei marode, dazu gebe es ein Gutachten. Das haben wir natürlich geglaubt.“ Bis zu dem Moment, als die Kurfürsts einen Baufachmann zu Gast hatten, dem sie vom Haus des Gastes berichteten. Der Besucher war interessiert, er fragte nach dem Gutachten. Das die Gemeinde nicht liefern konnte. Die Kurfürsts und einige andere An­woh­ne­r*in­nen fragten weiter nach, unter anderem bei einer Gemeinderatssitzung im Dezember 2022. Dort bestätigte Cornelius Bendixen, dass es kein Gutachten gebe.

Rechtlich braucht es das auch nicht: Das Gebäude ist im Besitz der Gemeinde und steht nicht unter Denkmalschutz. Aber der Abriss eines ortsprägenden Hauses ohne eine sachliche Grundlage? „Für so einen weitreichenden Beschluss braucht man doch Fakten“, sagt Liane Kurfürst. Die nun fünfköpfige Gruppe gründete die Bürgerinitiative (BI) „Retten wir das Haus des Gastes“, die mit einem Bürgerbegehren den Neubau aufhalten will.

Inzwischen hat die BI auf eigene Kosten zwei Gutachten erstellen lassen. Eines bescheinigt den kulturhistorischen Wert der Villa im Bäderstil, das zweite befasst sich mit dem Zustand. Das Fazit des Bauingenieurs Peter Bartram stimmt die BI-Mitglieder hoffnungsvoll: „Im Gutachten von Professor Bartram steht, das Haus des Gastes habe eine solide Bausubstanz und sei mit normalem Aufwand zu sanieren“, fasst BI-Mitglied Anna Susanne Jahn zusammen.

Natürlich sei vieles zu tun – immerhin hat es seit Jahrzehnten kaum Reparaturen gegeben –, aber schwerwiegende Schäden fand der Experte nicht. So seien zum Beispiel die Risse, die an der Außenmauer zu sehen sind, nur geplatzte Farbe. „Setzrisse im Mauerwerk wären für uns ein K.-o.-Kriterium gewesen“, sagt Manfred Kurfürst, und seine Frau freut sich: „Wir haben eine Chance.“

Oder auch nicht. Denn Bürgermeister Bendixen nennt das Gutachten „eine Farce: Da haben zwei Leute von außen auf das Gebäude geschaut.“ So ganz stimmt das nicht: In dem Gutachten, das der taz vorliegt, sind Innenaufnahmen des Hauses zu sehen, unter anderem vom Keller und aus dem Treppenhaus. Nur wenige Räume konnten die Gutachter nicht besichtigen. Geplant sei gewesen, den Besichtigungstermin gemeinsam mit Bendixen zu machen, der die Schlüssel hat. Doch der Bürgermeister habe kurzfristig abgesagt, berichten die Mitglieder der BI.

Auf das Gutachten und sonstige „teils sehr fragwürdige Veröffentlichungen zum Neubau-Projekt“ antwortete die Gemeinde mit einer mehrseitigen Broschüre, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. Diese solle „helfen, objektive und aufgeklärte Meinungen in der Allgemeinheit zu schaffen“, steht dort. Zwar sei ein Bürgerbegehren ein „demokratisches Mittel“, das sich die Gemeinde aber „aus nachvollziehbaren Gründen deutlich früher gewünscht hätte“. Es stimmt ja: Gemeinderäte befassen sich jahrelang mit einem Thema, es fällt ein Beschluss, es liegt ein Konzept vor. Auf einmal kommt eine Gruppe wohl- oder übelmeinender Bür­ge­r*in­nen um die Ecke und stellt den gesamten Prozess infrage. Das kann nerven.

„Man kann über die Entscheidung der Nebler Gemeindevertetung geteilter Meinung sein“, schreibt Silke Wulfert, SPD-Kommunalpolitikerin einer anderen Inselgemeinde, im lokalen Internetmedium „Amrum-News“. Aber letztlich säßen dort gewählte Ehrenamtliche und „raufen sich die Köpfe, um Entscheidungen zu treffen, nach bestem Wissen und Gewissen“.

Nun muss es endlich mal gut sein – diese Haltung erleben die Mitglieder der BI zurzeit häufig. Sie wissen selbst, dass sie mit ihren Bedenken spät kommen. Aber aus ihrer Sicht entzieht das fehlende Gutachten dem Neubauplan die Grundlage, auch deshalb, weil es nicht nur um das Gebäude geht, sondern auch um den angrenzenden Park mit seinen hundertjährigen Bäumen.

