Gedenken an Hanau: Türen zur Wahrheit suchen

Wo die behördliche Aufklärung bei rechtsextremen Terror versagt, machen Initiativen weiter. Ihrer Arbeit gilt die Ausstellung „Three Doors“ im HKW.

Ein Mann, Cetin Gültekin, der Bruder des in Hanau getöteten Gökhan Gültekin, steht vor einer Wand mit Porträts

Cetin Gültekin, der Bruder des in Hanau getöteten Gökhan Gültekin, bei der Eröffung von Three Doors Foto: Foto: Miguel Brusch/HKW

Ob eine Tür offen, geschlossen oder verschlossen ist, kann über Leben und Tod entscheiden. Das galt auch für den Notausgang der „Arena Bar“ in Hanau. Als am 19. Februar 2020 ein rechtsextremer Attentäter dort sechs Menschen erschoss, war der Notausgang verschlossen.

Wie viele von ihnen hätten überlebt, wäre die Tür offen gewesen? Das ist nur eine der Fragen, denen die Ausstellung „Three Doors“ im Haus der Kulturen der Welt nachgeht. Die Ausstellung, die noch bis Ende des Jahres zu sehen ist, ist eine Zusammenarbeit der Initiative 19. Februar Hanau, der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und von Forensic Architecture. Die Londoner Rechercheagentur untersucht weltweit Verbrechen, die von staatlichen Institutionen nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden und macht die Ergebnisse im Kunstkontext öffentlich: Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen oder eben der rechtsradikale Anschlag in Hanau.

Im Fokus der Ausstellung stehen drei Türen, die jeweils für staatliches Versagen stehen. In allen drei Fällen waren Behörden direkt oder indirekt an Verbrechen beteiligt, konnten diese nicht verhindern oder behinderten deren Aufklärung. Der Notausgang der Arena Bar etwa soll auf Anweisung der Polizei verschlossen gewesen sein, wie Zeugen berichten. Damit sollte verhindert werden, dass Gäste vor den häufigen Razzien flüchteten. Wer häufiger Gast in der Bar war, wusste also, dass der Notausgang verschlossen war. Auch Be­su­che­r:In­nen am 19. Februar 2020.

In die Falle geflüchtet

Zu erkennen ist das in einem digitalen Modell der Bar, das in der Ausstellung gezeigt wird. Ausgehend von Aufnahmen der Überwachungskameras werden darin die Laufwege der Gäste nachvollzogen. Als im Kiosk nebenan Schüsse fallen, flüchten sie in den hinteren Teil der Bar, wo sie in der Falle sitzen.

Three doors“, bis 30. Dezember im Haus der Kulturen der Welt.

Jeden Sonntag gibt es eine Führung durch die Ausstellung mit der Initiative 19. Februar Hanau, Forensic Architecture, Familienangehörigen, Überlebenden

Wären sie stattdessen mit derselben Geschwindigkeit zum Notausgang gerannt und diese wäre offen gewesen, hätten sie fliehen können. Das zeigt das Modell von Forensic Architecture und widerspricht damit den Aussagen der Behörden, wonach es keine Rolle gespielt habe, ob die Tür abgeschlossen war. Die Berechnungen zeigen, dass das schlicht nicht stimmt.

Wie aufwendig es ist, die Arbeit der Behörden nachzuzeichnen, zeigt folgendes Beispiel: Die Überwachungskameras in der Bar waren, wie übrigens auch Kameras im eingesetzten Polizeihubschrauber, nicht auf die richtige Uhrzeit eingestellt. Um den richtigen zeitlichen Verlauf darstellen zu können, mussten die Aufnahmen daher mit einem Fußballspiel verglichen und synchronisiert werden, das an diesem Abend in der Bar gezeigt wurde.

Auch die zweite Tür, die in dieser dokumentarischen Ausstellung beleuchtet wird, befindet sich in Hanau. Sie führt in das Haus des Attentäters, wo er in der Tatnacht seine Mutter und sich selbst erschoss. Einsatzkräfte, die das Haus sicherten, wollen von den Schüssen nichts gehört haben. Waren sie zu weit weg?

Mithilfe eines physischen Modells des Gebäudes, in dem aufgezeichnete Schussgeräusche abgespielt wurden, konnte Forensic Architecture ermitteln, wo die Schüsse zu hören gewesen sein müssen. Demnach hätten die Beamten die Schüsse hören müssen, wenn sie das Haus rechtzeitig umstellt hätten.

NGOs werden tätig, wenn Behörden bei der Aufklärung von Terror versagen

Die Untersuchungsergebnisse der ersten beiden Türen werden in kurzen Filmen präsentiert, durch die dritte Tür können die Be­su­che­r:in­nen der Ausstellung „Three Doors“ tatsächlich gehen. Zumindest durch einen Nachbau. Es ist die Zellentür von Oury Jalloh, der 2005 in Dessau in Polizeigewahrsam verbrannte. Laut Darstellung der Polizei soll er seine Zelle selbst in Brand gesteckt haben.

Dass das gar nicht möglich ist, haben seitdem mehrere Brandgutachten nachgewiesen. Forensic Architecture stellt nun die Frage, ob die Zellentür während des Brands offenstand. Rauchspuren an Wänden und Tür weisen darauf hin. Das würde bedeuten, dass Beamte anwesend waren und den Brand gelegt haben könnten.

Kämpfe für Aufklärung

Auch wenn die Recherchen von Forensic Architecture im Mittelpunkt stehen, bietet die Ausstellung auch Raum für all jene, die schon seit Jahren um Aufklärung in beiden Fällen kämpfen. In Videobotschaften berichten die Hinterbliebenen der Opfer von Hanau vom respektlosen Umgang der Behörden und stellen Forderungen. In einem weiteren Video wird die Initiative Oury Jalloh und ihre jahrelange Arbeit vorgestellt.

Hier wird deutlich, dass die drei Türen nicht nur ein Behördenversagen eint. Sie stehen auch für eine Antwort darauf, für Initiativen und Menschen, die sich mit offiziellen Versionen nicht zufrieden geben und aktiv werden. „Three Doors“ zeigt, dass die Zivilgesellschaft nicht machtlos ist, wenn staatliche Akteure an Verbrechen beteiligt sind oder bei dessen Aufklärung versagen.

Was Forensic Architecture „Gegen-Forensik“ nennt, findet nicht nur in Laboren und digitalen Modellen statt, sondern auch auf der Straße und jetzt im Museum.

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