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Nato-Beitritt FinnlandsGroß, aber innen schwach

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die Erweiterung der Nato überdeckt die Schwächen des Bündnisses. Es duldet einen Autokraten wie Erdogan, der andere Mitglieder erpressen kann.

Die Fahnen der NATO und Finnlands flattern über dem finnischen Aussenministerium in Helsinki Foto: Sergei Grits/dpa

D ie Nato feiert sich selbst. Größer und stärker denn je sei das westliche Militärbündnis, sagt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Beitritt Finnlands, der am Dienstag in Brüssel besiegelt wurde, sei ein historisches Ereignis. Kremlchef Wladimir Putin habe weniger Nato gewollt, nun bekomme er mehr davon.

Doch die Stärke eines Bündnisses bemisst sich nicht nur an der Zahl ihrer Mitglieder. Sie bemisst sich auch an der inneren Geschlossenheit und Solidarität – und am Erreichen der selbst gesteckten Ziele. Wer diese beiden Maßstäbe anlegt, wird Stoltenbergs Begeisterung nicht teilen können.

Die Nato ist nur nach außen stark, nach innen ist sie erschreckend schwach. Dies zeigt sich daran, dass Schweden immer noch nicht beitreten kann. Der türkische Präsident Recep Erdoğan hat ein Veto eingelegt und sachfremde Forderungen an die Regierung in Stockholm gestellt. Damit hat er Stoltenberg ausgebremst. Geplant war, Finnland und Schweden gleichzeitig aufzunehmen – und so das Risiko zu mindern, dass Putin die Wartezeit zu Provokationen nutzt. Dieser Plan ist gescheitert. Schlimmer noch: Die Nato hat sich von Provokationen aus der Türkei abhängig gemacht. Mitten im Krieg wird das Bündnis von Erdoğan erpresst.

Man muss der Nato nicht gleich den „Hirntod“ bescheinigen, wie es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einst tat. Doch in bester Gesundheit ist das Bündnis auch nicht. Es duldet Autokraten wie Erdoğan und wirkt, wenn ein Mitglied wie die Türkei ein Veto einlegt, wie gelähmt.

Nato rutscht weiter in den Krieg

Auch bei der Umsetzung ihrer Ziele hat die Nato nicht geglänzt. Sie sollte den Frieden sichern – stattdessen rutscht sie immer tiefer in den Krieg. Durch den Beitritt Finnlands bekommt sie nun noch ein weiteres Problem: Die Nato-Landgrenze zu Russland ist auf einen Schlag doppelt so lang geworden.

Wie die neue Ostflanke verteidigt werden soll, kann nicht einmal Stoltenberg sagen. Das Mehr an Sicherheit steht nur auf dem Papier. Finnland will nun einen 1.300 Kilometer langen Zaun bauen – militärisch ist dies allerdings sinnlos.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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6 Kommentare

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  • > Sie bemisst sich auch an der inneren Geschlossenheit und Solidarität – und am Erreichen der selbst gesteckten Ziele. Wer diese beiden Maßstäbe anlegt, wird Stoltenbergs Begeisterung nicht teilen können.

    Wer diese Maßstäbe hat kann ebenfalls unmöglich für eine Aufnahme von Schweden eintreten. Ich finde es faszinierend, dass die Medien kaum darüber berichtet haben, dass nach dem Angriff auf Nord Stream von Schweden gesagt wurde "Ne, also was wir herausgefunden haben, das sagen wir den Geheimdiensten in Deutschland nicht".

    Es ist unfassbar, dass das einfach akzeptiert wird und gesagt wird: Na in unser Verteidigungsbündnis dürft ihr natürlich trotzdem. Das war der größte Angriff auf deutsche Infrastruktur seit dem 2. Weltkrieg und ein ökologisches Volldesaster und man akzeptiert das scheinbar einfach so, dass hier keine Kooperation bei der Aufklärung stattfindet. Unglaublich.

    • @Chris12:

      Erst mal handelt es sich um russ. Infrastruktur, dann ist zeitgleich auch Dänemark ausgeschert, seines Zeichens längst NATO-Partner. Dazu darf ich erinnern dass beide auch Deutschlands EU-Partner sind, d.h. sowieso nebst Nachbarn. Also willst du deshalb jetzt auch gleich die EU in Frage stellen? Die Verzahnung ist ja deutlich stärker. So oder so kennen wir die wahren Hintergründe nun mal nicht, wie wir ja praktisch nix wissen oder wissen sollen zu diesem Anschlag und womöglich auch nicht mehr erfahren. Ob das jeweils Vorgeschobene so stimmt, kann man bezweifeln, zumal die auch juristische Zusammenarbeit inzw. ganz gut funktionieren soll, um die ging es im Übrigen auch. Was die Geheimdienste machen, oder wie sich erst Regierungen austauschen, steht auf nem völlig andern Blatt, man wird sich kaum über Wochen einander angeschwiegen haben. Entscheidend ist doch eh dass die Gesellschaften im Gespräch bleiben, dazu gehören Umweltverbände, Journalisten und allerlei Analysten - Profis wie Amateure - die das doch die ganze Zeit tun. Und selbst wenn es an nationalen Sicherheitsinteressen gelegen haben sollte - die übrigens auch die deutsche Seite beschäftigten, weil sich das in Schweden bei den Zuständigkeiten von Polizei und Nachrichtendiensten etwas kompliziert gestaltet - glaubst du etwa Großbritannien oder gar die USA teilten sämtliche Geheimnisse mit allen NATO-Partnern? Ein Verteidigungsbündnis zwischen Staaten hebt weder deren eigene Interessen auf noch gar die Souveränität als Staaten, aber manche haben ein Interesse daran, uns das zu suggerieren. Es ist allein Schwedens Entscheidung mit wem sie was wann warum teilen, daran wird die Allianz nichts ändern.

  • Da steht die Türkei nicht allein, auch die USA können andere Mitglieder erpressen. Wer in einer starken Position ist, wird dies bei Bedarf auch im Sinne seiner Interessen nutzen.

  • Tja, wenn man die Türkei damals in die EU aufgenommen hätte, dann wäre sie (die EU, nicht die Türkei) inzwischen wohl abgewickelt worden.

    Bündnisse haben den Nachteil extrem unflexibel zu sein. Dieser Nachteil ist beabsichtigt, denn niemand will das Risiko eingehen plötzlich im Regen zu stehen wenn die Not am größten ist. Aber es bedeutet halt auch dass man einen Soziopathen nicht einfach in die Wüste schicken kann.

    War es falsch die Türkei in die Nato aufzunehmen? Hätte man '52 absehen können wohin die Reise geht? Ich denke nicht.

  • Das ist allen Ernstes der erste Artikel, der nach dem historischen Beitritt Finnlands in der taz kommt? Gleich eine Meinung?

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      Historisch.