Künstleragentin über Attraktivität: „Schönheit formt sich im Blick“
Als Chefin einer Künstleragentur kennt sich Heike-Melba Fendel bestens aus mit Looks. Ein Gespräch über Schönheit, Makellosigkeit – und Selbstzweifel.
wochentaz: Frau Fendel, wir haben uns zum Gespräch verabredet, denn Sie kennen sich mit Schönheit aus, als Film- und Buchagentin. Also: Sind wir schön?
Heike-Melba Fendel: Es gibt eine Schönheit in unserer Konstellation – sowohl wir einzeln untereinander als auch wir drei, die wir uns in dieser Zusammensetzung zum ersten Mal sehen. Dem wohnt eine Schönheit inne, eine Schönheit auch der Differenz.
Also optisch schön nicht so?
Normschön ist niemand von uns, würde ich sagen. Und dann gibt es, dafür hätte ich jetzt gerne ein deutsches Sprichwort: Beauty is in the eyes of the beholder …
Schönheit liegt im Auge des Betrachters.
Ah ja. Das bedeutet, dass Schönheit etwas ist, das sich im Blick formt. Die In your face-Schönheit ist festgelegt, die kann man nur betrachten, bewundern, beneiden. Produzierte und reproduzierte Schönheit. Und dann gibt es die gelebte und erlebte Schönheit. Diese ist dialogisch, nicht unoptisch, aber sie entwickelt ihre eigenen Kriterien.
Heike-Melba Fendel, geboren 1961, betreibt seit Langem die in Berlin und Köln ansässige Veranstaltungs- und Künstleragentur Barbarella Entertainment. Diese ist bestrebt, Menschen und Unterfangen berühmt zu machen, die es verdienen. Sie schreibt Essays, Kolumnen und Bücher über Frauen, Kino und die Fragen des Lebens. Die 61-Jährige verlässt demnächst ihre zweite Heimat Köln und wird Vollzeitberlinerin.
Das heißt eigentlich, wenn man nicht normschön ist, kann man nur schön im Miteinander sein?
Die individuelle, anders gefüllte und anders gefühlte Schönheit geht nur über Interaktion.
Der Musiker Klaus Lage – der ja selbst nicht unbedingt als male beauty galt, er wirkte eher wie ein Kreuzberger Sozialarbeiter auf Prosecco – sang mal in einem Lied, dass seine Kumpel sich lustig gemacht hätten über seine neue Freundin. Er sang: „Ihr müsst sie nur einmal mit meinen Augen sehen.“ Ist das nicht wahrhaftig?
Es gibt einen ganz tollen Film zu diesem Konzept: „Dogfight“ mit River Phoenix. Dogs, das sind in der Sprache des Films hässliche Frauen. Ein paar Matrosen schließen, bevor sie in den Vietnamkrieg müssen, eine Wette ab: Wer schleppt die hässlichste Frau ab? Das ist der Dogfight. River Phoenix, ein sehr schöner junger Mann, findet ein Mädchen, die von Lili Taylor gespielt wird. Sie ist nicht wirklich hässlich, aber eben nicht klassisch schön. Und der Film erzählt, wie zwischen den beiden eine echte Annäherung stattfindet. Das wird im Kino sehr selten erzählt. Paare kommen eher als gecastete Doppel daher.
In dem französischen Film „Trop Belle Pour Toi“ …
… genau, in dem wiederum ist Gérard Depardieu mit Carole Bouquet verheiratet. Sie wunderschön, er ein etwas prolliger Autohändler. Und er verliebt sich dann in seine Sekretärin, eine korpulente Frau im Angorapulli. Er hat seine schöne Frau nicht ausgehalten. Ich finde das plausibel.
Wegen ihrer Makellosigkeit?
Da sind wir wieder bei dem, was als Schönheitsideal inszeniert wird. Carole Bouquet ist Chanel-Model, also im Olymp der Schönheit schon sehr weit oben. Das nicht aushalten zu können, als Partner oder auch selbst, finde ich originell. Mir hat die Inhaberin einer Modelagentur mal gesagt, dass fast alle Models – und sie hatte viele Topmodels – immer mit einem Mann zusammen sind, der nicht gut aussieht und ihnen den ganzen Tag sagt, wie hässlich sie sind. Diese wunderschönen Models, die den ganzen Tag gesagt bekommen, wie wunderschön sie sind, haben zu Hause einen, der sie runterzieht und unterstellt, dass sie zugenommen haben.
Im Film sind die Frauen ja meistens gar nicht wirklich hässlich. Der Klassiker ist das Mauerblümchen: ungeschminkt und mit Brille, nicht beachtet. Und dann schminkt sie sich, Brille weg, die Frise gerichtet und plötzlich laufen ihr die Typen hinterher.
Im sogenannten Independent-Kino ist es ja schon immer anders gewesen. Wenn die Geschichten anders werden, kann auch die Besetzung anders werden und damit das Aussehen. Das Mainstream-Kino hingegen ist ein eskapistisches Medium, es soll bigger than life sein, pure Projektionsfläche. Dort will man nicht dafür zahlen, Leute wie sich selbst zu sehen.
Und das Geschäft der Influencerinnen?
Das ist anders gelagert. Influencer, insbesondere Frauen, bieten ihren Followern an, sie durch den Kauf ihrer Produkte genauso schön zu machen, wie sie selbst es sind. Sie zeigen ihre Wohnung, ihre Kinder und sagen: Bewundert mich, weil ich schön bin. Um zu verheißen: Alles, was ich habe, könnt ihr auch haben. Die Schönheit im Kino lebt eher von der Unerreichbarkeit, während die Schönheit im Netz durch die käufliche Erreichbarkeit bestimmt wird.
Wir sind eben in Zeiten der technischen Möglichkeiten.
Optisch geht viel mehr Kopie als früher. Ich habe mich immer gefragt: Was bedeutet das für Menschen, die nicht nur Oberfläche sein wollen? Die einfach sagen: Ich bin nicht normschön. Oder: Ich bin zu alt dafür. Oder: Ich bin zu dick. Da gibt es jetzt die Möglichkeit, dies alles als eine andere Form von Schönheit umzudeuten. Dick wird dann zum Beispiel euphemisiert zu curvy. Das mag ja alles sein, aber man weicht damit nicht von dem Denken ab, dass es immer um Schönheit gehen muss.
Manche Menschen stehen aber einfach auf curvy, ohne dass es irgendwie heißt. Die mögen keine Hungerhaken und haben so eine bestimmte Heidi-Klum- oder Timothée-Chalamet-Norm nicht drauf.
Klar, das sind individuelle Vorlieben, und jede Zeit bringt solche Vorlieben hervor. In den 20er Jahren galten schlanke Frauen ohne weibliche Merkmale als schön, während in den 30er und 40er Jahren das klassische feminine Sanduhr-Modell bevorzugt wurde. Doch trotz dieser groben Linien gibt es natürlich individuelle Präferenzen innerhalb dessen, was als typisch für eine Zeit gilt.
Sind das nicht alles Normen der Popkultur?
In der Tat. Wobei es auch ein Leben abseits der Popkultur, der Vorabendserien und Til-Schweiger-Komödien gibt. Schönheit ist tatsächlich auch etwas, das zwei Menschen im intimen Raum miteinander erleben, und nicht allein etwas, das ausgestellt wird. Es geht also um eine Wahrnehmung, die zwischen zwei Subjekten entsteht, wenn sie in Beziehung zueinander treten. So habe ich auch den berühmten Liedtitel „Bei mir bist du schön“ immer verstehen wollen.
Oder andersrum: Vielleicht hat Schönheit gar nicht unbedingt viel mit sexuellem Begehren zu tun, auch wenn das gemeinhin als Goldstandard von Schönheit gilt.
Die allgemeine Norm orientiert sich an dem, was in den Schaufenstern jedweder Art steht, also für alle sichtbar ist. Andy Warhol hat über Marilyn Monroe einmal gesagt, dass ihre Lippen wunderschön waren, aber not kissable wegen all dem Lipgloss. Das ist für den Betrachter reizvoll und schön, aber nicht dasselbe wie das Begehren im intimen Raum zwischen zwei Menschen, wo ein vielleicht sogar animalisches Begehren entstehen kann.
Es gibt doch ein Begehren, das sich aus Macht, Status, Selbstbild und Selbstüberschätzung speist, oder?
Dieses Begehren kann genauso sexuell anregend sein, aber es ist eine Erregung über Bande. Man begehrt etwas, das offiziell als begehrenswert ausgewiesen ist, und wenn man das Objekt der Begierde „bekommt“, erlebt man es als Selbstaufwertung.
Irren wir uns, oder liegt die Existenz der Schönheitsindustrie darin begründet, dass alle irgendwie mit dem hadern, was schön ist oder zu gelten hat?
Ich war gestern in einem Laden, wo die T-Shirt-Marke Vetements hing. Ich kannte die gar nicht. Die T-Shirts kosten 500 Euro, und ich habe gefragt: Warum? Und dann sagte der Verkäufer: Na, weil die von Vetements sind. Dann dachte ich: Das ist genau die Antwort. Du bezahlst die Inszenierung, die dich vergessen lässt, dass das T-Shirt, das 500 Euro kostet, genauso fünf Euro in der Herstellung kostet wie das H&M-Shirt. Und du bist aber bereit, 495 Euro Differenz dafür zu zahlen, dass du besonders kundig verarscht worden bist.
Es gibt im Porno-Geschäft anscheinend eine andere Konsumentenschaft als im Mainstream. Eine sexualwissenschaftliche Arbeit hat herausgefunden, dass sowohl Männer als auch Frauen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Figurationen bevorzugen, die mehr wie Amateurpornografie scheinen als all das gelackte Hochglanzzeug aus Pornostudios. Die Menschen suchen offenbar eine reale Erfahrung, statt nur einem Marketingversprechen zu folgen.
Vielleicht suchen Menschen diese reale Erfahrung als Erlösung von einer gleichwohl vollzogenen Selbstverkaufe. Das gilt in der konkreten Sexualität wie in festeren Formen von Partnerschaft. Ich glaube jedoch, dass es ein Selbstranking gibt: Was oder wen könnte ich kriegen? In welcher Liga spiele ich, welche steht mir zur Verfügung? Und das wird erst einmal optisch ausgerichtet: Manche Paare sind auf dem gleichen Schönheitslevel. Und bei anderen entstehen Überkreuzgeschäfte, wie beim Emissionshandel, man kann etwas ausgleichen. Der Klassiker: Der Mann ist klein und dick, hat keine Haare, bringt aber soziales oder echtes Kapital mit und kauft sich die normschöne Frau. Das sind neurotische Konstellationen – auf beiden Seiten.
Wie erleben Sie dieses Problem bei Ihren Kundinnen, Schauspielerinnen etwa?
Ich habe oft mit Schauspielerinnen zu tun, für die ihre Schönheit auch ein Malus ist. Es gibt diese seltsame Denke, der zufolge Menschen, die nicht dasselbe Problem wie man selbst haben, gar keines haben können. Wer sich also als optisch mangelhaft erlebt, verwechselt Makellosigkeit mit Lebensglück. Dabei kenne ich sehr viele sehr schöne Frauen, die zum Beispiel keine Partner haben oder sehr schwer Partner finden. Ab irgendeinem Punkt wird das eine wechselseitige Projektion, die Rita Hayworth …
… eine Hollywood-Göttin der 40er Jahre, die eine außerordentliche Schönheit in dem Film „Gilda“ verkörperte…
… so beschrieben hat: Die Männer gehen mit Gilda ins Bett und wachen mit Rita auf. Dabei ist der Prozess der Stargeburt ja maximal irrational. Hätte etwa bei „Pretty Woman“ eine andere Frau als Julia Roberts die Hauptrolle gespielt, wäre diese zum Sexsymbol geworden. Das ist eine Lotterie und man kann nicht einfach die Kugeln herausnehmen.
Influencerinnen lassen sich operieren und monetarisieren vor allem ihre Schönheit – anders als zum Beispiel bei jenen Schauspielerinnen, bei denen das Aussehen eine Nebenrolle spielen kann, wenn sie etwa das Charakterfach bedienen. Ist es nicht auch cool, dass Frauen sich künstlich schön machen und auch so finden?
Also dass das eine Form der Selbstermächtigung ist, halte ich für Quatsch. Diese Frauen monetarisieren letztendlich Hausfrauenattribute aus den Fuffzigern: Es geht bei ihnen zuvorderst um Kinder, Küche und Kosmetik. Das unter dem Deckmantel der Selbstbestimmtheit feministisch zu pimpen, beeindruckt mich nicht. Kommen wir weiter, wenn das Primat von Optik und Konvention bleibt?
