piwik no script img

Neue Gewalt im KosovoDie falschen Lehren gezogen

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Im Südbalkan flammt wieder Gewalt auf. Auch weil westliche Diplomaten geschichtsvergessen agieren.

Ein Soldat der KFOR am 30. Mai in Zvecan Foto: Dejan Simicevic/ap

A ls vor 24 Jahren der Kosovokrieg mit dem Einmarsch von Nato-Truppen und der Etablierung eines UN-Protektorats endete, schien eine dramatische Abfolge von Ereignissen in Europa ihr Ende gefunden zu haben. Der Krieg war vorbei, ein dauerhafter Frieden sollte geschaffen werden. Doch immer noch sind wir weit entfernt von einem stabilen Frieden in der Region.

Das liegt vielleicht auch daran, dass die Lehren des Kosovokriegs der heutigen Politiker-, Diplomaten- und Journalistengeneration nicht mehr so tief bewusst sind und deshalb politische Entscheidungen getroffen werden, die keine Konsequenzen aus dieser Geschichte mehr ziehen – und damit neue Konflikte schaffen.

Damals gab es harte politische Auseinandersetzungen um den richtigen politischen Weg. Als in Deutschland die rot-grüne Koalition von Gerhard Schröder und Joschka Fischer das Wagnis einging, an einer militärischen „Intervention für die Menschenrechte“ teilzunehmen, war dies höchst riskant. Sollte man 2 Millionen Kosovaren der Willkür serbischer Soldaten aussetzen, die in Srebrenica 1995 bewiesen hatten, wie brutal sie sind? Und sollte man an einem Völkerrecht festhalten, das die Unverletzlichkeit der Grenzen garantiert, und gleichzeitig zögern, gegen einen Kriegsverbrecher wie Slobodan Milošević vorzugehen?

Nicht zuletzt aus dieser kontroversen, aber auch produktiven Debatte und der damit verbundenen Aufarbeitung der eigenen Geschichte verdankt Deutschland die Etablierung einer Demokratie, die außenpolitisch die Verteidigung von Menschenrechen wahrnehmen möchte und dies auch im Falle der Ukraine tut.

Buhlen um Zuneigung

In dem aktuellen Konflikt im Kosovo und auch in Bosnien erleben wir aber, wie oberflächlich die Debatte in Bezug auf den Balkan geworden ist, wie wenig Kritik jene Diplomaten und Politiker ernten, die wieder an den Stellschrauben des Balkans drehen, ohne Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Dass die Strategie, nationalistische und autokratische Systeme durch eine Appeasement-Politik zu zügeln, falsch ist, erkennen sie nicht.

Amerikanische und europäische Diplomaten buhlen dagegen um die Zuneigung des heutigen serbischen Präsidenten und ehemaligen Propagandachefs des Milošević-Regimes, Aleksandar Vučić. Sie wollen ihn aus der Koalition mit Wladimir Putin lösen; man gibt sich der Illusion hin, mit politischen und finanziellen Zugeständnissen dessen Kurs zu ändern. Vučić wird jedoch seine Meinung nicht ändern, weil ein paar geschichtsvergessene westliche Diplomaten daherkommen und ihm schmeicheln. Da fällt es doch schon leichter, Druck auf die nichtnationalistische Regierung in Prishtina, die ernsthaft eine friedliche Zukunft anstrebt, auszuüben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Warum wird die Unabhängigkeit des Kosovo als etwas ganz normales dargestellt? Das ist einfach zynisch. Der Konflikt, und es tut mir leid für all die schlimmen Dingen, die passiert sind, hätte auch anders gelöst werden können als durch das gewaltsame, von der Nato unterstützte Entreißen eines Teiles seines Territoriums von Serbien. Er ist auch nicht geelöst worden. Die Unterstützung der Abspaltung hat ganz klar ganz wenig zu tun mit dem was zuvor passiert ist und viel mehr mit geopolitischen Interessen der mächtigsten westlichen Staaten. Klar, jetzt kann man dort problemlos Nato-Basen installieren und tun und lassen was man möchte. Wie wenig die Abspaltung zu tun hat mit dem was während des Konflikts passiert ist, zeugt auch die Tatsache, dass die homogen serbischen Teile im Norden zwanghaft und um jeden Preis als Teil des sog. neuen Staates behalten werden. Auch in Bosnien sind schlimme Dinge passiert. Doch dort ort hat man offiziell nichts von nichts abgespalten oder Mini-Staaten kreiert. Auch das gründet in Interssen der Anderen. Und dann die ganze Box der Pandora, wenn es um die materiellen kulturellen Zeugnisse geht, wie sakrale und profane Architektur, die eindeutig serbischen Uraprungs sind. Ihre kulturelle Zugehörigkeit und Geschichte soll jetzt verfälscht werden, im Übrigen voll im Gange, oder was? Dient es auch zum Schutz der Albaner vor Serben?

