Hanau-Betroffene über Vernetzung: „Wir können uns stärken“
Serpil Temiz Unvar gründete nach dem Hanau-Attentat eine Bildungsstiftung. Nun reist sie, um sich mit anderen Terrorbetroffenen zu vernetzen.
taz: Frau Temiz Unvar, nachdem Ihr Sohn Ferhat im Februar 2020 bei dem Hanau-Attentat ermordet wurde, gründeten Sie die Bildungsinitiative Ferhat Unvar, um Rassismus zu bekämpfen. Nun reisen Sie für diese durch das Ausland, diese Woche geht es nach Istanbul. Mit welchem Ziel?
Serpil Temiz Unvar: Wir wollen Rassismus fundamental bekämpfen. Deshalb arbeiten wir mit Jugendlichen, sie sind die Zukunft. Mit unserer Stiftung gehen wir bundesweit an Schulen, geben Workshops oder Vorträge. Aber der Rassismus macht nicht an den Grenzen halt. Rechtsextreme vernetzen sich über Landesgrenzen, im Internet oder direkt. Aber wir tun das nicht. Das wollen wir verändern.
Sie trafen sich in Athen mit Magda Fyssa, deren Sohn 2013 von einem Mitglied der rechtsextremen Goldenen Morgenröte ermordet wurde.
Das war sehr intensiv, sehr emotional. Magda kämpft den gleichen Kampf gegen Hass und Diskriminierung wie ich, aber seit 10 Jahren schon. Als die Goldene Morgenröte vor drei Jahren als kriminelle Vereinigung verurteilt wurde, kam sie aus dem Gericht und rief: Du hast es geschafft, mein Sohn! Ich kannte Magda nicht, aber als ich davon gehört habe, hat mich das sofort mit ihr verbunden. Solche Sätze sage ich auch immer zu Ferhat: Mein Sohn, wir werden den Kampf gewinnen! Bei dem Treffen haben Magda und ich uns auch sofort verstanden.
Sie wollen sich mit anderen Terrorbetroffenen vernetzen?
Ja. Wir teilen die Trauer und den Schmerz, und viele wollen nun auch Veränderungen in der Gesellschaft. Wir können unsere Erfahrung austauschen, voneinander lernen, uns stärken und vielleicht einen Weg finden, zusammenzuarbeiten. Mir gibt das Kraft, zu wissen, ich bin nicht alleine. Ich brauche diese Kraft, um weitermachen zu können.
47. Ihr ältester Sohn, Ferhat, wurde am 19. Februar 2020 bei dem Attentat von Hanau getötet. Die frühere Journalistin gründete daraufhin eine Bildungsinitiative, die sie nach Ferhat benannte
Auch in Brüssel trafen Sie kürzlich, am 11. März, dem Europäischen Gedenktag für Terroropfer, andere Betroffene und warben dort in einer Rede für eine Vernetzung. Mit Erfolg?
Die Rede stand eigentlich nicht auf dem Programm, aber ich wollte sie gerne halten und war froh, das zu dürfen. EU-Kommissarin Ylva Johansson war da und ich hatte den Eindruck, dass die EU wirklich etwas gegen Rassismus tun will. Ich glaube, dass meine Worte gehört wurden. Es war beeindruckend, so viele Betroffene zu treffen und sich auszutauschen. Ich habe zum Beispiel Mokhtar kennengelernt, dessen Bruder 2018 in Straßburg von einem Islamisten erschossen wurde. Auch er will ein Bildungsprojekt starten, da können wir doch gut voneinander lernen.
Was steht jetzt in Istanbul an?
Dort werde ich Stiftungen besuchen, zum Beispiel Hakikat, die sich für ein angemessenes Gedenken an politische Gewaltverbrechen einsetzen. Vielleicht können auch sie mir Kontakte vermitteln. Eine Zusammenarbeit auch mit türkischen Betroffenen fände ich sehr wichtig.
Was können die anderen aus Hanau lernen?
Wir können zeigen, wie man sich organisiert und vernetzt. Und uns ist es gelungen, ein anderes Narrativ zu dem Anschlag zu schaffen: Diesmal steht nicht der Täter im Fokus, sondern wir, die Betroffenen. Wir wollen im Frühjahr 2024 auch Betroffene zu einer internationalen Konferenz nach Hanau einladen, genauso wie Zivilgesellschaft und Politik, und dann mal nicht über Probleme reden – sondern über Lösungen, wie wir diese Probleme überwinden.
Und was haben Sie bisher von den anderen auf Ihren Reisen gelernt?
Noch gehen die Reisen ja erst los, aber ich sehe, dass man viel Engagement und Ausdauer braucht, um etwas zu verändern. Das habe ich mir auch vorgenommen, es ist mein Versprechen an Ferhat. Ich will in den nächsten Monaten noch nach Oslo, Paris und Straßburg reisen. Ich will Dinge erledigen, solange ich noch die Kraft dafür habe. Es wird ein hartes Jahr, aber es wird gut.
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