83 sollen für den Neubau gefällen, genau gesagt „42 Nadelbäume und 41 Laubbäume“, das steht in der gemeindlichen „Begründung des Bebauungsplans Nr. 19“. Zum Ausgleich sollen 34 Bäume neu gepflanzt werden. Die Gemeinde spielt die Zahlen hingegen herunter: „Angeblich stünden viele Bäume zu dicht, 37 seien schon abgestorben“, sagt Anna Susanne Jahn. „Woran sind sie auf einmal gestorben, vor Schreck?“

Das Ehepaar Jahn, er Zahnarzt, sie Künstlerin, lebt im Alten Pastorat, einem charmanten Haus in der Ortsmitte. Die Kurfürsts wohnen im Haus eines ehemaligen Walfang-Kapitäns mit einem Garten voll Strandhafer und Blick auf die Nordsee, drinnen sind die alten Türen erhalten und das Fliesenmosaik eines Segelschiffs. Beide Paare leben seit Jahrzehnten auf Amrum, aber unterm Strich sind sie Zugezogene. Macht das was?

Je­de:r kennt jede:n: In dem Dorf Nebel wohnen nur etwa 900 Ein­woh­ne­r:in­nen Foto: Vario Images

„Nein, das spielt auf Amrum keine Rolle“, glaubt Georg Quedens. „Ohne Zugereiste wäre die Insel leer, denn die echten alten kernigen Friesen sind alle nach Amerika ausgewandert.“ Quedens ist eine Instanz auf der Insel, 89 Jahre alt, Autor, Fotograf, Heimatforscher und einer der „echten alten kernigen Friesen“, einige Vorfahren seien nachgewiesenermaßen Strandräuber gewesen. Anders als die Seeräuber lockten sie Schiffe auf Sandbänke, um sie kentern zu lassen und die Besatzung zu berauben. Das war früher eine Amrumer Spezialität. Auch als Journalist hat Quedens gearbeitet und spricht gern mit der Presse. Andere Anfragen liefen hingegen ins Leere.

„Kapitänsprinzip“ werde das genannt, sagt ein Gesprächspartner: So wie auf einem Schiff niemand dem Kapitän widerspreche, widerspreche auch niemand einem Bürgermeister und bringe Streit in die Gemeinde. Was Quedens, den Nachfahren der Strandräuber, nicht stört. Er hat er eine klare Meinung zum Haus des Gastes: „Es geht mir nicht um den Erhalt des alten Sanatoriums, mir geht es darum, dass da ein Neubau geplant ist, der überhaupt nicht in das Friesendorf Nebel passt. Das wird ein Schandwerk, über das die Leute noch in hundert Jahren die Köpfe schütteln werden.“

Wahlkampf ohne Plakate

Doch er sieht nicht nur den Plan der Gemeinde kritisch, sondern auch das Vorgehen der BI: „Vor drei Jahren wäre so ein Vorstoß gut gewesen. Jetzt haben wir den ganzen Schietbüttelkram mit Corona überstanden, und viele Leute wollen, dass wieder Ruhe einkehrt. Sie fragen sich: Wat schall dat denn nu?“ Dennoch wundere ihn, dass der Gemeinderat einstimmig für den Glasbau gestimmt habe, den er als „andalusisches Tomatentreibhaus“ bezeichnet: „Da sind Leute, die selbst in Friesenhäusern wohnen oder im Friesenstil gebaut haben und die nun für dieses Treibhaus stimmen.“

Aber in kleinen Gemeinden funktionieren Dinge anders, für Inseln gilt das doppelt. Zum Beispiel hängen Parteien auf Föhr und Amrum vor Wahlen keine Plakate auf. Was dagegen spricht? In einem launigen Text in der Lokalzeitung Inselbote wird dazu Cornelius Bendixen zitiert: „Plakate tragen auf Amrum als touristischer Ort nicht unbedingt zur Verschönerung der Dörfer bei.“

Klar, so richtig schön sind die Wahlwerbungen selten. Ohne Plakate sind jedoch jene Personen im Vorteil, die im Alltag Kontakt mit vielen Menschen haben. Wie es der Zufall will, sind sowohl in Nebel als auch in der Nachbargemeinde Wittdün die aktuellen Bürgermeister im Hauptberuf Leiter der Edeka-Märkte im Ortskern. Im plakat- und streitlosen Kommunalwahlkampf im Frühjahr spielte das Haus des Gastes kaum eine Rolle, bis auf das Versprechen des Bürgermeister­kandidaten Bendixen, den Neubau voranzutreiben.

