Deutsche Soldaten in Litauen: Trotzdem zuversichtlich in Rukla

In Litauen soll eine deutsche Brigade stationiert werden. Aber wie das mit den Kasernen funktionieren soll, ist nicht das einzig Ungeklärte.

Ein Soldat liegt auf einer Bahre auf dem Boden, mehrere Soldaten um ihn herum, einige tragen Atemschutzmasken, ein Panzer mit Rot-Kreuz-Aufschrift

Deutsche, niederländische und tschechische Soldaten im litauischen Rukla Foto: Georg van der Weyden

Rukla taz | Noch wird fleißig geübt. Mit Gestrüpp getarnt stehen die Nato-Kampfpanzer am Wochenende zwischen Nadelbäumen am Rande einer Heide. Am Montag wurde Verteidigungsminister Boris Pistorius zusammen mit Nato-Chef Jens Stoltenberg im Land erwartet. Einige ohrenbetäubende Schüsse fallen, bevor die schweren Leopard-Panzer sich mit großer Geschwindigkeit aus dem Staub machen. Drei Rehe bleiben verschreckt zurück.

Willkommen in Rukla. Noch ist die Bundeswehr dort in provisorischen Baracken stationiert, um die Ostflanke der Nato zu schützen. Das deutsche Militär hat im Land die Führung der multinationalen Nato-Kampfgruppe Enhanced Forward Presence (EFP) inne. „Wir rotieren unsere Soldaten aktuell noch alle sechs Monaten durch“, sagt Oberstleutnant Lars Neitzel. In seinem Büro hängen die Porträts von Pistorius und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nebeneinander.

Die Situation vor Ort könnte sich in Zukunft verändern. Schon so fällt der Besuch von Pistorius in Litauen ja in eine brisante Zeit unmittelbar nach dem bizarren und letztlich wieder abgebrochenen Marsch der Wagner-Milizen auf Moskau am vergangenen Wochenende und vor dem Nato-Gipfel Anfang Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius.

Dann aber schlug Pistorius unmittelbar nach seiner Landung am Montag mit einer Mitteilung auf, die viele überraschte: Deutschland plane eine Aufstockung seiner dauerhaft vor Ort befindlichen Kräfte bis zur Brigadestärke, also auf 4.000 Soldaten.

Noch viel zu tun

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sollen damit deutsche Soldaten permanent auf ausländischem Territorium verbleiben. Damals hieß das westlich von Litauen gelegene russische Kaliningrad noch Königsberg, Deutschland reichte noch „bis an die Memel“, wie die in Ungnade gefallene Strophe der Hymne vom Nationaldichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben besagt. Dieser lange Fluss im heutigen Litauen war die Nordgrenze des Deutschen Reiches.

Im Jahr 2023 ist nur ein Kontingent von 800 Bundeswehrkräften im Rahmen des Nato-Einsatzes anwesend. „Die Frage der zukünftigen Brigade ist politisch noch nicht gelöst“, sagt Kommandant Lars Neitzel, ein freundlicher Mann im Tarnuniform und mit grünem Barett auf dem Kopf. Er gehört zum Panzergrenadierbataillon 401 aus Hagenow. Neitzel deutet mit seinem Satz darauf hin, dass die genaue Unterbringung, auch der mitziehenden Familien, noch unklar ist.

Neue Gebäude müssen gebaut werden, das ist wohl klar. Die genaue Finanzplanung steht noch in den Sternen, die Substanz der jetzigen Kasernen in Rukla stammt teils noch aus Sowjetzeiten. Und in weniger als fünf Kilometer Distanz liegt eine riesige Chemiefabrik, die ein potenzielles Angriffsziel wäre: „Wenn die in die Luft fliegt, gehen wir alle drauf“, sagt ein anderer Offizier.

Trotzdem strahlen alle Soldaten in Rukla Zuversicht aus. Sie machen das, wofür sie ausgebildet und vorbereitet wurden. Zwischen zwei Übungen macht die Crew von drei Leopard-2-Schlachtrössern eine Mittagspause. Junge Gesichter, Gelächter. Manche tragen alte Feldmützen.

Die Soldaten kommen aus Munster, wo auch ukrainische Soldaten an deutschen Kampfpanzern ausgebildet wurden. „Es ist geil, hier zu üben“, sagt der 21-jährige Ladeschütze ­Joshua. „Das Gelände ist unterschiedlich, die Herausforderungen auch.“ Sorgen wegen der russischen Drohung klingen bei ihm nicht an. „Wir machen hier nur ein bisschen Show für die Chefs der Nato.“

Kein falscher Schuss Richtung Belarus

Tatsächlich ist am Montag auf dem Übungsplatz Paprade, nur fünf Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt, eine Showübung für die Politprominenz geplant. Auch dies ist nicht ohne, schließlich soll Wagner-Boss Prigoschin mittlerweile in dem Nachbarland gelandet sein, welches seit drei Jahrzehnten von Putin-Vasall und Langzeitdiktator Lukaschenko angeführt wird.

Erst neulich hat Putin der Nato damit gedroht, auch außerhalb der Ukraine anzugreifen, wenn zum Beispiel F16-Jets ins Kriegsgebiet gebracht werden sollten. „Es gibt ständig die wildesten Vermutungen“, sagt der 21-jährige Joshua ruhig. „Dass wir hier in Litauen bereitstehen, nützt auch der Ukraine.“

Doch die geografische Lage hat auch ihre Schwächen. Von Kaliningrad bis Belarus sind es über den Weg der berüchtigten Suwalki-Lücke kaum hundert Kilometer, eine Achillesferse: „Bei einem russischen Durchbruch wären wir abgeschnitten. Aber dann würden wir von zwei Seiten angreifen. Vom Norden aus Litauen, vom Süden aus Polen“, so Joshua.

Ob die neuen Spannungen gefährlich sind? „Wir sind gewarnt, können alle Bewegungen hinter der Grenze sehen. Ob sie Truppen zusammenziehen, Waffendepots und medizinische Kapazitäten aufbauen. Wir werden nicht überrascht sein“, sagt Kommandant Neitzel.

Wie ein Orchester

Die Bundeswehr arbeitet in Litauen eng mit den Niederländern zusammen, die stellvertretend das örtliche Kommando innehaben. Zusammengenommen sind in Rukla 1.700 Männer und Frauen stationiert.

Die multinationale, militärische Zusammenarbeit ist laut Oberstleutnant Neitzel wie ein „Orchester“, wo alle perfekt zusammenarbeiten müssen: „Es muss dabei ununterbrochen trainiert werden.“ Aber jetzt soll nicht nur das Training permanent sein, sondern auch die Stationierung.

Die deutsche Anwesenheit wird im Land geschätzt, nicht nur durch Präsident Gitanas Nauseda, Anwohner in Rukla machen oft Daumen-hoch-Zeichen, wenn sie dem ausländischen Militär im örtlichen Supermarkt oder auf der Straße begegnen.

Aber es bleiben auch Zweifel bei den deutschen Soldaten, vor allem bei den Angehörigen in der Heimat. Ein Panzerkommandant, der anonym bleiben möchte, erklärt während einer Pause am Waldrand, dass er „keine Angst vor dem Feind“ hat. „Aber meine Familie denkt da anders. Meine Kinder kennen eben nicht den Unterschied zwischen Litauen und der Ukraine.“

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