Mordprozess in Hamburg: Alle fordern Freispruch für Mutter

Die Angeklagte saß monatelang ohne ihr Baby in Untersuchungshaft. Nun geht auch die Staatsanwaltschaft von ihrer Unschuld aus.

Spielgeräte für Kinder vor dem neuen Hafthaus für weibliche Gefangene auf dem Gelände der JVA Billwerder

Mutter-Kind-Bereich der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Billwerder Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | „Mein Name ist Juan Martínez*, ich bin ein Jahr alt. Am 14. Dezember 2022 ist meine Mutter verschwunden und ich habe die nächsten sieben Monate mit wechselnden Personen verbracht, die ich nicht kannte.“ Mit diesen Worten beginnt die Rechtsanwältin Fenna Busmann ihr Plädoyer. Mit dem nächsten Satz entlastet sie die Zuhörer*innen: „Keine Angst, ich werde das Plädoyer nicht aus Sicht des Sohnes der Angeklagten fortsetzen, sondern aus Sicht der Verteidigung. Sich in den Albtraum hineinzudenken, den Mutter und Sohn erleben mussten, wäre kaum aushaltbar.“

Der Albtraum ist eine Mordanklage gegen Gabriela Martinez* vor dem Hamburger Landgericht. Die Staatsanwaltschaft hatte die 38-jährige Kolumbianerin verdächtigt, den ehemaligen Restaurantbesitzer Ignacio López* aus Habgier mit bloßen Händen in seiner Wohnung ermordet zu haben, als sie im neunten Monat schwanger war. Martínez wurde sieben Monate in Untersuchungshaft festgehalten, während ihr Sohn, der damals ein halbes Jahr alt war, von einer Pflegeeinrichtung in die nächste verfrachtet wurde. Bis zu seinem ersten Geburtstag hatte das Baby bereits vier verschiedenen Betreuungseinrichtungen hinter sich.

Drei Monate lang konnten sich Mutter und Sohn gar nicht sehen, bevor sich die Behörden einigten, wie die Besuche zu organisieren seien. Alle Anträge auf eine gemeinsame Unterbringung in der Mutter-Kind-Abteilung der Haftanstalt hatten Jugendamt und Gefängnisleitung immer wieder abgelehnt.

Die Anklage gegen Gabriela Martínez war im Laufe der Hauptverhandlung immer weiter in sich zusammengesackt. Die Staatsanwaltschaft hatte den Mordverdacht fast ausschließlich auf den Fund der DNA von Martínez am Tatort und an der Leiche gestützt. Nachdem immer deutlicher wurde, dass das nicht reicht, entließ das Gericht Martínez im Juli aus der Untersuchungshaft. Sie bekam ihr Baby zurück.

Auch die Staatsanwaltschaft forderte schon Freispruch

Am Montag forderte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer Freispruch für Martínez. Die Vertreterin der Nebenklage, die eine Hinterbliebene des Ermordeten vertritt, schloss sich an. Am Dienstag folgten die Plädoyers der Verteidigerinnen Katrin Hawickhorst und Fenna Busmann, die bereits zu Prozessbeginn gefordert hatten, ihre Mandantin freizusprechen.

Auch wenn das Urteil erst am Montag fällt, dürfte die Entscheidung des Gerichts zugunsten der Angeklagten feststehen. Dennoch bleiben viele Fragen offen – nicht nur die, wer Ignacio López ermordet hat. Wie konnte es zu einem so gravierenden Irrtum der Ermittlungsbehörden kommen?

Vieles sprach von Beginn an dagegen, dass Martínez den Mord verübt haben könnte. So hatte sie ein Alibi für den Tatzeitpunkt und konnte nachweisen, dass sie fünf Tage vor der Tat in der Wohnung von López gewesen war, um sich als Haushälterin zu bewerben. Auf diesem Weg könnte ihre DNA an den Tatort gekommen sein. Zudem fanden die Er­mitt­le­r*in­nen in der Wohnung des Toten zwei Handys, einen Laptop und 3.000 Euro Bargeld – Habgier als Motiv scheidet damit aus.

Wende nach Gutachten der Verteidigung

Die Wende im Verfahren brachte aber ein Gutachten, das die Verteidigung in Auftrag gegeben hatte. Fo­ren­si­ke­r*in­nen legten darin dar, dass die am Tatort gefundene DNA sehr wohl fünf Tage vor der Tat dorthin gelangt sein könnte. Die Oberstaatsanwältin und die Haftrichterin hatten dieses Szenario mehrfach ohne Begründung ausgeschlossen. „Was wäre geschehen, wenn die Verteidigung nicht auf eigene Faust und eigene Kosten dieses Gutachten in Auftrag gegeben hätte?“, fragte Busmann in ihrem Plädoyer.

Sie kritisierte die Arbeit der Ermittlungsbehörden, die sich zu früh auf ein Szenario verständigt und alle anderen Ermittlungsansätze fallen gelassen hätten. So sei etwa einem Streit nicht nachgegangen worden, den der Ermordete an seinem letzten Abend mit anderen Personen gehabt habe. Eine enge Freundin des Toten, die fast täglich mit ihm in Kontakt gestanden habe, sei nicht vernommen worden.

Zudem habe López vor seinem Ableben mehrfach artikuliert, dass er sich bedroht fühle. Auch diesem Ansatz seien die Er­mitt­le­r:in­nen nicht nachgegangen. Stattdessen habe die Staatsanwaltschaft die Beweislast umgekehrt, kritisierte Busmann: Die Angeklagte musste mit dem Gutachten der Verteidigung ihre Unschuld selbst beweisen. „Das ist mit den Grundsätzen der Justiz nicht vereinbar“, sagte Busmann. * Namen geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.