Werder-Bremen-Ultras vor Gericht: Mildes Urteil für linke Fans

Wegen Landfriedensbruch verurteilt das Landgericht Bremen zwei Ultras zu Geldstrafen. Sie hatten randaliert. Zwei andere werden freigesprochen.

Saal im Landgericht Bremen, die vier Angeklagten sitzen mit Mappen vor den Gesichtern neben Anwälten

Mindestens zwei von ihnen haben im Bremer Viertel randaliert: Angeklagte im Ultra-Prozess Foto: Sina Schuldt/dpa

BREMEN taz | Am Anfang des Verfahrens gegen vier Bremer Ultras herrschte viel Skepsis: Was wird sich hier noch aufklären lassen, fünfeinhalb Jahre nach der Randale im Steintorviertel? Bei der Urteilsverkündung am Montag sagte die Vorsitzende Richterin Maike Wilkens jedoch, dass diese Skepsis „unangebracht“ gewesen sei. Videos von den Krawallen von Ultras und rechten Hooligans und Zeugenaussagen hatten gereicht, um zwei der vier Angeklagten wegen Landfriedensbruch zu einer Geldstrafe zu verurteilen. Zwei wurden freigesprochen.

Die Polizei hatte nach dem Vorfall eine eigene Ermittlungsgruppe eingesetzt, 39 Wohnungen durchsucht, monatelang ermittelt. „Der Aufwand steht in keinem Verhältnis“, monierte der Anwalt von einem der beiden Freigesprochenen nach der Urteilsverkündung. Dass das Ganze so lange gedauert hat, sei für diesen „überaus belastend“ gewesen. Alle Angeklagten waren zum Zeitpunkt des Vorfalls Anfang 20 und gehörten Ultra-Gruppierungen an, die Gewalt eher ablehnen.

Doch was war im Dezember 2017 geschehen? Nach dem Herrenfußballbundesliga-Spiel Bremen gegen Mainz fand ein Fanmarsch mit rund 130 Ultras statt; vom Weserstadion ins Steintorviertel. Kurz vor Ankunft am Sielwall, knapp 20 Gehminuten vom Stadion entfernt, machte die Gruppe vor der Kneipe „Die Schänke“ halt. Der Grund: Sie hatten darin und davor 30 bis 40 Hooligans entdeckt.

Bereits im Stadion hatten die Ultras bemerkt, dass die Hooligans „in ungewöhnlicher Größenordnung“ da waren, sagte Wilkens. In den Augen der Fans eine Provokation; „Nazis raus“-Rufe folgten. Die Fans seien davon ausgegangen, dass die Polizei die Hooligans nach dem Spiel begleitet – das passierte jedoch nicht. Dafür gab es bereits direkt nach der Randale heftig Kritik, auch weil die Polizei insgesamt mit zu wenig Personal dabei gewesen sein soll – wo doch während des Spiels bereits klar war, dass rechte Hooligans im Stadion waren.

Es fliegen Flaschen, Möbel und Straßenpoller

Statt getrennt voneinander durch die Stadt dirigiert zu werden, traf man sich vor der Kneipe wieder. Eine direkte Verabredung der Gruppen habe es wahrscheinlich nicht gegeben, sagte die Richterin. Allerdings saßen die Hooligans wohl nicht zufällig an der traditionellen Route der Werder-Fans.

Die Krawalle begannen mit dem Wurf einer Holzbank – durch eine Person vor der Kneipe, in Richtung der Ultras. Teile des Fanmarsches liefen auf die Kneipe zu, die Hooligans kamen raus. In der Folge flogen Flaschen, Straßenpoller, Stühle, Tische und ein Heizpilz. Einige Menschen wurden verletzt. Die Gruppen randalierten sich in Richtung Sielwall-Kreuzung. Während Teile des Fanmarsches abseits standen und „kommt zurück“ riefen, waren die zwei Verurteilten in den ersten Reihen zu finden, versuchten die anderen wohl, durch Gesten noch zu motivieren.

Das Gericht ist sich sicher, erklärte Wilkens, die beiden auf den vorliegenden Videos zu erkennen – anhand ihrer Kleidung. Diese konnte mit der Kleidung der Angeklagten beim Marsch der Ultras vor dem Spiel verglichen werden – dort waren alle vier dabei, davon gibt es ebenfalls Aufnahmen.

Der Anwälte der Ultras hatten im Laufe des Prozesses gesagt, dass eine Identifizierung anhand der Kleidung gar nicht möglich sei – das sah die Richterin anders, solange die Kleidung individuell genug sei. Bei einem der Angeklagten war es eine grauschwarze Jacke, ein farblich abgesetztes Herstellerlogo, die Passform der Jeans, weiße Schuhe. Die Kleidung, die er auch auf den Marsch der Fans vor dem Spiel getragen hatte. Zudem hat er in einer Chatgruppe geteilt, dass er „mit in der ersten Reihe“ gestanden habe. „Es fühlt sich kacke an, wenn du fest entschlossen bist und keine Unterstützung kommt“, zitierte die Richterin ihn.

Eine schwarz-olivgrüne Jacke, eine dunkle Jeans mit Auswaschungen und schwarze Schuhe mit weißer Sohle verrieten den zweiten verurteilten Ultra. Die Kleidung der zwei anderen war wohl zu unspezifisch, das Gericht konnte nicht einmal sagen, ob sie beim Fanmarsch dabei waren.

„Revierkampf“ statt „bürgerkriegsähnliche Zustände“

Die Staatsanwaltschaft hat in der Szenerie „bürgerkriegsähnliche Zustände“ gesehen und sogar in einem besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs angeklagt – Wilkens beschreibt den Vorfall lieber als „auf offener Straße ausgetragener Revierkampf“. Mehrere Zeu­g*in­nen hätten ausgesagt, sich aus Angst versteckt zu haben. Die öffentliche Sicherheit war gefährdet, der Straßenverkehr stand still. Und die beiden Verurteilten sollen das Ganze angestachelt haben.

Ob das einen Effekt hatte oder nicht, ob sie selbst Menschen verletzt haben, ist für den Tatbestand des Landfriedensbruchs irrelevant. Ebenso, dass das Ziel des Angriffs Rechtsradikale waren: „Auch Personen, die sich auf der moralisch richtigen Seite sehen, haben kein Recht, ihre Anschauung mit Gewalt durchzusetzen“, sagte Wilkens. Laut Strafgesetzbuch macht sich schuldig, „wer sich an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen, die aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt“.

Die zwei Angeklagten wurden zu 70 und 90 Tagessätzen von 60 Euro verurteilt. 60 davon seien jeweils schon abgegolten, verkündete die Richterin, weil sich die Ermittlungen und der Prozess so lange hinzogen.

Rund um den Vorfall wird es noch drei weitere Verfahren geben: zwei davon gegen Anstachler und Angreifer in den Reihen der rechten Hooligans, einen gegen die eigentlichen Schläger aus der Gruppe der Ultras.

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