Ein Schaffner in blauem Jackett und weinroter Weste steht vor dem Berliner Ostbahnhof

René Bäselt am Berliner Ostbahnhof Foto: Foto: Sebastian Wells

Angestellt bei der Deutschen Bahn:Einer aus der vorderen Reihe

Über die Bahn wird viel gemeckert. Zug­begleiter und -begleiterinnen wie René Bäselt bekommen den Ärger oft ab.

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29.4.2023, 13:05  Uhr

Es ist 5.50 Uhr am Morgen, als René Bäselt, ein 1,90 Meter großer Mann in dunkelblauer Hose und Jacke, die Wartehalle des Berliner Ostbahnhofs betritt. Die Läden sind noch geschlossen. Abgesehen von ein paar Jugendlichen, die vor McDonald’s sitzen, ist kein Mensch zu sehen. Auf der Anzeigetafel ist die Welt noch in Ordnung: Bisher keine Zugausfälle oder Verspätungen.

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Bäselt läuft durch den Raum, zückt eine Chipkarte, öffnet eine unscheinbare Tür zwischen McDonald’s und WC-Center, verschwindet dahinter. Zehn Minuten später kommt er wieder heraus, unter seiner Jacke lugt jetzt eine bordeauxrote Weste hervor. Bäselt zieht einen Rollkoffer hinter sich her, daran ein grüner Stoff-Anhänger mit der Aufschrift „Bahnpersonal“.

1.925 Züge werden an diesem Donnerstag Mitte April in Deutschland unterwegs sein. ICs, ICEs, Regionalzüge, S-Bahnen. In einem der Züge, dem IC 240 nach Amsterdam, wird Bäselt sitzen. Er ist Zugchef bei der Deutschen Bahn.

Bäselt ist 53, ein offener, zugewandter Mann. Hardrockfan, Hobby-Rennradfahrer, gebürtiger Ostberliner mit entsprechendem Dialekt. Seit 36 Jahren arbeitet er bei der Bahn. Als Zugchef ist er für die Sicherheit im Zug zuständig, kontrolliert die Technik genauso wie Fahrkarten.

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Bäselt sagt, er liebe das Zugfahren: den Austausch mit den Fahrgästen, unterwegs sein mit den Kolleg:innen. Von einer Liebe zur Bahn an sich will er hingegen nicht sprechen. Zu viel sei schiefgelaufen zwischen ihm und dem Unternehmen in den vergangenen Jahren. „Der Kontakt ist verloren gegangen“, sagt er. Mit­ar­bei­te­r:in­nen wie er seien „Blitzableiter für das Missmanagement des Konzerns“.

Unpünktliche Züge, geschlossene Bordrestaurants, zu teure Tickets. Die Liste an Beschwerden über die Bahn ist lang. Die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr etwa erreichte vergangenes Jahr mit 65 Prozent ein historisches Tief. Das spiegelt sich auch in der Wahrnehmung des Unternehmens wider. Einer Umfrage von Infratest dimap aus dem Jahr 2019 zufolge bewerten 34 Prozent der Deutschen die Leistungen der Bahn als positiv; etwas mehr, 38 Prozent, hingegen sind unzufrieden oder sehr unzufrieden mit dem Unternehmen.

Woran liegt das? Was funktioniert nicht bei der Bahn und seit wann? Und wie fühlt es sich für die Menschen in der vordersten Reihe an, diejenigen, die das Unternehmen jeden Tag für die Fahrgäste repräsentieren? Den Zug­­­che­f:in­nen und Zugbetreuer:innen, ­Menschen wie René Bäselt.

6.29 Uhr. Bäselt steht am Gleis 3, neben ihm der Zug. Ein letzter Blick über den Bahnsteig, dann setzt er eine kleine silberne Pfeife an den Mund, pfeift. Abfahrt. Bäselt steigt ein, der Zug fährt los, auf die Minute nach Fahrplan.

Begleitet wird Bäselt an diesem Tag von einem Kollegen um die 60 mit kurzem grauen Haar und gestutztem Schnäuzer. Der Zugbetreuer, sozusagen sein zweiter Mann.

Ein erster Kontrollgang: Bäselt läuft durch den Zug, seine Augen wandern nach links, nach rechts. Sind die Feuerlöscher intakt, funktioniert die Klimaanlage? In den Abteilen sieht man ein, zwei verschlafene Gesichter vor aufgeklappten Laptops, die meisten Plätze sind leer. Bäselt greift zum Bordtelefon, wirft seine geschmeidige, hochdeutsche Ansagerstimme an: „Guten Morgen meine Damen und Herren und herzlich willkommen auf unserer Reise nach Amsterdam“.

Bäselt ist 17, als das losgeht mit ihm und der Bahn. Er macht eine Ausbildung zum Facharbeiter für Eisenbahnbetrieb. Die Bahn – in Ostdeutschland heißt sie noch „Deutsche Reichsbahn“ – zählt zu den größten Arbeitgebern der DDR. „Als Eisenbahner war man da noch wer“, sagt Bäselt heute. „Es gab Dienstränge wie bei der Armee und Polizei. Die Mitarbeiter trugen dunkelblaue Uniformen mit Schulterstücken drauf. Das machte schon was her.“

Er arbeitet zunächst als Aufsichtsbeamter auf einem Bahnhof. „Nicht mein Ding“, wie er heute sagt. Dann wird er Zugbetreuer. 1998 fragt ihn sein Vorgesetzter, ob er sich auch den Posten des Zugchefs vorstellen kann. Der bedeutet mehr Verantwortung und mehr Geld. Bäselt sagt Ja.

6:58 Uhr. Der Zug rauscht durch das erwachende Berlin. Vor den Scheiben huschen die Hochhäuser und Kleingartenkolonien Spandaus vorbei. Die Abteile haben sich gefüllt. Familien haben Brotdosen auf Tischen verteilt, Männer schauen aus dem Fenster. Zwei Frauen Anfang 20 spielen Karten. Bä­selt geht durch die Reihen, kontrolliert die Tickets.

Die Fahrkarten bitte

An einem Vierertisch schläft ein Mann um die 20. Bäselt tippt ihn an die Schulter. Der Mann öffnet kurz die Augen, sieht Bäselt an, kramt sein Handy heraus, legt es auf den Tisch, dann schließt er die Augen wieder. Bäselt tippt ihn noch mal an. Keine Reaktion. „Na, dann zeigen Se mal her“, sagt Bäselt, nimmt das Handy und scannt das Ticket ein.

René Bäselt, Zugchef

„Früher sind Zugtechniker mitgefahren, die defekte Türen und dergleichen repariert haben“

In der Vergangenheit verlief die Fahrkartenkontrolle nicht immer so harmlos. Ende der Neunziger erlebte Bäselt seinen ersten Zwischenfall. Drei Punks in einem Regionalzug. Als Bä­selt nach ihren Tickets fragte, schlugen und traten sie auf ihn ein.

2017 dann ein einzelner Mann in einem ICE. Er hatte sich auf der Toilette versteckt, hatte weder Ticket nach Ausweis. Bäselt rief die Polizei. Als der Zug in den Bahnhof einfuhr und der Mann die Beamten sah, habe er Bäselts rechte Hand genommen und sie so weit überdreht, bis sie fast gebrochen war, sagt er. „Am meisten schockiert hat mich die Passivität der Fahrgäste“, sagt Bä­selt. „Es war ein Großraumwagen, voll besetzt. Und doch hat nur ein Mann eingegriffen.“

Seitdem ist Sicherheit in Zügen sein Thema. Er gibt Interviews dazu, sitzt regelmäßig am „Runden Tisch Security“, einem Zusammenschluss von Bahn- und Gewerkschaftsvertretern.