Das Internet hat diese Fragen geboostert.
Schönheit funktioniert im Internet wie ein Leuchtturm, der immer wieder aufblinkt und alle verlorenen Seelen anzieht. Es ist jedoch nicht die Schönheit selbst, die verführerisch ist, sondern die Geschwindigkeit, mit der sie erkennbar wird. Die 57-jährige Schauspielerin Helena Bonham Carter hat in einem Interview auf Instagram gesagt, dass sie von innen heraus schöner geworden sei, obwohl sie von außen nicht mehr so schön sei wie früher. Aber wir können das nicht sehen, wenn wir Carters Instagram-Posts ohne Ton anschauen und uns nur auf das Bild konzentrieren.
Wir haben fast das Gefühl, dass alles, was länger als eine Sekunde dauert, um als schön empfunden zu werden, sein Recht verliert, als schön zu gelten.
Und dies gilt auch für Geschichten, die sich nicht schnell und einfach in einem Satz erzählen lassen. Das, was ich am Anfang meinte, ist ein Freilegungsprozess, für den im Internet keine Zeit mehr ist.
Je länger der Abend, desto schöner die Männer …
Ja, alter Kneipensatz: Man kann sich jede*n schön trinken. Das bedeutet allerdings nicht, dass die, die als Erste mitgenommen wird, automatisch den besten Sex oder eine Beziehung haben wird. Der Faktor Zeit ermöglicht eine Varianz in der Wahrnehmung und Entstehung von Schönheit. Aber wo immer alternative Schönheitsstandards auf die konventionellen treffen, gibt es einen Erklärungsbedarf. Es ist wichtig zu betonen, dass jemand „ganz lieb“, „ganz klug“ oder auf dem Foto „nur schlecht getroffen“ ist.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Warum steht denn Charles Aznavour mit einem Plattencover bei Ihnen so präsent hier in der Wohnung?
Den finde ich wunderschön. Das Tollste an schönen Menschen ist, wenn sie auch eine gewisse Scham angesichts der eigenen Schönheit haben. Es ist ihnen ein bisschen unangenehm, dass sie so schön sind. Diese Scham haben übrigens auch wirklich Intellektuelle, Leute, die wirklich klug sind. Die ziehen dich nie damit auf, dass du etwas nicht weißt, anders als Leute, die ihre neureiche Bildung ausstellen.
Aznavour, vor wenigen Jahren als sehr alter Mann gestorben, mochte sein Äußeres wie Inneres meist, bekannte er einmal. Er war zufrieden. Gilt das auch für einen hochsexualisierten Schauspieler wie Marlon Brando?
Man sagt ja, dass er so unfassbar zugenommen hat, weil er seiner eigenen Schönheit so leid war. Der hat sich erst beim Boxen die Nase zertrümmern lassen und wurde dann zu einem 180-Kilo-Koloss, als wollte er diesen schönen Körper einfach weghaben. Ich glaube auch, dass er sich, dass er seine eigene Schönheit nicht ausgehalten hat.
Aber Sie halten sich gut aus, nicht wahr, und sind eine schöne Frau, wie wir finden.
Ich habe immer an meinem Aussehen gelitten. Mich hat seit jeher immer etwas Neues an meinem Aussehen gestört. Jetzt ist es das Alter. Ich bin also, trotz besseren Wissens, ein vollkommenes Opfer des Wirkungsfetischismus. Seit ich 10 oder 11 war, wollte ich immer schön sein. Mit 12, 13 wurde ich für einen Jungen gehalten. Erst als ich weit über 20 Jahre alt war, hat mir jemand gesagt, dass ich hübsch sei.
Das klingt wie ein „dennoch“…
… ich bin unsicherer, als ich zugeben möchte, und ich versuche, mir einzureden, dass das egal ist. Aber wenn, wie bei Ihnen, ein unautorisiertes Foto veröffentlicht wird, bekomme ich Panik. Es ist wirklich wahr, und das ärgert mich noch mehr. Ich fand und finde mein Aussehen nie gut genug, ohne dieses Genug beschreiben zu können. Ich wünschte mir, das wäre nicht so, ich wäre nicht so. Aber das kriege ich nicht aus den Kleidern.
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