: SPD und CDU: die Unterschiede
Die Regierung vor der Wahl: Während auf der praktischen Ebene nicht allzu viel passiert, ist auf der Metaebene einiges in Bewegung
VON HANNES KOCH
Es gibt zwei Lesarten: Die rot-grüne Bundesregierung kann nichts anderes machen als ihre gegenwärtige Politik. Oder zweitens: Die Regierung will nichts anderes tun.
Der ersten Variante entsprechend argumentierte Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern bei der SPD-Konferenz „Soziale Marktwirtschaft“. Seine Botschaft: Der Kapitalismus habe gesiegt – „wir müssen die soziale Marktwirtschaft an die völlig veränderten Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft anpassen“. Unter fortgesetztem Lob der sozialdemokratischen Marktwirtschaft à la Schröder erklärte der Kanzler vor allem eines: Der vermeintliche Gestaltungsraum der real existierenden Politik geht kaum über das hinaus, was Rot-Grün schon gemacht hat. Zusätzlich kann man allenfalls noch ein paar kleine Schräubchen bewegen – aber nur selten in die andere Richtung.
Die Konferenz war anberaumt worden, als SPD-Chef Franz Müntefering mit seiner Kritik an internationalen Kapitalinvestoren („Heuschrecken“) versuchte, die NRW-Wahl für seine Partei zum Positiven zu wenden. Nach dem Scheitern dieses Projekts hatten vor allem SPD-Linke gehofft, die gestrige Tagung könne der Ausgangspunkt dafür sein, dem Wahlprogramm für die Bundestagswahl am 18. September einen sozialeren Touch zu geben.
Ansätze dafür muss man in den Reden von Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering mit der Lupe suchen. Einige neue Aussagen hat der Kanzler nur zu den Hedgefonds getroffen, die in der aktuellen Debatte als die bösen Kapitalisten schlechthin bezeichnet werden. Wie das Finanzministerium ihm aufschrieb, will Schröder neue Meldepflichten einführen, damit Aktionäre über die Beteiligung eines Fonds an ihrem Unternehmen besser informiert sind. Außerdem wird die Regierung „prüfen“, ob bestimmte risikoreiche Geschäftspraktiken der Fonds ebenfalls bei einer Bundesbehörde gemeldet werden müssen.
Damit ist aber schon Ende der Durchsage. Die geringe Abweichung gegenüber dem, was sowieso Regierungspolitik ist, erscheint umso erstaunlicher, als die SPD ja kaum mehr in die Lage kommen wird, ihre Versprechungen selbst umsetzen zu müssen. Der enge Handlungsspielraum, den die SPD-Spitze sich selbst genehmigt, deutet darauf hin, dass in Wirklichkeit eher Lesart Nummer zwei zutrifft: Die Regierung findet ihr gegenwärtiges Programm völlig richtig – inklusive Agenda 2010, wie auch Müntefering gestern noch einmal klarstellte. Daher bleiben weitergehende Regulierungsversuche der Politik gegenüber der Wirtschaft zaghaft und sind nicht dazu angetan, die Verhältnisse zurechtzurücken.
Während auf der praktischen Ebene nicht viel passiert, ist auf der Metaebene einiges in Bewegung geraten. Jenseits des bloßen Managements ökonomischer Prozesse beschwor Schröder den „sozialen Sinnzusammenhang“. Ohne einen klaren Begriff davon, was Gerechtigkeit bedeute, sei die marktwirtschaftliche Gesellschaft zum Scheitern verurteilt. Ein „starker Staat“ müsse dafür sorgen, dass die „starken“ Bürger und Unternehmen ihren Wohlstand mit der Bevölkerung teilen. Während Müntefering „Wohlstand für alle“ als Ziel nannte, sprach Schröder von der sozialen und demokratischen „Freiheit der vielen“, die er als Kern der sozialen Marktwirtschaft bezeichnete. Ob „viele“ weniger meint als „alle“ und ob Schröder damit den Ausschluss einiger Millionen Menschen aus der Wohlstandsgesellschaft angedeutet haben mag, dürfte Gegenstand künftiger Interpretationen werden.
Während bei den praktischen Politikkonzepten vorerst das meiste beim Alten bleibt, hat sich der öffentliche Diskurs der sozialdemokratischen Elite merklich verschoben. Rhetorisch legten am Wochenende mehrere SPD-Spitzenpolitiker eine größere Distanz zwischen sich und die Wirtschaft als in all den Jahren zuvor. So ermahnten Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und Finanzminister Hans Eichel die Unternehmen, ihre Beschäftigten an den Gewinnen in Form von Lohnerhöhungen teilhaben zu lassen – eine Anregung, die früher nicht über ihre Lippen kam. Ein wichtiger Effekt des Kongresses „Soziale Marktwirtschaft“ liegt denn auch darin, dass der Raum für Diskurse größer wird. Margaret Thatchers TINA-Denken („There Is No Alternative“) gilt nun auch bei den Sozialdemokraten nicht mehr.
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