Die Gewalt gegen Bahnpersonal hat in den vergangenen zehn Jahren zugenommen. Im Jahr 2022 verzeichnete die Deutsche Bahn 3.138 solcher Fälle, 21 Prozent mehr als im Jahr davor. Fragt man Bäselt, wie er sich die gestiegene Gewaltbereitschaft erklärt, spricht er von einem allgemeinen Klima der Respektlosigkeit in der Gesellschaft. Aber auch von einer gewachsenen Unzufriedenheit mit der Bahn.

8:27 Uhr. Hinter den Scheiben tauchen die roten Klinkerbauten Hannovers auf. Wenig später fährt der Zug in den Hauptbahnhof ein, ein paar Minuten früher als angegeben. „Auf Strecken mit Baustellen wie dieser sind Zeitpuffer eingeplant“, sagt Bäselt. „Wenn man die doch nicht braucht, ist man eben früher da.“

Ein abfahrender Zug aus der Perspektive von Reisenden

Am Bahnsteig Foto: Foto: Sebastian Wells

Für ihn und seinen Kollegen, den Zugbetreuer, endet die Fahrt hier, sie steigen aus. Auf dem Bahnsteig warten zwei Männer um die 50, sie tragen dieselben dunkelblauen Bahnanzüge wie sie, die Ablösung. „In Wagen 8 gibt es ein schwaches Licht“, sagt Bäselt zu ihnen, „sonst ist alles okay.“ Dann verabschiedet er sich. Der Zug fährt weiter nach Amsterdam.

Frühstückspause bei einem Bäcker im Hauptbahnhof. Bäselt isst ein Ei­brötchen, seine erste Mahlzeit an diesem Tag. „Ich kriege ganz früh nichts runter“, sagt er. Zug­che­f:in oder Zug­be­treue­r:in bei der Deutschen Bahn zu sein, bedeutet Arbeit im Schichtdienst. Es gibt Wochen, in denen muss Bäselt mal um 6 Uhr morgens und dann um 19 Uhr ran. Manchmal arbeitet er sechs Tage in Folge, hat einen Tag frei, muss danach wieder sechs Tage arbeiten. Er habe sich daran gewöhnt, sagt er. Es gebe aber viele Kolleg:innen, denen mache das zu schaffen; er erzählt von Schlafstörungen und Burn-outs, auch bei den Jüngeren. Immer wieder kommt es aufgrund von fehlendem Personal zu Zugausfällen.

9.30 Uhr. Bäselts zweiter Zug an diesem Tag wartet, der ICE 684 nach Hamburg. Er und sein Kollege steigen ein. Bäselt kontrolliert die Fahrkarten, dann nimmt er sich Zeit für ein kurzes Gespräch im Bordrestaurant.

Der Niedergang der Bahn

Fragt man Bäselt, wann das losging, dass es mit der Bahn gefühlt bergab ging, kann er keine Jahreszahl nennen, aber einen Namen: Hartmut Mehdorn.

Mehdorn war von 1999 bis 2009 Chef der Deutschen Bahn. Ein schillernder Manager, ein Machertyp; von der Politik geholt, um die Bahn an die Börse zu bringen. Mehdorn habe dabei – so werfen es ihm Kritiker bis heute vor – nur die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens im Blick gehabt. Und alles gestrichen, was sich nicht rentierte. Mehdorn selbst sieht die Ursache dafür in den fehlenden Investitionen des Bundes.

In Mehdorns Zeit als Bahnchef wurden die Wartungsintervalle der Züge hochgesetzt. Die Strecken wurden weiter zurückgebaut – obwohl das Verkehrsaufkommen auf den Schienen schon damals wuchs. Er ließ Ausweichgleise entfernen – was dazu geführt hat, dass man langsamere Züge heute nicht überholen kann. Und er reduzierte das Zugpersonal. „Die Folgen davon spürt man noch heute“, sagt Bäselt. „Es sind nicht genügend neue Mit­ar­bei­te­r:in­nen nachgekommen.“

Früher seien sie zu dritt oder zu viert in einem Zug unterwegs gewesen. Heute meistens zu zweit. „Bei kurzen Zügen mag das noch funktionieren“, sagt Bäselt. „Bei einem ICE mit 1.000 Fahrgästen ist das ein Problem, vor allem im Hinblick auf die Sicherheit.“

Blick in ein Zugabteil

Geballtes Leben im Zug Foto: Foto: Sebastian Wells

Verändert habe sich auch die Zusammenarbeit. „Früher gab es feste Teams“, sagt Bäselt. „Mit meiner damaligen Kollegin, einer Zugbetreuerin, bin ich jede Strecke zusammen gefahren, 16 Jahre lang.“ Inzwischen würden die Mit­ar­bei­te­r:in­nen jedes Mal neu zusammengestellt. Für ihn heißt das: Wenn er morgens zur Schicht antritt, weiß er nie, wer ihn erwartet – und auch nicht, wie gut er mit dem- oder derjenigen zusammenarbeiten kann. „Für das Teamgefühl ist das natürlich suboptimal.“

11.12 Uhr. Der Zug fährt pünktlich in Hamburg-Altona ein. Endstation. Bä­selt macht einen letzten Kontrollgang durch die Abteile. Im hintersten Wagen steht eine Frau um die 70. „Lief doch alles wunderbar“, sagt sie. Bäselt lächelt. „Bei mir auch.“

Ein paar Bahngleise weiter steht der ICE 1707 nach München. Bäselts dritter und letzter Zug an diesem Tag. Er und sein Kollege werden bis Berlin mitfahren.

Falsche Wagenreihung

Jetzt kommt die Maschine, die den ganzen Tag wunderbar lief, erstmals in Stottern.

Als Bäselt die Wagenreihung auf seiner Handy-App mit der tatsächlichen Reihenfolge der Züge abgleicht, fällt ihm auf, dass etwas nicht stimmt. Die Wagen sind falsch nummeriert. Sie wurden im Werk, aus dem der Zug gerade gekommen ist, falsch eingespielt. Wagen 22 sollte eigentlich Wagen 32 heißen und umgekehrt. „Da haben die Kollegen Mist gebaut“, sagt Bäselt. Der Bahnhof in Altona ist nahezu leer, hier spielt das keine Rolle.

Beim nächsten Stopp, dem Hamburger Hauptbahnhof, sieht das anders aus. Eine Frau wuchtet einen gewaltigen Koffer vom vollen Bahnsteig aus in den Zug, schwer genervt. „Ist es echt zu viel verlangt, die Wagen richtig anzugeben?“, sagt sie und stöhnt. Bäselt hat die Wagennummerierung zwar im Bordcomputer des Zuges korrigiert. Die Änderung ist aber nicht bei allen Fahrgästen angekommen.

Bei seinem anschließenden Kontrollgang durch die Abteile bleibt Bäselt an einer Toilette für Rollstuhlfahrer stehen. Die Tür schließt nicht. Auch nach mehrmaligem Drücken des „Schließen“-Knopfes nicht. Bäselt steckt den Vierkant, den er am Schlüsselbund bei sich trägt, in die vorgesehene Vorrichtung über der Tür. Glück gehabt. Die Tür schließt.

René Bäselt, Zugchef

„Wir haben weder die Züge noch das Personal für das 49-Euro-Ticket“

So glatt läuft es nicht immer, sagt er. Manchmal müsse er zu richtigem Werkzeug greifen. „Früher gab es noch Zugtechniker, die mitgefahren sind und defekte Türen und dergleichen repariert haben“, sagt er. „Aber auch die wurden eingespart. Inzwischen müssen die Zugchefs bei diesen Reparaturen selbst ran.“ Für ihn und seine Kol­le­g:in­nen heißt weniger Personal: mehr Arbeit für den gleichen Lohn.

