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Gruppenfeindlichkeit in IndienWo Muslime um ihr Leben fürchten

Indien ist eine Demokratie. Aber an der Spitze und in der Breite auch eine islamophobe Gesellschaft.

Ausgebrannte Geschäfte im indischen Bundesstaat Haryana Anfang August Foto: Altaf Qadri/ap

N eulich hat mich ein ehemaliger Mitbewohner aus Indien wirklich schockiert. Es geschah in Dublin, wo ich derzeit lebe und wohin auch er ausgewandert war, weil er in der IT-Branche etwas werden wollte. „Du hast Pakistanis als Freunde? Dann will ich mit Dir nicht reden!“, war es aus ihm herausgeplatzt. „Ich kann ja Muslime noch ertragen, aber Pakistanis überhaupt nicht!“, setzte er nach. Mir blieb die Spucke weg. Gott sei Dank wohnen wir nicht mehr unter demselben Dach. Aber seine Haltung war typisch für eine Entwicklung, die in Indien immer weiter Fuß fasst: die infame Normalisierung des Hasses auf Muslime.

Ich bin schon mehrfach mit dem Zug von Mumbai nach Jaipur gefahren und habe gern dabei stundenlang aus dem Fenster geschaut. Aber jetzt gibt es erschreckende Videobilder vom 31. Juli: Ein Polizist erschoss im Zug drei muslimische Männer und seinen eigenen Vorgesetzten, einen Hindu. In den Videos, die von verängstigten Fahrgästen gemacht wurden, hört man den Attentäter sagen: „Wenn ihr in Indien leben wollt, müsst ihr eure Stimme Modi geben.“ Er wurde festgenommen und sollte medizinisch auf seine Zurechnungsfähigkeit untersucht werden. Wie sich zeigte, war er Angestellter der Eisenbahn-Sicherheitspolizei, die für den Schutz von Passagieren und Fracht sorgen soll.

Anfang August wurde außerdem eine Welle von Brandstiftungen von Geschäften im Bundesstaat Haryana, nicht weit von Neu-Delhi, verübt. Männer in safrangelber Kleidung, Anhänger der nationalistischen Hindutva-Ideologie, forderten, dass alle muslimischen Beschäftigten ihre Jobs verlieren sollten. Sie drohten: „Wir werden alle Muslime niederstechen!“ Diese Männer hatten nicht einmal Angst, auf Videos identifiziert werden zu können. Oft laufen Polizisten sogar neben ihnen her, ohne einzugreifen.

Die Gewalt hat auch in Gurugram zu Besorgnis geführt. In der Großstadt leben viele gut bezahlte Berufstätige, die in Delhi arbeiten. Nun haben ihre Dienstboten Angst, mit der Bahn zur Arbeit zu kommen. Per Video hat jetzt ein Bürger Gurugrams an die Regierung appelliert, für Sicherheit zu sorgen, damit endlich der Abfall wegkommt.

Apathie

Die schwer zu erklärende Apathie der hinduistischen Mittelschicht zeigt leider auch, wie sehr die Hindus eine Mitverantwortung an der Gewalt in ihrer Mitte tragen. Sie mögen selbst kein Blut an den Händen haben, aber ihr Denken ist rettungslos vergiftet. Ich muss schon lachen, wenn dieselben Mittelschichtsinder sich in anderen Ländern (völlig zu Recht) beklagen, wie rassistisch man mit ihnen umgehe, aber selbst offen antimuslimische Vorurteile weitertragen. In den USA waren viele Inder bei den Black-Lives-Matter-Protesten dabei, aber von einer Kampagne „Muslim Lives Matter“ in ihrer Heimat hat man noch nie etwas gehört.

Manche sorgen sich auch um das Ansehen Indiens auf der Weltbühne, sehen aber nicht die Notwendigkeit, die Bigotterie bei sich selbst und in ihren Familien zu bekämpfen. Wenn Indien den Rest der Welt mit einem stetigen Strom von IT-Fachkräften versorgt, sollten Indiens große Unternehmen einen Moment darüber nachdenken, ob sie weiter eine Regierung hinnehmen wollen, die solche Gewalt zulässt.

Es ist allgemein bekannt, dass Indiens arbeitslose Jugend ihre Zeit damit verbringt, Hass auf Muslime auszuleben. Ihr Treiben hat die schweigende Billigung des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi. Wie kann Deutschland weiter Handelsbeziehungen mit einem Staat pflegen, in dem das „Nie wieder“ zum Hass auf bestimmte Volksgruppen ersetzt wurde durch ein „Immer wieder“?

Aus dem Englischen von Stefan Schaaf

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6 Kommentare

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  • Die Idee Pakistans hat den Subkontinent vergiftet. Die Idee das die Muslime eine eigene Nationalität sind ist absurd, so hat eine ewige Spaltung entlang religiöser Linien geschaffen die sich gegenseitig bestärkt. Indien zieht jetzt nur nach wo Pakistan schon ist. Ein Laizistischer Staat in dem alle Religionen politisch bedeutungslos sind wäre besser gewesen und hätte Millionen Menschenleben gerettet die nicht bei Terror, Kriegen und Völkermorden umgekommen wären. Dafür hätten aber die Briten nicht die Briten sein müssen, die hofften durch divide et Imperia ihre Macht im British Raj erhalten zu können.