Aber um Öffentlichkeit herzustellen, gibt es heutzutage schließlich das Internet. Wer sich für Amrum interessiert, findet eine Facebook-Gruppe mit rund 25.000 Mitgliedern. Dort stellte Liane Kurfürst einen Text ein, mit dem sie für „Rettet das Haus des Gastes“ warb. Die Reaktion war gewaltig, allerdings vor allem von Amrum-Fans von außerhalb: Was, das schöne alte Haus soll weg? Bitte nicht abreißen! Als die Ad­mi­nis­tra­to­r*in­nen baten, keine „politischen Themen“ zu behandeln, wurde es hitzig, von beiden Seiten. Schließlich schlossen die Admins die gesamte Gruppe für mehrere Wochen: „Wir sind nicht die Plattform für eure Streitereien.“

Viele Einheimische haben Angst, für ein Bürgerbegehren zu unterschreiben. Sie wollen keine unangenehmen Diskussionen im Dorf führen

Von beleidigenden Kommentaren distanzierten sich die Mitglieder der BI. Manfred Kurfürst schreibt in einem Forum der „Amrum-News“, die von der Amrum-Touristik herausgegeben werden: „Auch wir fordern eine faire und demokratische Diskussion.“ Aber die Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren reiße Gräben im Ort auf, berichtet er: „Viele fürchten sich, zu unterschreiben, weil sie unangenehme Diskussionen befürchten.“

Also doch Zoff im Ort? „Es gab ein bisschen chao­tische Kommunikation am Anfang“, sagt Bürgermeister Bendixen bei einer Begegnung an einem Samstagmorgen im Supermarkt. Bendixen trägt einen weißen Kittel, hält einen Kasten mit Zucchini in den Händen und betont, er sei in diesem Moment Kaufmann, nicht Bürgermeister. Zeit habe er auch nicht. Es ist schließlich ­Hauptsaison: „Wir haben die heftigste Woche im Jahr.“ In dem kurzen Gespräch spricht er mehrfach von „wir“, wobei nicht klar ist, ob er sich, die Gemeinde oder beides zusammen meint. Zu einem zugesagten Telefonat zu einem späteren Zeitpunkt – „Wir finden einen Termin!“ – kommt es nicht.

„Cornelius Bendixen ist ein honoriger Mensch“, sagt Georg Quedens. „Aber jeder Bürgermeister will gern ein Denkmal hinterlassen – Straßen, Kanalisation oder eben ein Gebäude.“Möglicherweise ist der Neubau des Hauses des Gastes für Bendixen dieses Denkmal. Denn er ist von dem geplanten Glashaus überzeugt. Auch wenn er mit der taz nicht redet, seine Stellungnahmen finden sich unter anderem in den „Amrum-News“.

Der Nachrichten-Blog hat im Lauf der Jahre mehrfach über das Haus des Gastes geschrieben – nur die Gründung der BI war dem Medium anfangs keinen Bericht wert. Erst nachdem ein Team des NDR auf der Insel war und einen Beitrag über die BI und die Zweifel am baulichen Zustand brachte, zogen die „Amrum-News“ nach, schließlich folgte der Inselbote, beide Texte vom selben Autor. Die lokale Zeitung berichtete damit Mitte Juli zum ersten Mal über das Bürgerbegehren, das bereits im März beantragt wurde und seit dem 4. Juli um Unterschriften wirbt.

Der Text schildert den langen Weg bis zum Neubauplan, erinnert an den Architekturwettbewerb und beantwortet auch die Frage nach dem fehlenden Gutachten: Stimmt, so ein „spezielles Gutachten“ gebe es nicht, aber „detailliert ausgearbeitete Sanierungspläne“ und die „Einschätzung der damals/heute involvierten Fachleute und Handwerker, die eindeutig bestätigten, dass eine wirtschaftliche Sanierung nicht möglich ist“.

„Feucht, schwer zu heizen, nicht zeitgemäß“, beschreibt die Gemeinde das Haus Foto: Amrum Touristik

„Wirtschaftliche Sanierung nicht möglich“: Bei solchen Aussagen wird Frank Jermann von der „Interessengemeinschaft zur Rettung historischer Bauten“ mit Sitz in Hessen misstrauisch. Dass alten Bauwerken der Abriss oder die allmähliche Zerstörung durch Verfall droht, ist so traurig wie normal: „Fast täglich erreichen uns Meldungen über bedrohte Monumente“, heißt es bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Die bundesweit tätige Stiftung setzt sich vor allem für solche Gebäude ein, die als denkmalgeschützt eingestuft sind. Frank Jermann und sein ehrenamtliches Team kümmern sich aber auch um Häuser ohne diesen Status. Er begleitet und berät lokale Initiativen, startet Petitionen und sorgt für Öffentlichkeit.

In den laufenden Streit auf Amrum mischt er sich auch mit Leserbriefen und Beiträgen in Foren ein, die „Amrum News“ veröffentlichten seine Stellungnahmen zuletzt nicht mehr. Dabei hat Jermann gute Argumente dafür, dass das Gebäude im Kern solide ist: „Dort wohnen bis heute Saison-Kräfte, es gibt Aktionen für Feriengäste und auch der Gemeinderat tagt dort. So marode kann es nicht sein.“

Doch Jermann weiß auch, wie sich solche Debatten in kleinen Orten hochschaukeln können: „Auf der Insel Juist wurde um Erhalt oder Abriss eines ehemaligen Bahnhofsgebäudes gestritten – und es ging bis zum Mobbing oder zu Drohungen, nach dem Motto: Wenn du für den alten Bahnhof bist, wirst du im Laden nicht mehr bedient.“ Am Ende blieb das Gebäude erhalten, bekam aber einen Anbau, der das Ensemble „extrem verschandelte“, so Jermann. Also nur ein halber Erfolg, aber immerhin ein Kompromiss.

Ob der auch für das Amrumer Haus des Gastes noch möglich ist? Für den ersten Schritt auf dem Weg zu einem Bürgerentscheid müssen in Schleswig-Holstein nur ein Zehntel der Wahlberechtigten unterschreiben, in Nebel liegt die Zahl bei 84. Das sollte machbar sein – aber schafft die Gruppe auch den nächsten Schritt, für den doppelt so viele Stimmen nötig wären?

Ein Problem ist, dass die Bürgerinitiative eine Kostenschätzung für ihr Projekt braucht. Diese Einschätzung erstellt das Amt. Generell sinnvoll, schließlich sitzen dort die Fachleute. Doch in diesem Fall fühlt sich die BI nicht sonderlich gut behandelt: „Eingerechnet wurden Dinge, die gar nicht in unserem Konzept stehen und die wir für überflüssig halten, etwa ein Fahrstuhl zur vierten Etage“, sagt Kurfürst.

10,1 Millionen für den Erhalt der Villa

Auch habe das Amt die Sanierungskosten höher angesetzt, als es das neue Gutachten ergibt. Doch weil es ohnehin schon mehrere Monate dauerte, bis die Zahlen endlich vorlagen, ließ die BI sich darauf ein. So liegt die offizielle Schätzung der Verwaltung nun bei rund 9,3 Millionen für den modernen Neubau und 10,1 Millionen für den Erhalt der Villa. Wie verhärtet die Fronten inzwischen sind, bekommen die Mitglieder der BI immer wieder zu spüren.

So baute Liane Kurfürst bei einem Dorffest im Park einen Info-Stand auf – vor dem Gelände, für den Park selbst bekam sie keine Genehmigung. „Mehrere Hundert Unterschriften haben wir gesammelt und tolle Gespräche geführt“, berichtet Kurfürst. Allerdings nahmen vor allem Tou­ris­t*in­nen ihre Zettel mit, und deren Unterschriften zählen nur für eine offene Petition, nicht für das Bürgerbegehren, an dem sich nur Personen mit erstem Wohnsitz in der Gemeinde beteiligen dürfen. „Die Nebeler haben eher einen Bogen um uns gemacht“, stellt Kurfürst fest.