  • Hola.

    “ Nicht zuletzt aus dieser kontroversen, aber auch produktiven Debatte und der damit verbundenen Aufarbeitung der eigenen Geschichte verdankt Deutschland die Etablierung einer Demokratie, die außenpolitisch die Verteidigung von Menschenrechen wahrnehmen möchte und dies auch im Falle der Ukraine tut.



    Buhlen um Zuneigung



    In dem aktuellen Konflikt im Kosovo und auch in Bosnien erleben wir aber, wie oberflächlich die Debatte in Bezug auf den Balkan geworden ist, wie wenig Kritik jene Diplomaten und Politiker ernten, die wieder an den Stellschrauben des Balkans drehen, ohne Lehren aus der Geschichte zu ziehen.“

    Das nenn ich angesichts einer auf öffentlichen Lügen - Stichwort zB Hufeisenplan - basierenden Teilnahme an einem verfassungs&völkerrechtswidrig Kosovo-Krieg - Ihnen ein “produktive(n) Debatte“ - unfaßbar einen eleganten grundrechtswidrigen Doppelten Salcho mit lockerer Schraube - im Paarlauf mit le petit cheflereporter Peter Unfried.



    Plus direktemang zum Ukraine-Krieg! Woll.

    Na Mahlzeit

    kurz - Si. Das kommt halt dabei heraus!



    “Vergrabt mein 🧠 am Wounded Knee!“

  • Was wäre die Alternative zu Vucic? Ich glaube , die Opposition ist zerstritten. Serbien hatte einen guten Ministerpräsidenten, Zoran Đinđić. Den haben sie erschossen. Der ganze Rest war schlecht bis sehr schlecht.

  • Den serbisch bewohnter Teil des Kosovos hätten man eben nicht mit in die Unabhängigkeit entlassen sollen.

    • @meerwind7:

      Im Gegenteil. Ich denke, man hätte sie in die Unabhängigkeit entlassen sollen, und im Kosovo eine Grenze zwischen Serben und Albanern entlang dem Verlauf der ethnischen Grenzen ziehen sollen. Dann hätte man heute einige Probleme weniger.

  • Guter Witz mit der "nichtnationalistische(n) Regierung in Prishtina." Die ist halt albanisch nationalistisch und nicht serbisch. Wegen der haufen Nationalisten gibt es ja ständig den Ärger. Die schenken sich leider nichts, auch wenn immer die anderen schuld sind. Pulverfass Balkan!

    • @hmm?:

      Da die Serben mal wieder die Schuldigen sein sollen, wie interpretiert man dann Blinkens Tweet vom 26. Mai, in dem er folgendes geschrieben hat?

      "We strongly condemn the actions by the Government of Kosovo that are escalating tensions in the north and increasing instability. We call on Prime Minister @albinkurti to immediately halt these violent measures and refocus on the EU-facilitated Dialogue.

