Neue Rüstungslieferungen an die Ukraine: Luftabwehr ja, Kampfflugzeuge nicht
Die geplante Rüstungslieferung an die Ukraine ist generell zu begrüßen. Langstreckenwaffen und Kampfflugzeuge sollten besser zu Hause bleiben.
W enn man wie ich 25 Kilometer von der Linie entfernt lebt, wo der russische Angriff vor der Stadtgrenze von Kiew gestoppt wurde, wenn man den Klang von in der Luft vorbeiziehenden Flugkörpern, das Krachen ihrer Explosionen kennt, wenn man von ebendiesen Raketen zerstörte Wohnungen gesehen hat, kann man der ukrainischen Armee nur dankbar sein, dass sie Kyjiw verteidigt und ein weitgehend funktionierendes Luftabwehrsystem hat.
Doch Verteidigung war gestern. Heute wird in der Ukraine viel von Angriff gesprochen. Auf großen Plakattafeln wirbt eine „Garde des Angriffs“ um kampfbereite Männer und Frauen. Mit einer groß angelegten Offensive plant die Ukraine, von Russland eroberte und annektierte Ortschaften und Gebiete zurückzuerobern.
Wenn man, wie ich, zwischen Charkiw und der ukrainisch-russischen Grenze liegende Ortschaften, die erobert und zurückerobert, erobert und zurückerobert wurden, gesehen hat, fragt man sich, was die Menschen, die dort nicht mehr leben können, von diesen militärischen Erfolgen haben. Man fragt sich auch, warum immer mehr Waffen geliefert werden, während gleichzeitig andere Möglichkeiten, der Ukraine zu helfen, nicht ausgeschöpft wurden.
Warum schließen fast alle Anrainerstaaten der Ukraine ihre Märkte für landwirtschaftliche Produkte aus der Ukraine? Warum bereichert Deutschland den russischen Atomkonzern Rosatom? Dieser Konzern war am Überfall auf das größte Atomkraftwerk Europas, das AKW Saporischschja, beteiligt. Warum darf ebendieser Konzern in Lingen atomare Brennstäbe herstellen? Zur Erinnerung: Dieser Konzern ist auch an der Entwicklung neuer Atomwaffen beteiligt. Warum darf Rosatom mit der in Alzenau ansässigen Firma Nukem Technologies ungehindert Geschäfte machen? Mit jeder russischen Rakete, die in eine ukrainische Wohnung einschlägt, wächst der Hass der UkrainerInnen auf Russland und alle RussInnen.
Präsident Selenski hat versichert, dass man keine westlichen Waffen gegen Russland einsetzen wird. Die Stimmung auf ukrainischen Portalen ist jedoch eine andere. Der Politologe Wolodymyr Fessenko etwa redet in der gazeta.ua einer Ausweitung der Kriegs auf russisches Territorium das Wort: „Der Krieg kommt immer häufiger und greifbarer auf russisches Territorium. Und das ist die Rache für den Angriff auf die Ukraine, für den blutigen und schmutzigen Krieg Russlands gegen unser Volk. Es wird noch mehr kommen.“
Vor diesem Hintergrund ist die auch von Deutschland geplante Lieferung von Flugabwehrsystemen an die Ukraine zu begrüßen. Panzer, Langstreckenwaffen und Kampfflugzeuge sollten besser zu Hause bleiben.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip