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Streit zwischen Paus und LindnerBlack box Kindergrundsicherung

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Wie viel Geld ist für die Kindergrundsicherung nötig und wofür? Das Kabinett bleibt Antworten schuldig. So lässt sich Kinderarmut nicht bekämpfen.

Die Familienministerin Lisa Paus: Bis heute gibt es kein finanzielles Konzept gegen Kinderarmut Foto: ipon/imago

J edes fünfte Kind in Deutschland war 2022 armutsgefährdet. Jedes fünfte Kind! Die Zahl muss man erst einmal sacken lassen. Kinder aus armen Familien erleben Scham, sozia­le Isolation und Stigmatisierung, sie treffen auf ein Bildungssystem, das Ungleichheit manifestiert. Wollen wir diesen Zustand als reiche Gesellschaft als gegeben hinnehmen? Und was würden wir es uns andernfalls kosten lassen? Um die Kindergrundsicherung herrscht großes Rätselraten.

2 Milliarden Euro hat Finanzminister Christian Lindner in der Finanzplanung für 2025 dafür vorgesehen. 12 Milliarden möchte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) dafür haben. Immerhin sechsmal so viel. Allerdings sagt Lindner, die 2 Milliarden seien nur ein „Merkposten“. Solange kein klares Konzept vorliege, gebe es auch „keine präzise Kostenschätzung“. Damit trifft er ins Schwarze. Die Familienministerin kann bis heute nicht erklären, wie sich die 12 Milliarden zusammensetzen.

Lindner setzt obendrauf, dass Familien schon jetzt 7 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen, weil Kindergeld und Kinderzuschlag zu Jahresbeginn angehoben wurden. Ob diese 7 Milliarden in den 12 Milliarden miteingerechnet sind oder die 12 Milliarden on top kommen, scheint auch im Fami­lienministerium keiner so genau zu wissen. Dort heißt es nur, es werde noch verhandelt. Die „inhaltlichen Kosten“ könnten „erst ermittelt werden, wenn der Gesetzentwurf vorliegt“ und eine Einigung erzielt wurde. Eine so traurige Ausrede hat kein Kind verdient.

Niemand kann überrascht sein von einem Schuldenbremsen-FDP-Finanzminister, für den die Kindergrund­sicherung keine Investition, sondern nur eine lästige Ausgabe ist. Doch die restlichen Kabinettskollegen machen es ihm mit ihrer Intransparenz unfassbar leicht. Das gilt nicht nur für das Familienministerium. Eine Fachgruppe, für die das Arbeitsministerium federführend zuständig ist, befasst sich mit der Neudefinition des kindlichen Existenzminimums. Aber einen Zeitplan verrät sie nicht. Mit so schlechter Vorbereitung lässt sich Kinderarmut nicht bekämpfen.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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7 Kommentare

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  • Da gestern in den Medien so oft aufkam, das man "nicht wüßte woher das geld kommen soll" für die Kindergrundsicherung.

    Kurze Frage von einer Bekannten, woher kommt gleich das Geld für die Rüstungsindustrie? ;) LoL, und ich dachte ein Finanzminister schafft Optionen dafür Geld bereitzustellen. Bei anderen Ressourcen wie Verteidigung hat er solche Hinterfragungen nichtvorgenommen. Warum nur? Waren die Edelstahlkoffer wieder ausreichend?

  • Ob Das Verkehrsministerium transparent ist, wenn Milliarden für Porsche-Autobahnen bekommt? das bezweifele ich.

  • Ob Das Verkehrsministerium transparent ist, wenn Milliarden für Porsche-Autobahnen bekommt? das bezweifele ich.

  • Warten wir doch erst mal das Ergebnis der Neudefinition des kindlichen Existenzminimums ab, Erhöhen das Kindergeld und den Kinderfreibetrag gegebenfalls und schon ist das Projekt Kindergrundsicherung vollkommen obsolet.

    Neben fehlenden Maßnahmen und der daraus folgenden Finanzierung fehlt vor allem auch eine Begründung, welche Ziele mit den (bisher noch nicht benannten) Maßnahmen erreicht werden sollen.

  • Naja - der Unterschied ist schon gewaltig .!



    Obwohl ... für "Stuttgart21" ist doch mehr verplant, oder ?

    Und dieser Vergleich zeigt wunderbar wie wichtig die Kinder in dieser Gesellschaft genommen werden.

    Sind ja vermutlich auch künftige Bahnkunden ...



    wenn sie es sich leisten können ...

  • Lindner`s platte öffentliche Aussagen sind der schlechten Lobby unserer Kinder geschuldet.

    Hier bietet sich auch nur eine Anstellung als Erzieher oder Ähnlichem an. Das für Herr Lindner aufgrund der schlechten Bezahlung bei gleichem Arbeitsumfang wie eines Ministers somit seine beruflichen Anstrengungen zurück nimmt ist vielleicht verständlich, aber nicht akzeptabel.

    Herr Lindner hat sich anders verhalten, wenn es z.B. um nötige Finanzmittel von Verbrennungsfahrzeugen, oder scheinbare Innovative Technologieoffenheit (H2ready) geht die von Industrielobbyisten in Vorgesprächen und direkten Telefonaten abgestimmt wurden.

    Getreu dem Motto, nach mir die Sintflut. Für erfolgreiche Umsetzung von Industriestrategien werden die Minister nie zur Rechenschaft gezogen.



    Zukünftige lukrative Pöstchen in der Industrie sind gleichfalls gesichert; siehe Schröder und Co.

  • Das Finanzministerium kennt sowohl die Einzelpositionen der 12 Milliarden als auch den Zeitplan. Nicht alle Verhandlungen laufen öffentlich und nicht alles was Herr Lindner erzählt, stimmt auch. Lassen Sie sich überraschen, diese Woche wird noch sehr interessant.