Dramaturgie der Youtube-Fitness: Erschöpfung und Erlösung
Wer sich Fitnessvideos mehrfach anschaut, kann irgendwann nicht nur mitturnen, sondern auch mitsprechen.
Es hat bestimmt keine Pandemie gebraucht, um viele von uns vor die Bildschirme zu treiben, damit wir dort Fitness machen. Die Pandemie hat aber auch nicht geschadet. Auf Plattformen wie Youtube gibt es abertausende Videos, die zum Sport einladen. Intervalltrainings, Pilates, Muskelaufbau mit Eigenkörpergewicht. Sie werden von Millionen geschaut mit dem Ziel, ihre Körper zu verändern. Doch es wird auch gesprochen. Die Instruktoren in diesen Videos denken sich allerlei Worthülsen aus, um die Zuschauenden bei der Stange zu halten. Fast wie ein Theaterstück wird die Fitness inszeniert, mit Sprechakten, die sich in etlichen der Videos wiederholen. Es geht um eine Sprache, die antreiben und einnehmen soll. Es wird eine Gemeinde der Aktiven geschaffen. Wo das Gemeinsame des Sports im Studio fehlt, muss diese körperliche Anwesenheit hier sprachlich hergestellt werden. Die Vorstellung beginnt.
Die Fitnessbühne ist bereitet. Im Bildausschnitt sehen wir mal einen glänzenden Holzboden, mal einen funktionalen Gummibelag. Es mögen Pflanzen – nur wenige – in einer Ecke stehen. Vielleicht blicken wir auch auf ein Fenster, hinten an der Wand. Draußen erkennen wir die Silhouette einer Stadt. Aufgeräumt muss es sein und reinlich. Gleichzeitig zur Produktivität einladend. Wohnlich, aber nicht gemütlich. Modern, aber nicht luxuriös. Es soll eine Nahbarkeit entstehen: Es könnte unsere Wohnung sein.
„Denkt euch immer: ihr freut euch drauf“
Am Anfang erinnert uns die Trainerin daran, wieso wir das Video überhaupt angeklickt haben. Da stehen wir in unserer Sportkleidung und hören, dass wir uns in den nächsten 20, 30, 60 Minuten verausgaben werden – und dass wir das auch wirklich wollen. Es ist eine performative Sprache, eine die die Lust am Sport nicht nur beschreiben, sondern sie auch gleichzeitig herstellen will. Im Warm Up wird uns klargemacht, dass wir das alles nur für uns machen. Für unsere Körper, unsere Gesundheit. Die meisten digitalen Trainings beginnen mit diesem Versprechen: Ihr werdet euch danach gut fühlen – während wir immer noch überlegen, ob wir vielleicht doch ein anderes Video anklicken sollten.
„Ich weiß, ihr hasst mich jetzt“
Nach dem Aufwärmen geht es ans Eingemachte. Vor besonders schweren Übungen – Side Plank Crunches etwa – sagen die Trainer uns, dass sie wissen, wie wenig wir diese Bewegungen mögen – und wir sie dafür hassen dürfen. Es ist fast so, als würden sie uns kennen – jede Schweißperle, die gerade unseren Rücken runterkullert. Sie geben uns einen Kanal, in den wir diese destruktive Energie leiten können. Auf unserer Matte liegend hören wir die erlösenden Worte, während wir erneut versuchen, unsere Hüfte seitlich zur Decke zu strecken. Also schreien wir den Bildschirm an.
„High Knees werden High Knees genannt, weil die Knie hoch sind“
Es ist in diesen Videos wichtig, dass gesprochen wird. So wie das Publikum im Theaterstück nervös wird, wenn zu lange Stille herrscht, brauchen wir anscheinend auch beim Schwitzen die sprachliche Vergewisserung, dass alles noch nach Plan läuft. Die Tautologie ist perfekt dafür. Denn egal, was gesagt wird – es mag überflüssig sein, aber doch immer wahr. Ja, bei High Knees sind die Knie wirklich hoch. Darum heißen sie so. Hier gibt es keine Verunsicherung, keine Unbestimmtheit. Wir müssen auch nicht nachdenken – was die Instruierenden sagen, das ist richtig.
Pause
Die Pause im Fitnessvideo ist eine heikle Angelegenheit. Betreten blicken die Trainer in die Kamera. Ein Schluck Wasser sollen wir trinken, die Beine ausschütteln. Antreibende Worte sind nutzlos, wir sollen uns ja ausruhen. Während wir, Theaterbesuchern gleich, zum kühlen Nass greifen oder frische Luft am Fenster schnappen, müssen sie ausharren. Die Bühne können sie nicht verlassen. Erleichtertes Aufatmen, als der Timer anzeigt, dass die Pause vorbei ist.
„Bei mir sieht das immer ein wenig blöd aus“
Die Trainer müssen menschlich bleiben. In einem sprachlichen Akt der Selbstherabsetzung werden sie nahbarer. Die Trainerin sagt uns, dass sie nicht so gut im Boxen ist wie ihr Kollege. Dass das bei ihr blöd aussieht. Und wir erkennen, dass sie eine von uns ist. Sie hat genauso Angst sich zu blamieren. So können wir das Video immer und immer wieder anklicken – um mit ihr besser zu werden. In diesem Zugeständnis, nicht perfekt zu sein, finden wir uns und unsere Makel wieder. Wir werden daran erinnert, dass der Sport auch absurd ist; diese ungelenk zappelnden Körper. Eben darum stehen wir vor einem Bildschirm und nicht im Fitnessstudio. So blamiert sich jeder für sich.
„Wir strecken unser Bein hoch zum Boden“
Je länger das Video geht, desto mehr stolpert die Sprache. War sie in der Tautologie noch unbeugsam, fällt sie nun über ihre eigenen Beine. Die Trainer versprechen sich, lachen unsicher. Was wie Kontrollverlust aussehen mag, ist die Inszenierung von Authentizität. Ein Kunstgriff: Das sprachliche Stolpern hätte vor dem Hochladen des Videos herausgeschnitten werden können. Der Regisseur im Theater choreografiert den Sturz eines Schauspielers. Die Trainerin bezeugt ihre Erschöpfung durch Unsinnssprache. Und wir sitzen hechelnd davor und sind froh, dass es nicht nur uns so geht.
„Denkt dran …“
Schließlich bricht die Sprache ab. Die Atemlosigkeit setzt ein und zerstört jede Eloquenz. Sätze beginnen und … Während die Trainer in den letzten Minuten des Trainings zur vollen Verausgabung antreiben wollen, geraten sie selbst an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Das Performative der Sprache endet hier, die Erschöpfung nimmt zu … Noch 55 Liegestütze, 10 weitere Sekunden in der Plank – wir hören nur noch Schnauben. Unseres und das der Trainer. Dann sinken wir zu Boden. Nach einem Cool Down bleibt den Trainern ein Wunsch: Bitte abonniert den Kanal und lasst ein Thumbs Up da.
Ende
Nun ist die Fitnessinszenierung endlich zu Ende. Applaudieren ist nicht nötig, wird auch gar nicht verlangt, so viel Energie haben wir schließlich auch wirklich nicht mehr. Doch es wird jetzt deutlich: Auch in der Erschöpfung braucht es noch Sprache. Gerade jetzt, da wir uns erneut in der Vereinzelung wiederfinden, ist es bedeutsam, scheinbar persönlich angesprochen zu werden. Wie im Theater blicken wir auf eine Bühne, auf denen die Darsteller uns aber direkt anreden – oder so tun als ob. Wir sehen Menschen. Die Worte mögen Floskeln sein, auf die die meisten von uns gar nicht richtig hören. Doch der Sport, die intensive Bewegung des eigenen Körpers, ist eine höchst emotionale Angelegenheit. Um die einordnen zu können, brauchen wir die Sprache. Oder wie ein Kommentator es recht eloquent ausdrückt: „Du weißt, dass das Training echt ist, wenn dein Gehirn anstelle deines Herzens zu pochen beginnt.“
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