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Studie zu Ursachen des VogelsterbensVor allem Landwirtschaft ist schuld

Eine Studie zeigt: Pestizide und Dünger belasten Vogelpopulationen in Europa – und zwar weit stärker als die fortschreitende Urbanisierung.

Goldregenpfeifer stehen auf Deutschlands roter Liste der vom Aussterben bedrohten Arten Foto: imago

Berlin taz | Die Landwirtschaft ist im Vergleich zu Verstädterung und Temperaturanstieg laut einer neuen Studie die Hauptursache des Vogelsterbens in Europa. Vor allem Pestizide und Dünger seien der bedeutendste Treiber des Rückgangs von Vogelpopulationen, schreibt eine Gruppe um Stanislas Rigal und Vincent Devictor von der Universität Montpellier in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences.

Damit widersprechen die ForscherInnen zum Beispiel dem Deutschen Bauernverband, der seiner Meinung nach einseitige Schuldzuweisungen gegen die Landwirtschaft kritisiert hat. Die Studie beruht Experten zufolge auf sehr umfangreichen Daten zum Vogelbestand auf 20.000 Untersuchungsflächen in 28 Ländern von 1980 bis 2016.

„Der Rückgang der Vögel spiegelt wider, dass viele andere Arten zurückgehen, zum Beispiel Wildkräuter, Bestäuber, andere Insekten und womöglich sogar Bodenorganismen“, sagte Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, laut Science Media Center. Zudem hielten Vögel die Insekten im Wald sowie in der Landwirtschaft im Zaum und sie verbreiteten Pflanzensamen, ergänzte Christian Hof, Biologe an der Technischen Universität München. „Sie haben aber auch einen ästhetischen Wert. Es konnte in verschiedenen Studien des Senckenberg Instituts nachgewiesen werden, dass es Menschen in Gebieten mit mehr Vögeln besser geht.“

Doch die Bestände von mehr als 100 analysierten Arten fielen der Studie zufolge im 37 Jahre langen Untersuchungszeitraum um ein Viertel. Am stärksten war der Rückgang mit 57 Prozent bei den Arten, die in Agrarlandschaften leben. Vogelspezies, die vor allem in urbanen Gebieten vorkommen, seien lediglich um 28 Prozent zurückgegangen.

Versiegelung von Flächen schadet auch

Die ForscherInnen verglichen, wie sich die Vogelpopulationen und der Anteil der Fläche im Lauf der Zeit entwickelt haben, auf der besonders viel Pestizide und Dünger genutzt werden. Die WissenschaftlerInnen analysierten auch die statistischen Zusammenhänge der Vogelbestände einerseits und der versiegelten oder bewaldeten Fläche sowie der Durchschnittstemperaturen andererseits.

Das Ergebnis: Die Ausweitung intensiver Landwirtschaft mit mehr Pestiziden und Düngern belasteten die Vogelzahlen mit Abstand am stärksten. Die Stoffe können zum Beispiel Insekten schaden, die von Vögeln gefressen werden.

Zunehmende Urbanisierung hatte ebenfalls einen negativen, wenn auch geringeren Effekt. Die steigenden Temperaturen schadeten Populationszahlen insgesamt, aber einige Arten profitierten. In manchen statistischen Tests hatten die zunehmende Flächen mit Bäumen keinen Effekt, in anderen einen positiven.

„Die neue Errungenschaft der Studie ist der große Umfang, die Datenqualität und die explizite Verknüpfung der Vogeldaten mit der Intensität der Landwirtschaft und anderen Faktoren“, sagte Biologe Hof. Jörg Hoffmann vom bundeseigenen Julius Kühn-Forschungsinstitut für Kulturpflanzen dagegen kritisierte die Studie als „nicht überzeugend“. Die verwendeten Daten zum Verkauf von Pestiziden und Düngern zum Beispiel seien „in dieser Form“ nicht geeignet, um Ursachen und Wirkungen zu erkennen.

Experte rät, weniger Pestizide und Dünger zu nutzen

Biologe Hof dagegen bezeichnete die Daten ausdrücklich als „solide“: „Denn was als intensiv genutzte Fläche gilt, hängt davon ab, wie viel Geld pro Hektar für Pestizide und Düngemittel ausgegeben wird.“ Zwar seien genauere Angaben für einzelne Flächen besser, aber auf diese hätten Ökologen aus Datenschutzgründen keinen Zugriff. Deshalb sei es legitim, „dass die Kollegen hier Daten auf Länderbasis verwenden“.

Hof empfahl: „Wir sollten weniger intensiv wirtschaften. Vor allem müssen wir von dem hohen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden wegkommen.“

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10 Kommentare

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  • Schuld ist u.a. das angebliche Genie Descartes mit seiner positivistischen Haar-Spalterei !

  • Warum gibt es denn keine genaueren Untersuchungen/Angaben zu den konkret angewendeten Chemikalien/Pestiziden/Düngemitteln.



    Landwirtschaft mit Düngemitteln und Pestiziden gab es doch auch vor 1980, allerdings ohne der Vogelpopulation derart zu schaden.



    Aus Dokumentationen zu Strategien, die Monsanto und Bayer weltweit anwendet, um sich ein Monopol bzgl. Saatgut und Anbaumethoden aufzubauen, wird berichtet, dass geradezu unabdingbar aufeinander ausgerichtete Strategien und Monopole bzgl. Saatgut und Pestiziden und Düngemitteln aufgebaut wurden, aus dem der Landwirt schlecht ausbrechen kann. Die Saatgutveränderung wird mit der Produktionsweise derart aufeinander abgestimmt, sodass fast kein herkömmliches Saatgut mehr erhältlich ist.



    Z.B. wurde Weizen so verändert, dass er niedriger wächst und in Kombination von massivem Einsatz von Pestiziden wesentlich einfacher zu ernten ist, sodass sich der Ertrag massiv steigert. Leider besitzt dieser Weizen auch wesentlich mehr Gluten als herkömmlicher Weizen, was m.E. die massiv gestiegenen Unverträglichkeiten erklären würde.



    Glyphosat spielt nicht nur bei der Unkrautvernichtung eine Rolle, sondern wird auch bzgl. effizienter Ernteprozesse massiver verspritzt, als es früher der Fall war.



    Dass unter derartig massiven Eingriffen, sowohl bei dem Saatgut, als auch bei der Mengensteigerung von verspritztem Herbizid, Auswirkungen auf Tier und Mensch entstehen, ist nicht verwunderlich und muss doch mal genauer untersucht werden!

  • Ach ja, aber man muss ja Verständnis für die Treckerfahrer haben, die ganz Berlin lahm gelegt haben, aber die Klimakleber sind Terroristen!

  • Deutschland ist zu voll - zu dicht besiedelt.



    Das ist ein wesentlicher Grund für die meisten Umweltprobleme.

    • @Matthias Berger:

      Nein. Die Lebens- und Produktionsweise der industrialisierten Ländern ist das Problem. Würden die Deutschen einen Fußabdruck haben wie den von Französisch-Guinea wäre die Bevölkerungsdichte/zahl unproblematisch.

  • @Cem Özdemir, bitte dringend handeln!

    Auch eine Bewirtschaftung von Flächen als 'echte', klassische Wiesen wäre ungemein hilfreich, um Bodenpopulationen, Insekten und Artenvielfalt generell zu unterstützen.



    Das gern per finanzieller Unterstützung der besitzenden Bauern. Sie wissen wie das umzusetzen wäre.

  • Die Landwirtschaft wird seit Jahrzehnten von der Chemieindustrie betrogen und die Menscheit gleich mit. Landwirte sind heutzutage abhängig von dem Chemiezeug und die kleinen Betriebe könnten und würden in vielen Fällen anders handeln. Doch dagegen ist die Lobby der industrialisierten landwirtschaftlichen Großkonzerne, Investmentfonds und eben die Chemieindustrie. Es geht um Geld, nicht um romantische, grüne Spinnereien...

    • @Perkele:

      Mal so neugierdehalber: Wie muss ich mir das vorstellen mit der Abhängigkeit und den Großkonzernen? In wie fern ist die Landwirtschaft von der Chemieindustrie betrogen worden?



      Ich bin ja nur ein Bauer mit unterdurchschnittlich großem Betrieb, aber mich bedroht niemand mit chemischem Hintergrund....und in Sachen Abhängigkeit fehlt mir außer Nikotin nichts.

  • "Am stärksten war der Rückgang mit 57 Prozent bei den Arten, die in Agrarlandschaften leben. Vogelspezies, die vor allem in urbanen Gebieten vorkommen, seien lediglich um 28 Prozent zurückgegangen."

    Hier wären absolute Zahlen hilfreich: Wie hoch ist die Dichte in Agrarlandschaften, wie hoch in urbanen Gebieten. Ansonsten würden die urbanen Gebiete davon profitieren schon viel länger die Lebensbedingungen von Vögeln zu bekämpfen und die Agrarlandschaften bekommen den Schwarzen Peter, weil die jetzt nachziehen

    • @Questor:

      Spielt das noch eine Rolle? Es geht doch nicht um Schuldzuweisungen. Was weg ist, ist weg, was noch da ist, muss geschont und geschützt werden