Zum nächsten Info-Stand kam sogar die Polizei, berichtet Anna Susanne Jahn. Wieder erhielt die BI bei einem Dorffest keine Standgenehmigung in der Nähe. Daher stellten sie sich mit Infomaterial und einer Druckwerkstatt für Kinder an einen Privatweg vor dem Grundstück eines BI-Mitglieds. Nach einiger Zeit erschienen zwei Beamte, begleitet von einem Vertreter der „Amrum Touristik“, so schildert es Jahn. „Es gebe eine Beschwerde. Ob diese Beschwerde wegen Lärms oder wegen Aufmüpfigkeit vorgetragen wurde, wurde uns nicht mitgeteilt.“ Warum ihr „kleiner Stand“ so viel Unmut auslöse, dass gleich die Polizei anrücken müsse, verstehe sie nicht, sagt Jahn.

Auch wenn sie die Geschichte heiter schildert, der Streit um das Haus des Gastes koste Kraft, Zeit und Nerven: „Wir haben die Folgen unterschätzt“, sagt Liane Kurfürst. „Wir sind doch Einwohner der Gemeinde, die hier leben und sich einbringen wollen. Wir wollen nichts Böses, nur die Fakten klären.“

Georg Quedens, der Nachfahre der Strandräuber, hat eine Prognose: „Diese einzige Chance, dass dieses Tomatengewächshaus nicht gebaut wird, sind die steigenden Preise: Der Neubau könnte für die Gemeinde zu teuer sein.“ Dann habe Bürgermeister Bendixen die Chance, sich mit einem „Denkmal aus Luft“ zu verwirklichen. „Denn die gute Luft ist doch das Beste, das wir auf unseren Inseln haben.“

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14 Kommentare

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  • Dass alte Gebäude, denkmalwürdige Gebäude, vom Bürgermeister und der Verwaltung "kaputtkommuniziert" werden, kann ich auch in meiner Stadt immer wieder beobachten.

    Es sind auch hier Gebäude um 1860 bis 1900, Jugendstil, handgedrechselte Balkone par excellence. Die Stadt verkauft an ortsfremde Investoren, die nichts machen, das Gebäude verfallen lassen und kauft wieder zurück. So wird durch zeronnene Zeit der Preis für die Sanierung bis zur Unwirtschaftlichkeit hochgetrieben und der Denkmalwert geschmälert. Gleichzeitig wird das Denkmalamt mundtot gemacht. Die Brache lässt sich dann gewinnbringend für gesichtlose Glas-Beton-Bauten verkaufen.

    Es scheint ein übliches Verfahren von Gemeinen und Städten hier im Süden zu sein, so Vorgaben einer Landesbehörde zu unterlaufen. Die Aufsichtsbehörde (Bezirk) schreitet dabei leider nicht ein.

    Das Gebäude in Norderney mit seiner Turmarchitektur ist emblematisch. Sein Wiederkennungswert ist hoch. Wie ignorant muss man sein, um darin keinen Denkmalwert zu erkennen, wie ignorant muss man sein, so ein Symbolm für eine Landschaft zerstören zu wollen?

    Das verstößt ja beinahe schon gegen den Amtseid.

    • @rakader:

      Korrektur: Ich meine natürlich Amrum. Tippfehler wg. Kaffeeunglück.

  • In Norderney sind sie nach üblen Erfahrungen den gegenteiligen Weg gegangen: Die historische königliche Bäderarchitektur wurde wiederhergestellt, auch wenn einige Verluste nicht mehr zu reparieren sind. Die technisch überholten Flachdachbauten des Bäderbetriebs andere Bausünden der 60er und 70er Jahre hingegen wurden abgerissen. Das Ergebnis ist, dass der anspruchsvolle Qualitätstourismus nun zunimmt, Spitzenrestaurants eingezogen sind, und die grölenden Kegelklubs weniger werden.

    • @hedele:

      Ist auf den Nordseeinseln denn soviel "Marktpotential" für diesen qualitativ hochwertigen Tourismus?



      Klar will niemand die Ballermann-Klientel in seiner Gemeinde haben, aber mit Blick auf die Klimawende - so sie denn ernst gemeint ist - dürfte der "heimische" Urlaub per Zugfahrt oder (lokal) emmissionsfreiem Auto in kommenden Jahrzehnten eher zunehmen, da die klassischen Touri-Bomber im selben Zeitraum eben nicht von Lampenöl auf "den Champagner der Energiewende" umgestellt werden (können), und H2-angetriebene Blechvögel noch nicht einmal auf dem Reißbrett oder CAD-Programm existieren.



      Können wir uns als summa sumarum so einen Gentrifizierungstrend, welcher nur einen wenigen nutzt, beim Urlaub für die Massen in Deutschland leisten?