Die meisten mögen die Bahn als ein geschlossenes Unternehmen wahrnehmen. Tatsächlich gleicht der Konzern einem Dach, bestehend aus mehreren Einzelunternehmen, jedes mit eigenem Geschäftsbereich. Darunter die DB Fernverkehr, verantwortlich für den nationalen und internationalen Fernverkehr, und die DB Regio, verantwortlich für den Regionalverkehr.

Den Anschluss verpasst

Für Bäselt, der für die DB Fernverkehr arbeitet, führt das mitunter zu Komplikationen. „Sagen wir, ich fahre in einem ICE, der eine Verspätung aufgebaut hat, und habe 50 Passagiere an Bord, die einen Anschlusszug, eine Regionalbahn, kriegen müssen. Bei einer so hohen Zahl an Passagieren würde man schauen, ob der Regionalzug warten kann“, sagt er. Früher habe der Zugchef in so einem Fall die Verkehrs­leitung kontaktiert, die habe das dann entschieden. Heute hingegen seien die Wege länger, das Prozedere bürokratischer. „Ich muss den Verkehrsleiter der DB Fernverkehr kontaktieren, der wiederum muss sich an die Betriebszentrale von DB Regio wenden“, sagt Bäselt. Und es gibt dabei noch einen weiteren Haken: Unternehmen wie DB Fernverkehr und DB Regio haben nicht nur unterschiedliche Geschäftsbereiche, sie sind auch Konkurrenten.

„Wenn die DB Regio einen Zug für die DB Fernverkehr warten lässt, baut sie als Konsequenz eigene Verspätung auf“, sagt Bäselt. „Dafür muss sie dann finanziell haften.“ Grund sei eine spezielle Konstruktion: Bei der DB Regio werden die Zugverbindungen vom Verkehrsverbund des jeweiligen Bundeslandes bezahlt, erklärt Bäselt. „Daher muss sie an das Land auch Strafe zahlen, wenn die Züge verspätet sind.“ Die Konsequenz, laut Bäselt: „Meistens warten die Züge nicht.“

Und da sind noch die anderen Sachen, die seiner Meinung nach schieflaufen: die überlasteten Reparaturwerkstätten etwa. „Wagen mit ernsthaften Sicherheitsmängeln werden zwar aus dem Verkehr gezogen und repariert“, sagt Bäselt. „Wagen mit Komfortmängeln wie kaputten WCs oder Klimaanlagen aber werden weiterhin eingesetzt. Man kommt mit den Reparaturen einfach nicht hinterher.“

Oder die Bistros: Ihr Sortiment wurde erweitert, sagt Bäselt, der Lagerraum, der ihnen zur Verfügung steht, blieb aber gleich. Mit der Folge, dass Fahrgäste jetzt theoretisch mehr Auswahl haben, Produkte aber schneller vergriffen sind.

Bäselts persönliche Beziehung zur Bahn bekam 2006 einen Knacks. Damals war er als Zugchef in den Interregios unterwegs, einer Zuggattung, die auch kleinere Bahnhöfe anfuhr. Dann wurden die Züge eingestellt. Er sollte zukünftig nur noch ICs und ICEs fahren als Zugbetreuer, nicht mehr als Zugchef, mit entsprechend geringerem Gehalt. „Ich habe das nicht eingesehen. Wenn die Bahn ein Produkt einstellt, ist das doch nicht mein Problem.“ Er zog vor das Arbeitsgericht – und gewann.

Die da oben, wir da unten

Der Schritt habe sein Wesen verändert, sagt er heute. Früher sei er ein sehr zurückhaltender Mensch gewesen; einer, der kaum den Mund aufmachte. Heute engagiert er sich bei der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL), ist stellvertretender Vorsitzender der Ortsgruppe Fahrpersonal und Werke Berlin.

