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Deutschrap ist totkommerzialisiertBlackout zum Mitschunkeln

Wer innovative deutsche HipHop-Künst­le­r:in­nen sucht, wird meist jenseits von Blingbling fündig. Eine Bestandsaufnahme.

Kool Savas in Gräfen­hainichen, 2021 Foto: M. Patzig/Bridgeman Images

Vor einem Zelt sitzt eine Gruppe Jugendlicher, trinkt Bier und chillt zum Sound einer Boombox: Aus ihr wummert „Lebt denn dr alte Holzmichl noch“ von De Randfichten. Eine Szene, die es so tausendfach gibt, nur, diese trägt sich auf dem Zeltplatz des größten deutschen HipHop-Festivals zu, das alljährlich im sachsen-anhaltinischen Gräfenhainichen stattfindet. Volkstümliche Musik beim Camping und HipHop auf der Bühne?

Der Eindruck täuscht nicht, Deutschrap ist zur Volksmusik geworden. Das mag sich vielleicht skurril anhören, weil das Genre in den frühen 1990ern zunächst durch einen „Coolness“-Faktor von Mainstream-Popgenres abgrenzbar war. Der Stempel „volkstümliche Musik“ meint weniger den Klang und Text­bot­schaft­en, die immer noch den US- und französischen Vorbildern nacheifern, eher geht es um die breite gesellschaftliche Akzeptanz von HipHop. Er ist längst nicht mehr Soundtrack einer migrantischen Minderheit und hipper Studierender, wie einst.

Beschwerlicher Weg

Deutschrap verändert sich und damit auch die sozialen Milieus, in denen seine Musik gehört wird. Raus aus der Nische, rein in die Masse. Für Deutschrap-­Pio­nie­re war es ein langer Weg bis zur Anerkennung ihrer Kunstform: „Als ich Anfang der Neunziger mit Rappen anfing, wurde ich belächelt. Meine Musiklehrerin sagte mir, dass HipHop keine richtige Musik sei. Und wenn ich draußen auf dem Ghettoblaster Rap hörte, hieß es schon mal ‚Mach die N-Wort-Musik‘ aus“, erklärt auch der Braunschweiger MC Rene, bürgerlich René El Khazraje.

Der 46-jährige MC Rene zählt zu den einflussreichsten Rappern seiner Generation, obwohl er weniger bekannt ist als seine Kollegen Advanced Chemistry (Heidelberg) und Samy Deluxe (Hamburg). Ab 1991 trat er bei HipHop-Jams auf, 1995 veröffentliche er sein Debütalbum „Renevolution“.

Derweil konnten die Stuttgarter Fantastische Vier als erster hiesiger HipHop-Act Chartserfolge im Mainstream feiern. Trotzdem war noch nicht daran zu denken, dass Rap mit deutschen Texten an der Spitze der Musikindustrie stehen würde.

Erst Mitte der nuller Jahre landeten Rapper des Labels Aggro Berlin im Mainstream, indem sie sich als randständige Gangsta und gesellschaftlicher Bodensatz inszenierten. Seit jener Zeit finden sexistische Inhalte Eingang in Rapreime, ein Negativtrend, der bis heute anhält. Für bürgerliche Feuilletons ein willkommener Anlass, um Themen wie Gewalt und Frauenfeindlichkeit im Deutschrap zu verorten.

Meistgehört in 'Schland

Mittlerweile ist Rap tonangebend im kommerziellen deutschsprachigen Pop. Das zeigt auch der Rückblick „Wrapped Up“ vom Streamingdienst Spotify: Unter den Top 5 der meistgehörten Mu­si­ke­r:in­nen in Deutschland landeten im vergangenen Jahr vier Rapper: Luciano, Raf Camorra, Bonez MC und Cro. Auf der Poleposition der meistgestreamten Songs landete Lucianos Song „Beautiful Girl“, noch vor dem Skandal-Bierzelt-Schlager „Layla“.

Selbst gestandene Musikgrößen müssen heutzutage auf Rap zurückgreifen, um relevant zu bleiben. Der im Januar veröffentlichte Song „Komet“ von Udo Lindenberg mit dem Rapper Apache 207 ist tatsächlich der erste Nummer-eins-Hit in der Karriere des 76-jährigen Deutschrock-Urgesteins.

Viele Songs klingen mittlerweile sehr ähnlich und leicht reproduzierbar, Gangsta-HipHop vom Fließband. Die Musik klingt viel zugänglicher und erreicht ein breiteres Publikum als noch vor 30 Jahren. Komplexe Reimketten wurden durch balladenartigen Autotune-Gesang ersetzt, der klingt, als hätte ihn sich die KI Chat-GPT ausgedacht. Klassische Vierviertel-Takte und Bassdrums statt karibischer und Afrobeatsamples. Auch in Mode ist der düstere Drillsound, ursprünglich in Chicago entstanden und in Großbritannien zum Massenphänomen geworden.