  • Ich wurde in den frühen 1960ern als 8-Jähriger in besagtes "Kinderkurheim" "verschickt". Essenszwang, während des Mittagsschlaf strengstes Verbot, aufs Klo zu gehen etc. pp. Keine Ahnung, wie viele noch sich da eine Essstörung eingefangen haben. Jetzt zu lesen, dass der Chef ein alter Nazi war, überrascht wenig.

    • @PeterArt:

      Zu Nikolaus gab es Geschenkpakete von den Eltern. Die Geschenkpakete wurden den Kindern vom Personal (ziemlich ruppig) weggenommen und alles wurde verteilt. Hat vielleicht aus nationalsozialistischer Sicht Sinn gemacht, für die Kinder war es aber schlimm nicht wegen der Weihnachtskekse sondern wiel sie Heimweh hatten.

    • @PeterArt:

      Ich war in den 60iger Jahren im Rahmen einer Kinderverschickung auch für sechs Wochen dort - zusammen mit meinem Bruder. Das Photo des Hauses habe ich sofort erkannt.



      Ich habe den Aufenthalt als extrem hart in Erinnerung (vor allem für meinen Bruder). Diese Erinnerungen sind so gruselig wie die Photo des des Hauses.

  • "Fahrstuhl in den vierten Stock" ... ja sicher doch !

    Eine ganz normale Instandsetzung, zweifellos. Überhaupt keene Äppel mit Birnen verglichen, was ? Und überhaupt : Jugendstil ! Was ist schon Jugendstil, wenn man sich doch anstatt dessen eine "andalusische" Begräbnishalle hinstellen kann ? Und an den Bäumen hat man sich sicher satt gesehen ... immer dieses langweilige Grün ! Und die sind ja doch alt, die 80 Bäume ... weg damit, mit dem Grobzeug - und schöne Neue gepflanzt ! Gut, ob die noch groß Chance haben werden, trotz Klimakatastrophe anzuwachsen, geschweige denn alt zu werden - geschenkt.

    Ich meine, daß solchen Ortsbaronen viel mehr auf die Flossen geschaut gehört. Diese Blödheit da ... soll besser Zuccini verkaufen als die Substanz des Ortes.

  • Was hier als Nachteil beschrieben wird, sehe ich als Vorteil der Kommunalpolitik. Man wählt, wen man kennt und wer sich engagiert. Man wählt nicht Leute, die immer alles schlecht reden, aber konstruktiv nie zum Vorschein kommen (ist jetzt nicht auf den konkreten Sachverhalt in Nebel bezogen, wo ich die Leute nicht kenne, sondern auf Kommunalpolitik in überschauberen Städten bzw. Dörfern).

    Leute, die nur reden aber nie anpacken, haben da kaum eine Chance - und wenn sie sie bekommen, sollte das Anpacken los gehen, sonst war es die Einzige.

    • @Dr. McSchreck:

      Das muss aber schon immer und auch über viele Jahre "passen", damit alles auch im Interesse der Gemeinschaft läuft. Das Bonmot über die Macht, die korrumpiert, und sei es "nur" die Moral trifft auch auf solche Leute zu, die sich da gerne an die Spitze wählen lassen.



      Wenn dann noch nicht einmal richtiger Wahlkampf - also z.B. ohne Wahlplakate (@taz - warum eigentlich?) wie beschrieben - gemacht wird, darf man durchaus die eine oder andere Parallele zu autokratischen Ländern wie Russland entdecken.



      Denn je länger solche Menschen in diesen Positionen sitzen, desto mehr glauben sie, es wäre total normal, dass sie "den Laden schmeißen" oder sie hätten gar tatsächlich ein "Anrecht" darauf. Achten Sie das nächste Mal darauf!

      Natürlich gibt es die Stänkerer und Meckerer, welche sich auch gar nicht konstruktiv einbringen (können?) und meistens auch nicht mit anpacken (wollen).



      Aber gerade im ländlichen Deutschland ist die Unsitte schon sehr verbreitet, den Kritiker oder auch nur die Hinweisgeberin per se als "Netzbeschmutzer/-in" zu diffamieren.



      Und überhaupt, Dissens oder gar Streit, das ist ja etwas ganz schlechtes.



      So etwas geht natürlich gar nicht.

      Deshalb Hut ab vor und Daumen hoch für Leute, welche es schaffen, auch die Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Positionen eben auch in die dörfliche Gemeinschaft zu integrieren.