Die Bahn, das sind für ihn seitdem nur noch „die hier unten“, wie er sie nennt: die Zug­che­f:in­nen und Zugbetreuer:innen, die Lok­füh­re­r:in­nen und Mit­ar­bei­te­r:in­nen in den Bord-Bistros. Die Menschen, die täglich mit der Bahn unterwegs sind, dem Unternehmen ein Gesicht geben. Und im Zweifelsfall als Sündenbock herhalten müssen.

Die anderen, die Menschen in den Führungsetagen, gehören für ihn nicht wirklich zur „Bahnerfamilie“, wie er sie nennt. Verächtlich erwähnt er die 14 Prozent Gehaltserhöhung, die die Bahn dieses Jahr für Manager beschlossen hat. „Denen ist sämtliches Maß abhandengekommen.

Bleibt die Frage, wie es mit der Bahn weitergeht. Bäselt sagt: „Die Züge müssen häufiger gewartet, die Gleise weiter ausgebaut werden.“ Es brauche einbruchsichere Rückzugsräume in den Zügen, mindestens einen Raum alle vier Waggons, in die Bahn-Mitarbeiter:innen im Fall gewaltsamer Übergriffe flüchten und von dem aus sie Kontakt zum Lokführer aufnehmen können. „Und es braucht wieder mehr Personal in den Zügen. Gerade bei längeren Zügen sollten sie mindestens zu dritt unterwegs sein.“

Dafür aber müsste es auch genügend Menschen geben, die bei der Bahn arbeiten wollen. „Schon jetzt hat der Konzern Probleme, Stellen zu besetzen“, sagt Bäselt. Um als Arbeitgeber attraktiver zu werden, müsse die Bahn daher bei den Arbeitszeiten nachjustieren. „Sechs Tage hintereinander zu arbeiten, dann nur einen freien Tag zu haben, bevor man wieder sechs Tage arbeitet, ist niemandem zuzumuten“, sagt Bäselt. „Zwei freie Tage pro Woche müssen sein.“

Das 49-Euro-Ticket hält er grundsätzlich für eine gute Idee. Glaubt aber, es komme zu früh. „Wir haben zurzeit weder die Züge noch die Schienen noch das Personal dafür“, sagt er. Er sieht es so: „Die Politik hat sich da etwas ausgedacht und es der Bahn übergeholfen. Dabei war die noch gar nicht so weit.“ Bäselt geht davon aus, dass die Zahl der Passagiere deutlich zunehmen – und das wiederum zu einer Verschärfung der bereits bestehenden Probleme führen wird.

13.54 Uhr. Der Zug fährt in den Berliner Hauptbahnhof ein. Bäselt und sein Kollege steigen aus, das Ende ihrer Strecke, das Ende ihres Arbeitstages. Ihre Ablösung, zwei Frauen um die 50, warten schon auf dem Bahnsteig. „Am Anfang gab es etwas Ärger mit der Wagennummerierung“, sagt Bäselt zu seiner Kollegin. „Danach aber lief alles schick.“

Es war ein guter Tag, für ihn und die Deutsche Bahn.

Bäselt sagt: „Schade, dass es nicht häufiger so ist.“

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Viele hassen die Bahn. Und viele lieben sie. Oder schätzen sie zumindest. Die Bahn ist die ökologischere Alternative zu Auto und Flugzeug, das wird den Leuten doch immer klarer. Ohne die Bahn wird aus der Verkehrswende nichts. Mit dem 49-Euro-Ticket, das ab dem 1. Mai gilt, versucht die Bundesregierung, dieses veränderte Bewusstsein zu stärken. Grund genug, dass sich die taz der Bahn intensiv widmet.Wieso reiben sich so viele an der Bahn? Wie ist Zugfahren mit Hund? Erinnert sich noch jemand an die Schönheit der Kursbücher? Was ist der Reiz der Knödel im tschechischen Speisewagen? Diese und viel andere Fragen beantwortet die taz nach und nach unter taz.de/bahnspezial

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