  • Sehr guter Kommentar, danke!



    "Dass die Strategie, nationalistische und autokratische Systeme durch eine Appeasement-Politik zu zügeln, falsch ist, erkennen sie nicht"..diese Lehre haben in der Tat vor allem sog. "Linke" nicht gelernt, wie sich wieder mal am Beispiel Ukraine zeigt, obwohl doch "Internationale Solidarität" mit dem Opfer als Grundpfeiler "linker" Politik gilt. Trotz dem von Serben begangenen Völkermord in Srebrenica 1995 und der Vertreibung der albanischen Bevölkerung im Kosovo 1999, war das Credo der "Linken" antiwestlich und von Empathie mit den Opfern war keine Spur. Sogar noch heute wird der humanitäre NATO-Militäreinsatz zur Vermeidung eines erneuten Völkermordes im Kosovo (und einer damit verbundenen noch größeren Flüchtlingswelle mit Destabilisierung der EU) von "Linken" auf die gleiche Stufe gestellt, wie der Angriffs-und Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine. Diese Haltung ist aber nicht "links", sondern revisionistisch gegen "den Westen" gerichtet, zur Freude von Autokraten, Dikatoren und Faschisten.

    • @Rinaldo:

      Wenn Deutschland in den letzten 20 Jahren nicht immer linke Regierungen gehabt hätte, die rechten Autokraten unterstützten, dann hätten wir jetzt viele Probleme weniger?

  • Deutschland hat von Anfang an die Schiene "Wohlstandstransfer" gefahren. Funktionierte wie man jetzt sieht halt nur bedingt. Was wäre die Alternative ? Einfach machen lassen ? Gerne, wenn wir einen zweiten Tito parat haben.



    Ansonsten empfehle ich zu diesem Komplex den Vortrag von Prof. Herfried Münkler im Rahmen des "Mittagssalons" in der Berlin-Brandenburgischen Akademie d. Wissenschaften.

    youtu.be/fwbIRDdxSJA

    • @SeppW:

      "gerne wenn wir einen zweiten Tito parat haben"?



      Das ist typisch Linke ignoranz! Sie wolllen also einen Diktator der Tausende politischer Gegner in Volterlager geschickt hat?

      • @__tester:

        Tito war ein Garant für innenpolitische Stabilität. Jugoslawien ist ein extrem fragiles Gebilde mit zig Ethnien und Religionen, das hat schon immer einen "Vereiner" gebraucht um zu funktionieren. Egal ob in Form der Habsburger Monarchie oder Tito. Egal ob von den Menschen geachtet oder nicht.

        • @SeppW:

          Und der Völkermord, nach Tito, war diesem Anliegen dienlich oder....?



          Vielleicht muss nur eine kritische Masse sterben, was meinen Sie?



          Weser Tito noch die Habsburger (lasse mich gerne korrigieren) haben so etwas wie Srebrenica zelebriert.

          • @Nervensäge:

            Mit Tito hätte es kein Srebrenica gegeben. Keinen "Bruderkrieg". Kein Zerbrechen des Staatengebildes Jugoslawien. Der hat nationalistische Bestrebungen wirksam eingrenzen können. Mehr Macht für die Kroaten, weniger für die Serben. Ausgeglichene Verhältnisse.

            Man bräuchte einen neuen "Vereiner" der keine Bestrebungen hat, einzelne Völksgruppen massiv zu Bevorteilen.

        • @SeppW:

          Das ist mir salopp gesagt zu rassistisch Deutschland hat auch viele Ethnien und Religionen und braucht keinen weinenden Diktator.

        • @SeppW:

          Shure. But.

          Tito war auch am Ende mit seiner Strategie: ER HATTE NICHTS MEHR ZU VERTEILEN!



          (Neben oder in combi mit Genschmans Griff ins Klo - die bis heute nachhaltigen Sprengsätze Yugoslavia! Woll.)