Parlament in Pakistan aufgelöst: Aus für die Nationalversammlung
Pakistan durchlebt eine Krise nach der anderen. Durch die Auflösung des Parlaments tritt auch die Regierung zurück. Davon profitiert der Premier.
Sharif erklärte in einer Sondersitzung: Die vergangenen 16 Monate seien eine immense und noch nicht erlebte Herausforderung gewesen. „Dieses Land kann nicht vorankommen, solange wir keine nationale Einheit haben“, so Sharif.
Das Land hat in jüngster Zeit viele schwere Krisen durchlebt: Verheerende Überschwemmungen, die drohende Zahlungsunfähigkeit, die Zunahme von Terroranschlägen und die Proteste um den immer noch populären Ex-Premier Imran Khan, die in einen eskalierenden politischen Machtkampf mündeten.
Es ist schon der zweite Anlauf in kurzer Zeit, die pakistanische Nationalversammlung aufzulösen: Alvi hatte im April vergangenen Jahres versucht – damals noch auf Anraten des ehemaligen Regierungschefs Imran Khan – das Parlament aufzulösen. Stattdessen wurde daraufhin Khan durch ein Misstrauensvotum gestürzt, sein Konkurrent Sharif konnte sich das hohe Amt sichern.
Volkszählung könnte Neuwahlen verzögern
„Das Zusammenkommen der politischen Kräfte Pakistans für eine nationale Agenda ist ein Zeichen für die Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems“, versicherte der 71-jährige Sharif im Hinblick auf die nun anstehenden Neuwahlen. Vor seinem Abgang als Premier, der mit der Auflösung der Nationalversammlung einhergeht, machte Sharif noch einen Abschiedsbesuch im Hauptquartier der pakistanischen Armee.
In der Bevölkerung regt sich derweil Unmut. Denn kurz vor der Entscheidung über Neuwahlen wurde der politische Rivale Imran Khan zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet. „In Pakistan spielt der Bürger die zweite Geige“, heißt ein meinungsstarker Beitrag in der Tageszeitung The Dawn.
Was nun geschehe, sei ein gefährliches Szenario für ein Land, das sich bereits inmitten einer schweren Wirtschaftskrise befindet. Der Autor Zahid Hussain vermutet hinter dem Vorgehen gegen Khan einen größeren Plan, „die Opposition zum Schweigen zu bringen“.
Die Neuwahlen sind für November angesetzt – doch die Ergebnisse der jüngsten Volkszählung könnten sie erheblich verzögern. Nach Angaben der Regierung ist die Bevölkerung auf 250 Millionen angewachsen. Das entspricht einem Zuwachs von 35 Millionen Menschen in nur sechs Jahren. Daraus ergeben sich etwa neue Wahlkreisgrenzen. Dies wiederum nährt die Befürchtung der Opposition, die Regierung wolle die Amtszeit der Übergangsregierung noch verlängern, um mehr Zeit zu haben, sich politisch für die folgende Wahl zu sortieren.
Keine Regierung Pakistans war je die volle Zeit im Amt
Doch auch die Opposition könnte profitieren: Die Partei PTI des gestürzten Khan habe die Chance, die Wut ihrer Basis über die Inhaftierung ihres Führers und die allgemeine Unzufriedenheit mit der Leistung der Regierung zu nutzen, sagt der politische Beobachter Michael Kugelman. „Sie kann immer noch Wahlerfolge erzielen“ – auch wenn das politische Establishment weiterhin hart gegen die PTI vorgeht.
Beobachter im Nachbarland Indien wie der ehemalige Botschafter des Landes in Islamabad, Ajay Bisaria, beschreiben die jüngste Entwicklung nüchtern als „Pakistan ist wieder Pakistan“. Tatsächlich hat in der Geschichte der Islamischen Republik noch kein Regierungschef eine volle Amtszeit von fünf Jahren absolviert. Shehbaz Sharif war bereits der 23. Premierminister in der 75-jährigen Geschichte Pakistans.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt