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Fitness auf Social-MediaDie neuen Sportprofis

Normschön sammeln Fitness-Influencer:innen viele Klicks und viel Geld. Dabei erreichen sie ein ganz anderes Publikum als die klassischen Vereine.

Hebt den Sport auf neue Ebenen: Pamela Reif leitet Fitnessworkouts auf Youtube Foto: Gisela Schober/Technogym/getty images

Pamela Reif hat nie an Olympia teilgenommen, nie eine Meisterschaft gewonnen und nie in einem Auswahlkader gestanden. Ja, es ist nicht mal verbürgt, ob sie besonders gut in Sport ist. Und dennoch hat die Sport-Influencerin mehr Instagram-Abonennt:innen als Bayern-Kapitän Joshua Kimmich, als jede deutsche Sportlerin und fast jeder Sportler.

Reif, die erfolgreichste deutsche Sport-Influencerin, baut ihre Karriere auf gut gelaunte Fitnessvideos, in denen sie zumeist nicht einmal spricht. Und dennoch oder deshalb fliegen ihr Herzen zu. „Du hast mein Leben verändert“, „Du bist meine persönliche Therapeutin“, „Dankeschön, meine Queen“, seufzen meist weibliche Fans in den Kommentaren, ergänzt mit der eigenen Lebens- und Sportgeschichte.

wochentaz

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Die umtriebige 26-Jährige mit normschönem Look – blond, schlank, weiß, dauerlächelnd und verdächtig schweißfrei – ist ein Sportstar, den analoge Medien kaum mitbekommen haben. Reif braucht deren PR auch nicht, selten gibt sie mal ein Interview. Zur millionenschweren Marke Pamela Reif gehören Autogrammstunden, eigene Bücher, eine eigene Fitness-App, eine Food-Marke, eine Modekollektion und eigene Sportkleidung. Eine neue Form der Sportkarriere.

Natürlich gibt es Sportikonen außerhalb des Wettbewerbsports seit eh und je. Von Buffalo Bills Reit- und Schießshows über den französischen Artisten Philippe Petit, der auf dem Hochseil über New York balancierte, bis hin zu Jane Fondas wahnwitzige 17 Millionen Mal verkauften Aerobic-Videos wurden Sport­hel­d:in­nen immer wieder frei von Verbänden und Pokalen groß. Und erzählten stets etwas über ihre Zeit.

Sport für die Massen

Social Media mit seiner Reichweite und der omnipräsenten bezahlten Werbung aber hat das Spiel massiv verändert. Was für Streame­r:in­nen von eSports schon lange gilt, ist zunehmend auch im physischen Sport erreichbar, vor allem in der boomenden Fitnessbranche und seit Corona.

Homeoffice und geschlossene Sportanlagen wurden zum nächsten Katalysator. Reif etwa konnte ab der Pandemie bis März 2023 die Zahl ihrer Youtube-Follower:innen verdreifachen, mittlerweile folgen ihr 9,5 Millionen Menschen. Auf vielen Sportkanälen im Netz explodierten die Aufrufzahlen. Und manchmal bekommt sogar der organisierte Sport die Bedeutung der In­flu­en­ce­r:in­nen mit: Wenn etwa das von Twitch-Streamer Elias Nerlich gegründete Berliner Fußball-Kreisliga-Team Delay Sports mehr Instagram-Follower versammelt als Hertha oder Union und seine Fanmassen die Diskurse in der Kreisliga C bestimmen.

Die gesellschaftliche Relevanz dieser neuen Sportprofis ist schwerer zu erzählen als ihr Aufstieg. Ist eine Sportunternehmerin ohne sportliche Meriten nur ein austauschbarer Coach, eine Entertainerin nach RTL-Rezept, die mit ihrem letzten Video verschwindet? Braucht es für historische Größe eine Heldinnensaga? Oder sind viele Branchenstars nicht im Gegenteil mittlerweile größere Ikonen als die des organisierten Sports abzüglich Männerfußball, langlebiger sowieso?

An ihren Aussagen entzünden sich Debatten, Reaktionsvideos, Trends. In jedem Fall richten sie den Fokus neu aus: auf den „freien“ Sport. Sportredaktionen konzentrieren ihre Berichterstattung vorwiegend auf den organisierten Spitzensport, mindestens aber auf den Vereinssport. Das liegt gewiss auch daran, dass ihre Mitglieder überwiegend alt und männlich sind und abbilden, was sie selbst kennen. Den Gesamtsport reflektierte dieser Blick nie, schon vor Streaming und Social Media nicht.

Nach einer aktuellen Studie des Bundeswirtschaftsministeriums sind 92 Prozent der Sportaktivitäten der deutschen Bevölkerung über 16 Jahren dem sogenannten informellen Sport zuzurechnen, finden also außerhalb des Sportvereins statt. 72 Prozent der Sportaktiven betreiben sogar nur selbst­organisiert Sport. Joggen, Rad fahren, schwimmen, Ski fahren, surfen, skaten, tauchen oder kommerziell in Fitnessstudios, Yogakursen, Reitschulen, Tanzstudios, Kletterhallen. Das große Feld eSports, aber auch etwa Heimtraining mit Sport-In­flu­en­ce­r:in­nen auf Youtube ist da noch gar nicht mitgedacht. Der informelle Sport und seine Geschichten bleiben untererzählt. Dabei hat er befreiende Potenziale.

„Ich wollte Yoga – das ich so liebte – aus seiner esoterischen Ecke rausholen und vor allem jungen Menschen zugänglich machen“, erzählt Deutschlands erfolgreichste Yoga-Influencerin Mady Morrison, deren Yoga-Videos bei Youtube drei Millionen Menschen abonniert haben, in einem Interview mit Women’s Health. „Meine Motivation war also, das Ganze attraktiver und moderner weiterzugeben. Der logische Weg dorthin war für mich der über die sozialen Netzwerke und über Youtube.“

Was sonst in teuren Kursen vermittelt wird, ist online niedrigschwellig und kostenfrei verfügbar. Befragungen weisen darauf hin, dass informeller Sport bei prekären Gruppen beliebter und für sie zugänglicher sein könnte. Mädchen und Frauen betreiben ihn prozentual häufiger als Jungen und Männer, und bei Mädchen mit Migrationshintergrund fand eine deutsche Studie von 2020 erhebliche Neigungen zum informellen Sport.

Selbst Rezo, der alte Zerstörer

Gut belegt ist, dass prekär lebende Menschen oder solche mit niedrigerem Bildungsabschluss wesentlich seltener in den Sportverein finden. Sport am Smartphone dagegen kommt ohne Anmeldung, Verpflichtung, Leistungsmessung oder Socializing aus. Und ist oft besser auf die knappe Zeit abgestimmt als der Sportverein: Morrison bietet gar „Netflix and Stretch“ an, also Yogaübungen, die beim Fernsehen absolviert werden dürfen. Eine Utopie? Manchmal.

Die Wittener Forscherinnen Katharina Pilgrim und Sabine Bohnet-Joschko haben die Online-Inszenierung der 50 erfolgreichsten deutschen Fitness-Influencer:innen untersucht, bemerkenswerte 42 von ihnen Frauen. Ihre wenig überraschende Bilanz: „Inhalte konzentrierten sich speziell auf das Aussehen und propagieren Bewegung aus optischen Gründen.“ Abnehmen, Beachbody, Sixpack. Sport, von allen gemeinschaftlichen Potenzialen befreit, als reine Optimierungskur.

Es ist die letzte Zuspitzung des kommerziellen Sports, nämlich Verkaufen unter dem Vorwand von Sport. Für jede und jeden erreichbar ist auch diese Laufbahn nicht, die Währungen sind bloß andere: Normschöne Körper, häufig digital bearbeitet, preisen Workouts an, die sich eher um eine „krasse Challenge“ und schnelle Körperveränderung drehen als um Gesundheit und Spaß, untermalt mit einer You-can-do-it-Transformationsgeschichte. Selbst Medienliebling Rezo machte 2022 eine Fitness-Challenge mit Vorher-nachher-Körperbild – und reichlich Werbung für Nahrungsergänzungsmittel.

Netzsport, das ist auch eine gendernormiert geteilte Welt. Auf dem höchst erfolgreichen Youtube-Kanal des österreichischen Kraftmeiers Sascha Huber, männliches Pendant zur lachsrosafarbenen Welt von Pamela Reif, posieren brüllende Männer mit Sixpacks oder ziehen um die Wette Panzer. Gemein ist vielen eine totale Vermarktung des Körpers und das Überwinden von dessen Grenzen. Hier zahlt kein Publikum, Klub oder Medienanstalt, hier zahlt die Gehälter fast allein die Industrie. Man merkt’s.

Wer mit Hingabe anfängt, wird mit zunehmendem Erfolg schnell lebende Dauerwerbung für zweifelhafte Nahrungsergänzungsmittel und den Kauf der nächsten Klamotte oder Sportausstattung. Ein einträgliches Feld: 81 Prozent der Sport-Konsumausgaben der über 16-Jährigen entfallen auf den informellen Sport.

Sie sind Trei­be­r:in­nen auch der Adaption von Sportmode als Alltagsmode, der Omnipräsenz der Yoga-Pants und weißen Sportschuhe. Die Käuflichkeit allein ist kein Sondermerkmal der Sport-Influencer:innen. Auch der organisierte Sport ist oft eine bessere Teleshoppingsendung. Was aber schmerzlich fehlt, ist das kritische Korrektiv. Auch weil Jour­na­lis­t:in­nen fast nie berichten und kritische Kommentare kaum eine Chance haben gegen die Flut der Fanposts.

Hier spricht die Influencerin direkt zum Fan. Keine Nachfragen, keine Einordnung, kaum investigative Recherchen. Kritik in Form von Fanprotesten oder Reaktionsvideos anderer Influencer gibt es, bleibt aber doch ein eher limitiertes Mittel, um Grundsätzliches zu bewegen. Es fehlt vor allem eines: andere Verdienstmöglichkeiten, die kritische Angebote fördern und Unabhängigkeit gegenüber Sponsoren ermöglichen.

Nicht mit Firmen verheiratet

Nur manchem wird diese Welt zu eng. Mountainbike-Influencer Fabio Schäfer entschied sich Anfang 2023, die Zusammenarbeit mit seinen Sponsoren zu beenden. „Ich habe einfach mal Bock, andere Sachen außer immer nur Biken, Biken, Biken zu machen. […] Ich habe gemerkt, auf einmal muss ich mich rechtfertigen bei Zuschauern oder Sponsoren, und da habe ich einfach keinen Bock drauf. Ich bin nicht verheiratet mit Firmen“, so Schäfer. Der Preis, den man eben zahlt als Sportprofi.

Getrennte Welten sind der Netzsport und der analoge Sport nicht, sie ergänzen und beeinflussen sich. Den Schritt zu Turnieren ging als Erstes der eSports, mittlerweile operieren gerade Formate, die sich an männliches Publikum richten, auch im Fitnessbereich viel mit Wettkämpfen, Rekorden, Challenges – bloß ohne Qualifikation, sondern unter geladenen Influencer:innen.

Hoch erfolgreiche Webformate wie die Survivalshow „7 vs. Wild“ kombinieren Wettkampf, Reality-TV und Erzählungen von Männlichkeit. Und manchmal strahlt all das wiederum auf das aktive Sporttreiben unter jungen Fans aus.

Allem zum Trotz: Die allergrößten Sport-Influencer sind immer noch andere. Aus Deutschland heißen 2023 die branchenübergreifenden Instagram-Spitzenreiter Toni Kroos und Mesut Özil. Unter den Top Ten finden sich sieben männliche Fußballer.

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15 Kommentare

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  • Dass Sport und Fitness heute einen ganz anderen Stellenwert als noch vor 20 Jahren hat, liegt im Grunde auch an genau solchen Influencern. Die Unternehmen kennen mittlerweile die Macht der Influencer und natürlich dreht sich dort das Geldrad. Unterscheiden lassen sich die Influencer allerdings doch recht schnell in hochwertigen Fitness-Content und Müll ... und dementsprechend werden sie auch konsumiert. Der Fitnesskonsument ist lange nicht der blinde Lemming, der jeden Mist glaubt - sondern durchaus oft selbst gut aufgestellt, was das Wissen über den Sport oder eben Ernährung angeht. Auch, ob Mist verkauft wird oder nicht, wird von einer Community mittelfristig offen- nicht vom Influencer festgelegt (von ihm lediglich vorgestellt und massiv/effektiv beworben) ...

  • Meine Güte, leben und leben lassen. Was hier so alles an platten Klischees verballert wird, ist doch keinen Deut besser als die gelackte bling, bling Influencer Welt. "Normschön, gendernormiert, prekär, Beachbody, Sixpack. Niedriger Bildungsabschluss". Schublade auf, Schublade zu.



    Und genauso stocksteigf und konservativ wie die "alten, männlichen Vereinsmitglieder" liests sich auch. Als ob Schönheitsideale, oberflächliche Trendreiterei und bereitwillige Groupies erst mit Social Media erfunden worden wären. Und Werbung? Jeder Kreisligaverein, jedes Fitnesstudio, jede Kletterhalle ist mit Werbebannern zugekleistert. Bei den achso kritischen TV Übertragungen gibts in jeder Werbepause fragwürdige Clips. Bei der WM in Katar, wo alle hier völlig entsetzt waren, wurden in den Pausen Clips für Urlaub in Saudi Arabien geschaltet.

    Der Fußballverein bei mir um die Ecke, hat mittlerweile reine Mädchenmannschaften bis in die



    E Jugend runter. Vor 20 Jahren unvorstellbar. Und jede Wette, dass die meisten dieser Kids auch solche Videos schauen. Und dümmer als die offline Genaerationen vorher sind die auch nicht.

  • Ist das nun besser oder schlechter als der durchkommerzialisierte "Vereins"-Sport Fußball (u.a.)? Gibt es im organisierten Sport, gerade im Spitzensport nicht immer wieder Missbrauchs- und Doping-Skandale? Ist es schlimm, dass Mädchen zu Hause Sport machen, oder schlimmer, dass sie sich in der Öffentlichkeit, im Verein oder im Studio nicht sicher fühlen? Und ist das "normschöne" Körperbild nicht vielleicht eine Verbesserung gegenüber all den Mädchen, die sagen "Meine Eltern/mein Freund wollen nicht, dass ich Sport mache, weil ich dann wie ein Mann aussehe"?

    Es gibt in Bezug auf (gerade weibliche) Körper und Bewegung in unserer Gesellschaft vieles anzuprangern, die paar jungen Frauen, denen es gelingt, im System genug Geld zu verdienen, um nicht auf einen gut verdienenden Mann angewiesen zu sein, sind es nicht unbedingt, denke ich. Übrigens ist das in der Wissenschaft, die ich besser kenne, nicht anders: Das Modell "Mann verdient, Frau kann brotlose Karriere betreiben" ist auch da noch viel zu weit verbreitet.

    • @Zangler:

      Es ist ja nicht "schlimm", aber doch mit vielen Nachteilen verbunden, wenn viele Menschen gesteuert von ihrem kleinen Ding (Smartphone) sich bewegen. Und dieser Sport fördert das halt noch weiter. Es gibt ja kaum noch Menschen, die man auf der Straße beobachtet, die selbstständig sind. Es sind kleine Kästchen, an denen "Menschen" kleben und deren Bewegungen sie zu steuern scheinen. Diese Kreaturen sind sofort hilflos und einsam wenn man ihnen das Ding weg nimmt. Um zu vermeiden, dass sie es verlieren, wird IMMER darauf geschaut, bei allen Verrichtungen im öffentlichen Raum. Daheim ist es dann genauso, siehe Sport usw. Da wäre eine Sportart bei der der Trainer fordert, dass das Handy eine Stunde im Kleiderspind eingeschlossen wird, echt ein Segen, damit die Menschen ihre Blicke mal auf was anderes richten als nur auf ein 5 Zoll Ding, wo sie dann schielen müssen.

  • "Die umtriebige 26-Jährige mit normschönem Look – blond, schlank, weiß, dauerlächelnd und verdächtig schweißfrei."

    Wir leben also mittlerweile in einer Gesellschaft in der es völlig legitim ist auf Basis von Biologismen zu be und verurteilen.



    Es sind solche die diese Gesellschaft tag ein tag aus mehr spalten

    • @Usch Bert:

      Dieses Be- und Verurteilen gab es schon immer. Allerdings geschieht dies heute von zwei Seiten kommend: die vermeintlich Moralischen (wie hier im Artikel) und die alte Art.

  • ...gehört zum effektiven Ergebnis von Sport, definitiv nicht auch frische Luft ?

  • Liggers. “Verkaufen unter dem Vorwand von Sport“



    Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen •

    • @Lowandorder:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch schlenzt ein

      “Moin







      Sport ist fort.



      Es zählt der Mensch am End



      nur als Konsument.







      (Müsste ich eigentlich gendern. Sie dürfen's gerne ändern.)“

      Nein - 😈 Düwel ook -



      Lot ik man sein.

  • Die Moderation: Kommentar entfernt, bitte halten Sie sich an unsere Nettiquette.

    • @Marc T.:

      Sex sells. Online bei allem. Ich finde nur problematisch, dass der Staat den Zugriff auf solchen, teils- unqualifizierten content für minderjährige nicht etwas einschränkt. Wenn man bedenkt, dass solche Pfosten wie Andrew Tate Vorbild für Jungs sind, kann einem nur Angst und Bange sein.

      • @Okti:

        Ich bin froh, dass sich der Staat nicht in jeder Ecke festmacht.

      • @Okti:

        Ach, die EU hat da schon die Lösung, siehe DSA bis Chatkontrolle. Das Kinder-Internet mit Ausweis-Pflicht wird kommen - für Alle.

        Der fürsorgliche Staat wird sich schon darum kümmern das Sie & Ich nur die richtigen Informationen (aus Sicht der EU) bekommen.

        • @Thorsten Gorch:

          Ihnen ist aber schon bewusst dass der Staat wir alle sind, ja? Und ich redete von Kindern und nicht Zensur für alle, wie Sie hier fälschlicherweise suggerieren.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Marc T.:

      Solange sie vorm Monitor sitzen bleiben