Nachruf auf Heide Simonis: Keine Knickse vor Thronen

Im Alter von 80 Jahren ist die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, gestorben. Ein Nachruf.

Die ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) hält auf einem Kulturfest einen Hut mit der Aufschrift "Heide hat's" in den Händen

Im Alter von 80 Jahren ist die ehemalige schleswig-holsteinische SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis gestorben Foto: Stefan Hesse/picture alliance

BERLIN taz | Bis zu ihrem letzten Tag hat er sich nicht gezeigt, weder öffentlich zu seiner Tat bekannt noch ihr persönlich gegenüber offenbar: Der „Heide-Mörder“, die Person, die am 17. März 2005 der Karriere einer der klügsten Politikerinnen der Bundesrepublik ein Ende bereitete.

Heide Simonis, glühende Sozialdemokratin, hatte bis zu diesem Vorfrühlingstag als erste Ministerpräsidentin des Landes amtiert. Bei den Landtagswahlen kurz zuvor musste ihre rot-grüne Regierung herbe Verluste einstecken, was vielleicht auch an der Politik ihrer Landesregierung lag, gewiss aber auch an der politischen Großwetterlage, die Wählerliebesentzüge der SPD Kanzler Schröders inklusive. Simonis fehlte in vier Wahlgängen stets die entscheidende Stimme, die eine Mehrheit markieren. Mit dem Ende des vierten Versuchs gab sie, den Tränen nah, auf. Irgendjemand wollte sie nicht mehr, lieber die dann begründete schwarz-rote Koalition mit dem CDU-Politiker Peter Harry Carstensen an der Spitze.

An den Kieler Landtag gerichtet sagte sie lapidar, ein halbes Jahr weiter, auf dem Weg, den schönen Posten der deutschen Unicef-Repräsentantin zuerkannt zu bekommen: „Sie gehen davon aus, dass es gut gehen wird. Wird schon schiefgehen, und dann geht es in der Tat schief.“ Eine Kränkung? Und eine Geste der Rache? Aber Simonis sagte: „Der Schritt von ‚Dich krieg ich‘ zu ‚Ich hab dich‘, der kommt ja selten vor.“ Sie hat ihn ertragen müssen. Und später: „Man stellt fest, es ist eine normale Partei, wie jede andere auch.“ Jedenfalls: „Wäre ich ausgetreten, würde ich überlegen, wann ich wieder eintrete.“

Finanzpolitik war ihr Metier

Die 1943 in Bonn geborene Frau musste es hinnehmen, zumal ihr Image unter den Umständen des Abschieds vom Amt zu einem desaströsen wurde. Simonis war in vielerlei Hinsicht vielleicht nicht die erste Frau, aber gewiss eine der durchsetzungsfähigsten. 1976 wurde sie, getragen von einem sensationellen Erststimmenergebnis im Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde, in den Bundestag gewählt, als jüngste Abgeordnete. Die promovierte Volkswirtin, die sich früh für Entwicklungspolitik interessierte, die tatsächlich immer schon über lokale Horizonte hinauszublicken wusste, ihrem Mann nach Sambia und Japan folgte, gleichwohl darauf bestand, selbst berufstätig zu werden, war in ihrer Partei früh auch für höhere Aufgaben sichtbar begabt.

Finanzpolitik war ihr Metier, und in der Funktion als Verhandlungsführerin der öffentlichen Arbeitgeber agierte sie oft härter, als von den Parteigranden gewünscht: „Sei nicht so unnachgiebig“, wird als Aufforderung von Gerhard Schröder überliefert, nachdem die Gewerkschaftsforderung von über zehn Prozent von ihr auf knapp über fünf Prozent herab gehandelt worden war. Frau und Sanftheit – das war nicht ihre Kombination, und das womöglich handelte ihr, als sie die Macht verlor, beispiellose misogyne Kampagnen an. Als „Pattex-Heide“ wurde sie verspottet, weil sie nicht vom Amt lassen wollte, als ob nicht Männer in ihrer Position ebenso stur bis zum vergeblichen Halt an Strohhälmchen um ihre Positionen gerungen hätten.

Später sagte sie, viel zu vernünftig: „Wer in der Politik etwas erreichen will, muss davon ausgehen, dass er oder sie kämpfen muss. Da muss man manchmal auch hart sein. Da bleiben auch Leute am Wegesrand stehen.“ ln der Tat wirkte sie gelegentlich mit segensreicher Härte, gegen männliche Konkurrenz in der Regel. Und wusste immer, dass sie eines Tages straucheln würde. Aber einsichtig, dass sie vor allem ihren männlichen Genossen öfters auf die Füße trat, vor allem deren Hoffnungen auf Karriere im Wege stehen konnte, war sie nicht.

Sattelfest sozialdemokratisches Selbstbewusstsein

Simonis war in ihrem Bundesland eine weithin beliebte Politikerin, ein Vorbild, wie die schleswig-holsteinische Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) nun betonte. Eine toughe Frau, die rechnen konnte und dies auch unumwunden betonte, die keine Landesmutter sein wollte und doch diese Rolle einfach mitgab. Die mit sattelfest sozialdemokratischem Selbstbewusstsein früh ihren männlichen Generationsgefährten signalisierte, es ebenso gut, vielleicht sogar besser zu können als sie: eine nichtmännliche Person, die gebeten oder nicht Kontra gab, wenn ihr etwas nicht plausibel schien.

Dass die Grünen in puncto Frauengleichberechtigung weiter waren, Listenplätze quotierten, regte sie an, sich generell über die Ökopartei zu äußern. „Die haben es als kleine Partei leichter. Wenn die Grünen politisch etwas wollen, gehen die in ihre Bürgerinitiativen und holen sich den Schwung von denen. Bei uns Sozialdemokraten muss es bedächtiger sein“, das sähe konservativer, ja, zaghafter und feige aus, „aber wir müssen unsere Mehrheiten in großen Organisationen holen, Gewerkschaften, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, bei den Rentnern und Rentnerinnen, bei den Jugendlichen, die sich nicht in den Umweltorganisationen engagieren. Das sind viele Interessen und viele Perspektiven“, sagte sie, also nicht nur ein Blickwinkel, der bedacht werden muss, ganz Epigonin des politischen Verständnisses Willy Brandts, Helmut Schmidts und Herbert Wehners.

Vielleicht hat sie den Machtverlust in Schleswig-Holstein nie ganz überwunden, wer weiß das schon. Heide Simonis jedenfalls war eines der prominentesten Opfer der Abenddämmerungsatmosphäre der rot-grünen Ära, die bis zum September 2005 währte. Gerhard Schröder musste nach der Bundestagswahl schließlich auch abhalftern, um Lobbyist für Wladimir Putin zu werden.

Die Kielerin wurde tatsächlich Unicef-Botschafterin, machte bei „Let’s Dance“ mit, alles für die gute Sache, wie sie betonte. Eine ausgesprochen politisch denkende Frau, die nie empfinden konnte, dass es Frauen an irgendetwas fehlen könnte, um die Jobs der Männer auch zu können. In ihrem Fall eben Ministerpräsidentin über fast zwölf Jahre. „Frauen kommen nur an die Macht, wenn es einen der Männer aus der Kurve trägt. Und dann muss man an der richtigen Stelle stehen“, sagte sie nüchtern zu den Umständen des politischen Geschäfts.

„Im Übrigen“, um einen gängigen rhetorischen Schnipsel ihres Nichtfreundes Gerhard Schröder zu nehmen, wurde sie vom damals noch amtierenden Kanzler nie nach dem Scheitern in der Provinz ins Kabinett berufen, so wie es anderen zuteilwurde: Der Niedersachse fand sie nervig und zu wenig ehrerbietig, und das ist eventuell das schönste Lob, das ihr erbracht werden kann: Sie machte vor Thronen keine Knickse.

Sie litt seit Langem an der Parkinson-Erkrankung, sie war dennoch bis zur letzten Minute politisch höchst interessiert. Am Mittwoch ist sie kurz nach ihrem 80. Geburtstag in Kiel gestorben. Für den „Heide-Mörder“, der ihr die Stimme im Kieler Landtag damals verweigerte, gilt: In der Hölle ist für jeden Missgünstigen Platz, für ihn besonders.

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