Drück aufs Gaspedal

Immanenz heißt das neue Erfolgsrezept. Simple Melodien zum Schunkeln und leicht mitsingbare Texte: „Sie hört mich im Benz laut / Drück aufs Gaspedal / die ganze Stadt ist Blackout, wenn ich Party mach“, heißt es in einem Gassenhauer von AK Ausserkontrolle. Auch deswegen spricht Rap heute dasselbe Milieu an wie Volksmusik, sagt der Soziologe Aladin El-Mafaalani der taz: „Je elitärer eine Musikrichtung ist, desto schwieriger ist auch der Zugang zu ihr. Sie bleibt gewissermaßen abstrakt.

Beim Opernbesuch etwa darf auf keinen Fall mitgesungen oder sich zum Rhythmus bewegt werden. In der Arbeiterklasse geht es eher darum, dass man zu Musik tanzen kann, ohne ein Profi zu sein. Und dass mitgesungen werden kann, und auch hier, ohne richtig gut singen zu können. Die Musik muss funktionaler sein.“

Das Geschäft mit Deutschrap ist äußerst lukrativ. Ein Fünftel des Umsatzes auf dem deutschen Musikmarkt wird allein durch HipHop-Alben und -Singles generiert, laut einer Studie des Bundesverbands Musikindustrie: „Der deutsche Rap ist heutzutage weniger eine Kultur als vielmehr ein Business, an dem viele Menschen beteiligt sind – insbesondere die Major-Labels. Der Rapper von heute kann der Kapitalist sein, den er früher gedisst hat, ohne dass es für das Publikum einen Widerspruch darstellt“, sagt MC Rene der taz.

Soundtrack für Shisha-Bars

Der Hamburger Rapper Ansu, Jahrgang 1997, stimmt Oldschoolrapper Rene zu, aber nimmt die junge Generation in Schutz: „Ich gebe MC Rene insofern recht, wenn er sagt, dass Rap sehr businesslastig geworden ist. Aber ich sehe darin keinen Widerspruch. HipHop-Songs für Shisha Bars und Playlists haben auch ihre Daseinsberechtigung.“

Ansu sieht im Vergleich zu seinem 21-Jahre älteren Kollegen keine kulturelle Verwahrlosung des zeitgenössischen Sprechgesangs, im Gegenteil: „Ich würde sagen, dass Rap­pe­r:in­nen heutzutage sogar einen höheren künstlerischen Anspruch an sich selbst haben als damals. Es geht nicht nur mehr darum, ein MC mit krasser Reimtechnik zu sein, sondern auch ästhetisch zu überzeugen. Musikalisch und visuell.“

Die Playlists der Strea­ming­an­bie­ter sind ­mittlerweile die bestimmende Promotion-Platt­form für Deutschrap. Sie haben TV-Musiksender wie MTV und Viva ersetzt. Spotifys größte Playlist für Deutschrap hat mittlerweile 1,7 Millionen Abonnent:innen. Rapper:innen, die es in eine der vielgestreamten Playlists schaffen, winken Reichweitenvorteile. Und wer viel Reichweite hat, der hat auch eine große Zuhörerschaft, was letztendlich zu mehr Geld führt. Die Rechnung geht auf.

Szenografische Erzählweise

Playlist-Algorithmus beeinflusst mehr denn je, wie zeitgenössischer HipHop klingt: „Es werden Singles produziert, die sich möglichst ähnlich anhören und von der Konkurrenz nicht zu sehr unterscheiden. Ziel dabei ist, dass der Song in der Playlist bleibt. Hö­re­r:in­nen sollen nicht plötzlich herausgerissen werden durch einen unerwarteten Song“, sagt Sebastian Schweizer der taz. Er ist Chef des HipHop-Labels Chimperator, zu dem bis 2018 auch der Stuttgarter Rapstar Cro gehörte. Schweizers neues Zugpferd ist der Mannheimer OG Keemo, dessen Album „Mann beißt Hund“ (2022) vor allem durch das ausgefeilte Konzept, düsteren Trapsound und seine szenografische Reim-Erzählweise besticht. Neben Keemo gibt es auch andere Rap­pe­r:in­nen, die sich vom Einheitsbrei der Mainstream-Playlists absetzen.

Mainstream bleibt weiterhin ein Boysclub, obwohl mehr Künstlerinnen präsent sind. Die Berlinerin Adden pusht ein dominantes weibliches Image, verschafft Rapperinnen damit Sichtbarkeit und macht so auch auf das Ungleichgewicht im HipHop-Biz aufmerksam: „Wenn ich ein Mann wäre, könnte ich von meinen Einkünften längst auf Bali leben“, sagte sie vor Kurzem sarkastisch in einem Interview. Ähnlich selbstbewusst weiblich und überlegen gibt sich auch SHOKI vom Kollektiv Tiefbasskommando. Und die Bonnerin Die P liefert wortgewaltigen und konfrontativen Rap. Das Internetmagazin HipHop.de kürte sie zur besten Texterin 2021.

Durchstarten mit Charakter

Die Kreuzbergerin Wa22ermann verbindet Charakterstärke und Durchsetzungsfähigkeit, rappt lässig und lebensnah über den Alltag in ihrem Kiez. Auch was das Komponieren angeht, hat Deutschrap abseits der Charts Coolness vorzuweisen. Der Produzent Al Majeed gehört aktuell zu den innovativsten Beatschmieden hierzulande. Der Berliner mischt klassischen Boom-Bap-Sound mit Klängen aus den US-Südstaaten und R&B-Elementen.

Zurück zum Festival-Campingplatz im sachsen-anhaltischen Gräfenhainichen. Viele der Zelte sind schon abgebaut. In einem werden noch grelle Töne angestimmt, wieder ertönt ein Schlager. Es gehört zur neuen Realität, dass deutscher Rap auch 08/15- Hö­re­r:in­nen anzieht. Abseits der beliebten Playlists klingt es aber dafür spannender denn je. Dort fragt auch niemand, ob „dr alte Holzmichl noch lebt“.

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8 Kommentare

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  • Der nächste Zeitungsartikel stellt die neuen Free Jazz und Modern Creative MusikerInnen vor: Christian Lillinger und Kaja Draksler.



    Keine Rapper-Gangster mit paranoidem Kulturpessimismus, sondern mit einer humanistischen Grundhaltung.

  • Ich höre Rokko Weissensee, Argonautiks, Audio 88 und Hypnotize. Alles geiler erfolgreicher Deutschrap ohne Sexismus und Materialismus-Geprolle, dafür mit Widerspruch gegen die Leidkultur und deshalb nicht in den Charts.

    Es gibt in Deutschland für jeden Deutschrap:

    underrateddeutschr...stlerinnen/page/2/

    nur will die Masse eben Sexismus, Gewaltglorifizierung und nen dicken Benz fahren

  • Über ein paar Sachen im Artikel bin ich wirklich gestolpert. Es ist mitnichten so, dass Sexismus und Frauenfeindlichkeit erst mit den Nullerjahren oder Aggro Berlin in den Deutschrap kamen. MOR, Kool Savas (in seiner frühen Phase), Bassboxxx (um Frauenarzt etc.) haben das aus Berlin schon ab 1996 (MOR) bzw. 1998 (Bassboxxx) betrieben. Alles was damals eher Richtung 'Straße' ging war so gefärbt, aber sicher findet sich auch sowas bei 'Studentenrappern'. Spontan fallen mir frühe Texte von Blumentopf dazu ein.

    Ich würde auch Ansu dahingehend widersprechen, dass die Künstler*innen heute mehr künstlerischen und ästhetischen Anspruch haben. Das ist mMn. nonsens, denn a) waren viele (erfolgreiche) Rapper*innen auch damals darauf bedacht, cool auszusehen und gute Videos zu haben. Sie waren damals einfach mit ganz anderen Möglichkeiten konfrontiert, d.h. es war viel schwerer hochwertige Videos zu produzieren als heute, wo du mit jedem iPhone was cooles drehen kannst, wenn du kreativ bist. Abgesehen davon war Hip Hop schon immer durch und durch kapitalistisch, da irrt mMn. René und hat das - wenn man seine Karriere verfolgt - auch nie verstanden.

    So sehr ich z.B. OG Keemo auch schätze, ja, der Sound ist sehr gut (Funkvater Frank sei dank) aber warum findet sich hier keine Kritik z.B. an der transportierten toxischen Männlichkeit? Gibt es bei Keemo keinen Sexsismus? Hier fehlt mir irgendwie die Brücke zwischen der Mainstreamkritik und dass sich entsprechende Probleme überall finden lassen.

  • "Wer innovative deutsche HipHop-Künst­le­r:in­nen sucht, wird meist jenseits von Blingbling fündig."



    Ja, das war aber schon immer so

    • @PartyChampignons:

      Mist, ich hab deinen Kommentar falsch verstanden. Bitte entschuldige und ignoriere meine Antwort. Sorry

      • @Müller Christian:

        Alles gut, kein Problem, wollte nur sagen, dass es Abseits von Bling Bling auch gute Künstler gibt und gab, das ist aber nicht erst seid heute so, das war auch in den 90ern so

    • @PartyChampignons:

      Nicht so ganz, als ich Mitte/Ende der 90er als Teenager den Hip Hop für mich entdeckt habe waren es primär Gruppen bei denen Bling Bling definitiv nicht der Kern waren.



      Advanced Chemistry, Blumentopf, Fünf Sterne Deluxe (der Tobi & das Bo), Fantas, Torch, Fischmob usw….



      Da ging es eher um eine hochwertige Reimkultur und die Texte haben bedeutend mehr Selbstironie gehabt.



      Hat mir bedeutend besser gefallen als der aktuelle Hip Hop, aber vielleicht ist das auch so ein Generationen-Ding.

      • @Müller Christian:

        Ja, genau das sage ich ja, es gab auch gute Künstler ABSEITS VON BLING BLING....du verstehst mich schon wieder nicht :D