    • @Machiavelli:

      „Die Idee Pakistans hat den ganzen Subkontinent vergiftet.“



      So einfach ist es nun auch wieder nicht. Die Unruhen und gegenseitigen Gewaltexzesse rund um die indische Staatsgründung hatten seinerzeit eine derartige Dynamik entfaltet, dass ein anderer Weg als die Teilung Indiens in einen islamischen und einen überwiegend hinduistischen Staat am Ende als alternativlos erschien.



      Während der britischen Kolonialbesatzung waren gerade viele indische Muslime glühende Verfechter der Unabhängigkeit und das kolonialistische Herrschaftsprinzip „Divide et impera“ bezog keineswegs nur die Muslime als Zwischenglied zwischen den britischen Kolonialherren und der indischen Bevölkerung ein, sondern umfasste alle ethnischen und religiösen Gruppen.



      Ein moderner, rein säkularer indischer Staat, wie ihm Nehru vorschwebte, wäre wohl an den gesellschaftlichen Gegebenheiten Indiens gescheitert. So gehört zur Tragödie Indiens sowohl das Scheiterns des Traums von einem säkularen Staat als auch die Vision Gandhis, die indische Demokratie könne sich aus der Vielfalt und Stärke seiner mannigfaltigen kulturellen und religiösen Traditionen speisen.

  • Na ja, Hindus sind für Muslime ja die klassischen "Kuffars", die "Ungläubigen", für die der Koran mehr als 20 Suren vorsieht, was mit ihnen zu geschehen hat.

    Hindus und Muslime sind weitgehend inkompatibel.

    Wie meinte schon der Gründer von Pakistan, Muhammad Ali Jinnah:

    „Any idea of a united India could never have worked and in my judgement it would have led us to terrific disaster. Maybe that view is correct; maybe it is not; that remains to be seen.“

    Und mal im Ernst? Schon mal mitgekriegt wie es Ihnen in Pakistan geht, sollten Sie kein Muslim sein?

    Ich würde mich da niemals reintrauen.

    Vorgestern noch die Meldung:

    www.tagesschau.de/...-pakistan-100.html

    Und die Arbeitslosigkeit in Indien ist tatsächlich ein großes Problem. Zunehmend auch in China.

    Und die Wegdigitalierung von Jobs beginnt grade erst.

    • @shantivanille:

      „Schon mal mitgekriegt wie es Ihnen in Pakistan geht, sollten Sie kein Muslim sein?“



      Und? Rechtfertigt das jetzt die Gewalt gegen Muslime in Indien? Bei mehr als 140 Mio. Muslimen (14% der Gesamtbevölkerung) kämen die Pläne der Hindu-nationalistischen BJP (und noch radikalerer Organisationen) einem Genozid gleich, sollten sie sich politisch auf ganzer Linie durchsetzen.



      Es ist doch offensichtlich, dass die ethnischen und religiösen Minderheiten für Modi und seine Anhänger als Prügelknaben und Sündenböcke für die gerade nicht kleinen innenpolitischen Probleme Indiens herhalten müssen.



      Mit ihren hindu-nationalistischen und faschistischen Doktrinen sind Modi und die Seinen unfähig, den indischen Staat und die Gesellschaft zu erneuern und voranzubringen und zu verhindern, dass das Land in Armut und Gewalt versinkt.



      de.qantara.de/inha...erheiten-eskaliert



      www.deutschlandfun...de/indien-108.html

  • "Wie kann Deutschland weiter Handelsbeziehungen mit einem Staat pflegen (...)"

    Wenn man so konsequent ist, müssten Handelsbeziehungen mit einer Vielzahl an Ländern abgebrochen werden. In Pakistan gibt es derzeit Ausschreitungen gegenüber Christen. Und da lassen sich noch viele andere Länder finden mit ähnlichen Problemen.

    • @gyakusou:

      Gegenüber dem Iran fällt es uns nur wesentlich leichter, einen Abbruch der Handelsbeziehungen zu fordern als im Falle Indiens. Schon klar, letztere ist eine Demokratie, erstere eine totalitäre Theokratie. Obwohl auch Modi und seine hindu-nationalistische Regierungspartei sich konsequent auf solche totalitären Zustände zu bewegen.



      Aber der Islam ist genauso Bestandteil der multiethnischen und -religiösen indischen Gesellschaft wie Hindus, Christen, Sikhs, Jainas und viele andere. Dass der Islam über viele Jahrhunderte der Geschichte und Kultur Indiens wesentlich seine Prägung verlieh (Mogulreich), macht ihn wahrscheinlich zu einem besonderen Objekt des Hasses der Hindu-Nationalisten.



      Selbst Gandhi und Nehru haben damals nicht die Gewaltexzesse im Zusammenhang mit den Ereignissen um die indische Unabhängigkeit verhindern können.