Russland genehmigt Ukraine Agrarexporte: Neuer Getreidedeal als Druckmittel
Moskau erlaubt für zwei weitere Monate ukrainische Agrarexporte. Im Gegenzug fordert Russland, dass angebliche Hürden für seine Ausfuhren fallen.
Russland nutzt das Abkommen zu Getreideexporten aus der Ukraine über das Schwarze Meer zusehends als Druckmittel. Zwar erklärte sich die Führung in Moskau nun dazu bereit, weiter Schiffstransporte von Agrargütern über die drei wichtigsten Seehäfen des von ihr angegriffenen Staates zuzulassen. Aber Präsident Wladimir Putin zögerte mit seinem Okay bis wenige Stunden, bevor das Abkommen am Donnerstag abgelaufen wäre. Am Ende stimmte er auch nur einer Verlängerung um zwei Monate bis zum 18. Juli zu. Als die von der Türkei und den Vereinten Nationen vermittelte Vereinbarung im Juli 2022 unterzeichnet worden war, sollte sie zunächst vier Monate lang gelten. Am Donnerstag machte Putins Sprecher Dmitri Peskow „das Schicksal des Abkommens“ erneut davon abhängig, dass der Westen seine angeblichen Hürden für russische Agrarexporte abbaut.
Russland hatte die ukrainischen Schwarzmeerhäfen nach dem Beginn seines Überfalls auf das Nachbarland im Februar 2022 blockiert. Dadurch schossen die Weltmarktpreise zum Beispiel für Weizen in die Höhe. Es bestand die Gefahr von Hungersnöten, weil Russland und die Ukraine zu den größten Getreideexporteuren gehören. Über den im Vergleich teureren Landweg kann die Ukraine mangels genügender Kapazitäten nur einen kleineren Teil ihrer Ausfuhren transportieren. Nachdem das Abkommen geschlossen worden war, sanken die Getreidepreise wieder.
Der Vertrag ist wichtig für die ukrainische Wirtschaft, weil sie in erheblichem Maß von Agrarexporten abhängt. Vor dem Krieg hatte die Branche rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Auch mit Hilfe der Landwirtschaft finanziert der Staat seine Verteidigung.
Der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow mahnte auf Twitter eine „effektive“ Umsetzung des Abkommens an: „Es ist notwendig, alle Probleme zu beseitigen, die Russland über mehrere Monate hinweg geschaffen hat“. Kyjiw wirft Moskau vor, Getreidefrachter an der Fahrt zu hindern, indem es die Registrierung verweigere und längliche Inspektionen vornehme.
Das Abkommen sieht gemeinsame Inspektionen der Frachter durch Vertreter der Ukraine, Russlands, der Türkei und der Vereinten Nationen in Istanbul vor. „Beinahe 70 Schiffe warten derzeit in türkischen Gewässern, 90 Prozent davon sind bereit, die Produkte unserer Landwirte an die Welt zu liefern“, erklärte Kubrakow.
Moskau bestätigte die Verlängerung des Getreideabkommens, zeigte sich aber ebenfalls unzufrieden mit der bisherigen Umsetzung. Die bestehenden „Missverhältnisse“ müssten „so schnell wie möglich korrigiert werden“, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Das Abkommen erlaubt es Russland, trotz der gegen das Land verhängten Sanktionen Dünger und Lebensmittel zu exportieren. Moskau beklagt, dass diese Exporte dennoch erschwert würden. Deshalb hat Russland mehrmals das Getreideabkommen infrage gestellt.
Die USA und die Europäische Union dagegen haben immer wieder erklärt, dass sie keine Sanktionen gegen Exporte von Agrargütern aus Russland erlassen hätten. Die EU-Kommission hat nach eigenen Angaben in ihren Leitlinien klargestellt, dass auch die Finanzierung und Versicherungen für russische Agrarexporte nicht von den Strafmaßnahmen betroffen seien. Tatsächlich exportiere Russland Getreide und Dünger auf dem gleichen, teils sogar höheren Niveau wie vor dem Krieg.
UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte die Verlängerung des Abkommens, weil sie der „globalen Lebensmittelsicherheit“ helfe: „Ukrainische und russische Produkte ernähren die Welt.“ Guterres hob hervor, dass die Verlängerung des Abkommens die Fahrt eines Frachters mit 30.000 Tonnen Weizen in Richtung des Krisenstaates Sudan ermögliche. Zugleich plädierte er für eine umfassendere und längerfristige Vereinbarung über die Getreideexporte.
Rund 60 Prozent des im Rahmen des Abkommens exportierten Weizens gingen laut dem Rat der EU-Staaten in Entwicklungsländer. Etwa die Hälfte der Ausfuhren war demnach Mais, der ungefähr zu gleichen Teilen in Industrie- und in Entwicklungsstaaten geliefert wurde.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir warf Putin vor, das Abkommen immer wieder als „Druckmittel“ zu missbrauchen, um seine Interessen durchzusetzen. Russland habe wiederholt Schiffe behindert und Kontrollen verzögert, „um Agrarexporte über das Schwarze Meer zu reduzieren und die Versorgungsdefizite in den Ländern zu vergrößern“, welche die Getreidelieferungen am meisten brauchten, kritisierte der Grünen-Politiker.
Die US-Regierung stieß ins gleiche Horn: Die Verlängerung des Abkommens sei eine „gute Sache“, sagte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan. Leider nehme Russland das Abkommen aber weiter „rhetorisch als Geisel“, indem es andeute, dass die Tage der Abkommens „gezählt“ seien. (mit afp)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Ausschreitungen in Amsterdam
Ein hitziges Nachspiel
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf