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„Das Lehrerzimmer“ im KinoPädagogik und geschwollene Augen

İlker Çataks Spielfilm „Das Lehrerzimmer“ inszeniert aufreibenden Alltag an einer Schule als perfide Mobbinghölle – aus der es kein Entkommen gibt.

Auch die stärkste Lehrerin verzweifelt: Leonie Benesch als Carla Nowak Foto: Alamode

Carla Nowak hat ihr Referendariat sicherlich mit Bestnote bestanden. Ihr Unterricht ist makellos. Nach dem alle Sinne aktivierenden „Guten Morgen“, nicht apathisch dahin gemurmelt, sondern vor Freude quietschend geklatscht und gesungen, liegen alle Arbeitsmaterialien auf dem Tisch.

Jedes Kind erhält eine individuelle Rückmeldung, ermutigend, freundlich, auf den Punkt diagnostisch präzise, während der Rest der Klasse die Warm-up-Aufgabe bearbeitet.

Die Guten werden gefördert, die Schwachen nie bloßgestellt, und wenn es doch mal zu laut wird, ist es nach dem ritualisierten rhythmischen Klatschen wieder mucksmäuschenstill. Talente werden sofort erkannt, Förderbedarf direkt gesehen.

Strahlend und lachend spielt diese Lehrerin im Sportunterricht mit den Kindern, ist fair, nie bevorzugend, nie distanziert. Carla Nowak, herausragend dargestellt von Leonie Benesch, ist das, was man eine engagierte Lehrerin nennt.

Natürlich ist alles in Ordnung

Um diese Pädagogin baut das neue Werk des preisgekrönten Regisseurs Ilker Çatak eine Geschichte, die verstört. Der Titel des Films „Das Lehrerzimmer“, auf der Berlinale zweifach ausgezeichnet und siebenfach für den Deutschen Filmpreis 2023 nominiert, deutet an, was die Zuschauer nach diesen ersten glücklichen Szenen zwischen Butterbroten, Gymnastikbällen und kichernden Kindern ertragen müssen.

Im Klassenzimmer ist alles in Ordnung. Das Böse, Unberechenbare, das, was mit beängstigender, nervenaufreibender Filmmusik unterlegt ist, lauert in der Erwachsenenwelt: im Lehrerzimmer. Und es bleibt nicht dort.

Diebstähle an der Schule sind das initiierende Moment und die Mehrzahl der erwachsenen, pädagogisch jahrelang ausgebildeten, studierten Mitglieder dieser „Schulfamilie“, wie es so emotional heißt, scheint schlechter in der Lage zu sein, miteinander und mit den Anschuldigungen umzugehen, als die Zwölfjährigen derselben „Familie“.

Es gibt kein Machtgefälle

Perfides Ausnutzen von Machtgefälle durch ein Negieren desselben („Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich auch keine Sorgen zu machen“) wechselt sich mit Psychospielen in polizeiähnlichen Verhörsituationen ab („Du musst nicht reden, du kannst auch einfach nicken“).

Diese Lehrer erziehen Kinder und sind zugleich in einem derart infantilen, gereizten und unehrlichen Umgang untereinander gefangen, dass das Lehrerzimmer zur Hölle wird: Zwischen freundlichen Geburtstagsgrüßen und völliger Entgleisung, zwischen kollegialen Hilfsangeboten und vulgärer Beleidigung liegt in diesem Film nur eine ertönende Schulklingel.

Der Mikrokosmos des Klassenzimmers funktioniert reibungslos und selbstverständlich, bis die Erwachsenenwelt ihre metapolitischen Grundsatzvorstellungen einer „Null-Toleranz-Politik“ invasiv und plump in die sensible Gemeinschaftsdynamik von Kindern knallt und der Explosion hilflos und apathisch zuschaut. Die Egos der Erwachsenen, ihre Eitelkeiten und Machtkämpfe, sind es, die alles Schlimme beginnen und eskalieren lassen.

Rufmord und Demütigungen

Der von Erwachsenen begonnenen Gewaltspirale können sich, hier bestätigt sich die „Familienlogik“ der Institution Schule, die Schüler nicht entziehen: Der Rufmord, den die Schülerzeitung betreibt, die unmenschliche Demütigung von Kindern in Schulklassen, körperliche Gewaltausbrüche, die zu geschwollenen Augen führen, werden vom Kollegium mit wüsten Forderungen nach Bestrafung beantwortet – eine pädagogische Ohnmachtserklärung.

Allein Carla Nowak verzweifelt, nicht an den Kindern, sondern an den Erwachsenen. Allein sie sieht, was es bedeutet, Pädagogin zu sein: Als Erwachsene Verantwortung für das zu übernehmen, wofür Kinder noch keine Verantwortung übernehmen können.

In diesem Film setzen Erwachsene eine intakte Kinderwelt in Brand und sehen beim Abfackeln der Unschuld bestürzt zu. Diese Pädagogen versagen darin, kindliches Gewaltverhalten als Reaktion auf eine kaputte und empathielose, sich zerfleischende Erwachsenenwelt zu begreifen.

Im Lehrerzimmer wird über Kinder gesprochen, als wären sie Erwachsene mit autonomen Handlungsoptionen, die nicht verstanden, sondern bestraft werden müssen. Während die Kinder des Films kindlich im normalsten und gesündesten Sinne des Wortes sind, mit allen hellen und dunklen Seiten, die dieser Zustand beinhaltet, sind die Erwachsenen kindisch, ohne Verantwortungsübernahme und innere moralische Orientierung.

Und obwohl auch Carla Nowak schwere Fehler in diesem Erwachsenenkosmos begeht und infiziert wird von einem Wahrheitsverständnis, das alle Mittel heiligt, bleibt sie die Anwältin der Kindheit. Bis das böse Kind, das die Erwachsenenwelt erschaffen hat und nun loswerden will, in all seiner Friedlichkeit und Unschuld neben ihr einschläft und endlich zur Ruhe kommen kann.„Das Lehrerzimmer“ umkreist meisterhaft die Macht der Erwachsenen und die Ohnmacht der Kinder.

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