      Denn wahre Demokratie lebt nicht zuletzt auch vom Wettbewerb der Ideen und nicht davon, Menschen mit anderer Meinung mit fragwürdigen Methoden vom gemeinsamen Gestalten ausschließen zu wollen.

  • Es ist das immer gleiche Lied bei solchen Projekten: Ob das alte Gebäude saniert werden kann, was das kostet, ob die Unterhaltung hinterher nicht viel teurer wird als bei dem Neubau, ob das neue Gebäude sich in sein Umfeld einfügt, ob die Bäume, die gefällt und ersetzt werden, nicht auch unter den Sanierungsarbeiten so gelitten hätten, dass sie letztlich abgestorben wären, aber ohne Plan für einen Ersatz mit Bäumen, die auch dem bereits jetzt nicht mehr zu verhindernden Klimawandel noch Jahrhunderte trotzen können? Alles das haben Gemeinderäte in öffentlicher Sitzung jahrelang debattiert.



    Man hätte auch ein Bürgerbeteiligungsverfahren durchführen können, Gutachten in Auftrag geben, in aller Ruhe auch die Bauvorschriften erläutern, die den Fahrstuhl nun einmal richtigerweise vorschreiben (Teilhabe für Mitbürger:innen mit Mobilitätseinschränkungen!): Trotzdem entsteht am Ende eine BI, die alles falsch findet und sich zuvor nie für diese Fragen interessiert hat.



    Wie schön wäre es doch, einmal ein Beispiel zu präsentieren, wo ein zufriedenstellendes Verfahren zu einem Ergebnis geführt hat statt eine Abstimmung, die den Graben nicht schließt, sondern die Wunde offenhält, wenn man will über Jahrzehnte!

    • @Zangler:

      Schöne Beschreibung. Besonders "toll" ist das mal in Köln gelaufen. Da sollte die Oper abgerissen und neu gebaut werden. Die Sanierung wäre viel zu aufwändig und vermutlich auch teurer.

      Auch da bildete sich dann eine Bürgerinitiative, in der zahlreiche Kölner Lokalprominente vertreten waren, die sich anschlossen. Ein Gutachten war schnell erstellt, mit dem wenig überraschenden Ergebnis, dass eine Sanierung durchaus möglich wäre und auch gar nicht unbedingt teuer.

      Also wurde der Ratsbeschluss auf öffentlichen Druck gekippt, die Opfer sollte saniert werden. Damals habe ich noch studiert, glaube ich oder war Referendar. Jetzt läuft die Sanierung noch immer, die Kosten haben sich vervielfacht, ein Ende ist nicht abzusehen.

      Mich würde man interessieren, ob die damaligen Mitglieder der Bürgerinitiative irgendeinen Grund zur Demut sehen....

      • @Dr. McSchreck:

        Nun als Norddeutscher aus der Stadt mit der NDR-Radiophilharmonie (es ist nicht Hamburg) kann ich mir das schmunzeln nicht verkneifen, wenn ich an die Stätten der Hochkultur denken muss. Dass die ursprüngliche Planung der hamburgischen "Elphi" selbst bei einem Neubau um den Faktor 10 (!) überschritten wurde, liegt aber weniger an den Planenden oder der Baufirma, sondern der politischen Einflussnahme bei der gewollt (zu) niedrigen, anfänglichen Kostenschätzung und den diversen Änderungswünschen des Bauherrns während (!) der eigenlichen Bauphase.



        So bleibt es schwacher Trost, dass den weltweiten Rekord nachwievor das Sydney Opera House hält, welches mit 1357% über dem ursprünglichen Budget fertiggestellt wurde.

      • @Dr. McSchreck:

        Das mit der Kölner Oper liegt aber in erster Linie daran, dass irgendwelche Klüngelbrüder die Sanierung der Haustechnik an die Imtech vergaben - obwohl schon damals bekannt war, dass es sich dabei um ein alles andere als seriöses Unternehmen handelt.

        Dann wurde auf Basis der Imtech-Planung weitergebaut, bis sich kurz vor Schluss herausstellte, dass die Imtech-Anlagenplanung genau der Beschiss war, den man von so einem Saftladen erwartet. Also alles rausreißen und noch mal von vorne anfangen.

        Aber das ist Köln. Man kann ja mal von St. Johann Baptist zum Waidmarkt gehen, das dauert nur 10 Minuten, und dann sieht man, was in Köln so als "normal" durchgeht.