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Ladensterben In HamburgDer schwindende Geruch von Papier

Schon wieder geht in Hamburg ein altes Fachgeschäft ein – weder Politik noch Ver­brau­che­r:in­nen stören sich genug daran, um etwas dagegen zu tun.

Schließt nach 92 Jahren: Büromarkt Hansen in der Hamburger Schanze Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Büromarkt Hansen schließt, es gibt einen Räumungsverkauf und als ich das letzte Mal dort war, wand sich die Schlange der Kun­d:in­nen zwanzig Meter von der Kasse fast bis zur Wand. Draußen war ich an einer überfahrenen Taube vorbeigeradelt, an deren Innereien zwei Krähen rissen, und drinnen fragte eine Kundin, ob auch die Schränke zu verkaufen seien und ob sie auch nach Eimsbüttel geliefert werden könnten.

Es ist falsch, die Räumungskundschaft in die Nähe der Krähen zu rücken, schließlich will Hansen all die Papiere, Stifte, Radiergummis und Aktenordner loswerden und wer weiß, vielleicht hat die Räumungskundschaft schon vorher ihre Blöcke dort gekauft und nicht online.

Büromarkt Hansen hatte alles, was es im Universum von Schreiben, Kleben, Basteln gibt. Es war ein glücklicher Ort für einen Büromenschen, der sich für die Olympiade des am besten ausgerüsteten Schreibtisches vorbereiten wollte. Es war ein glücklicher Ort für ein entfesseltes Schulkind. Hansen war der Ort, an dem man geradeaus durch und dann nach links abbiegend vor einer kleinen Theke nach einer einzelnen Kugelschreibermine fragen konnte, für einen uralten namenlosen Kugelschreiber.

Die Angestellten von Hansen suchten so lange, bis sie die passende Mine fanden. Sie suchten mit der unterschiedslosen Sorgfalt einer Ärztin, der es egal ist, ob sie einen Privat- oder Kassenpatienten vor sich hat. Die Angestellten hatten die Würde von Leuten, die sich ihrer Sachkenntnis bewusst sind, und das schien sich den Kun­d:in­nen zu vermitteln, die man selten herumpampen hörte. Bei Hansen wusste man nie, ob man gerade mit dem Geschäftsführer oder der Geschäftsführerin sprach, weil jeder und jede es hätte sein können.

Echte Menschen an der Kasse

Hansen wirkte so wenig verstaubt wie es ein Geschäft sein kann, das mit Papier und nicht mit iPhones handelt. Trotzdem hatte es eine gewisse Zeitenthobenheit. Es gab dort so viele Mitarbeiter:innen, wie man sie in Geschäften, die ihre Personalquote an dividendefreundlichen Algorithmen ausrichten, nicht findet. Es gab eine Kasse, an der gelegentlich sogar zwei Frauen standen, die gar nicht erst versuchten, sich in Scanner-Maschinen zu verwandeln.

Hansen schließt nach 92 Jahren, es war die vierte Generation, die das Geschäft führte. Als ich den Geschäftsführer, einen schmalen Mann in Pullover mit Stehkragenhemd, nach einem Interview fragte, winkte er ab. In anderen Zeitungen wird er mit den Gründen für das Ende zitiert. Es ist eine Sammlung, die mit Homeoffice nach Corona beginnt, sich mit der Konkurrenz des Onlinehandels fortsetzt und bei der Schwierigkeit, Lehrlinge zu finden, endet.

Steigende Mieten sind nicht darunter, das ist selten in Hamburg, und es liegt daran, dass der Familie das Geschäftshaus gehört. „Dann muss man schon einiges falsch machen, wenn einem das Haus gehört“, hat mir jemand gesagt. Ich kann das nicht beurteilen, Hansen betrieb schon seit einiger Zeit parallel einen Onlinezweig, das also haben sie nicht verschlafen.

Vielleicht muss man gerade auch gar nichts falsch machen, um zu scheitern, zumindest scheitern gerade viele. Eine Auswahl der schließenden Läden aus einem Kilometer Umkreis: ein Antiquariat, ein Naturtextilienladen, ein Bäcker, ein Haushaltswarenladen – alles kleine, inhabergeführte Läden. Wer überleben will, muss, so scheint es, Kette oder edelexklusiv sein. Also Bäckerfiliale oder ein Edelbäcker wie derjenige, der sich zweihundert Meter vom Büromarkt Hansen entfernt niedergelassen hat und seine Brötchen für zwei Euro pro Stück verkauft.

In Zeiten, in denen sich alles Mögliche polarisiert, spaltet sich auch der Papierladen in Amazon-Niedrigpreis-Handel und den Tempel für handgeschöpftes Bütten aus Venedig, sodass aus der Entscheidung für den Kauf von Bleistiften auch gleich eine fürs soziale Milieu wird, wie man sie sonst an der Kneipentür trifft. Sonderbar, wenn man dem Büromarkt hinterhertrauern muss als einem Ort sozialer Mischung, weil es inzwischen so wenige sind, dass man sich die paar gegenseitig vorsagen kann.

Zu klein für Rettungsschirme

Pech für die kleinen Läden, dass sie zwischen den Relevanzstühlen sitzen, die die deutsche Politik kennt: zu klein, um Rettungsschirme jenseits pandemischer Notlagen zu verdienen, zu bodenständig, um in den elitären Kulturbegriff zu passen, der Kunstschaffende an den Brosamen innerstädtischen Leerstands teilhaben lässt.

In Paris kauft die Stadt Ladengeschäfte auf, die sie weit unter Marktpreis an Buch­händ­le­r:in­nen oder Kä­se­ver­käu­fe­r:in­nen vermietet. Weil es dort ein Verständnis für Alltagskultur gibt, das Käsegeschäfte einschließt und weil man sich in der Politik dafür zuständig fühlt, den Raum dafür zu gestalten. In Hamburg klingt das absurd, im besten Fall utopisch. Sodass es für die Hansen-Kund:innen das Klügste sein wird, ihre Briefumschläge 30 Jahre lang so günstig bei Amazon zu kaufen, dass sie vom Ersparten nach Paris reisen können, um dort in einer Papeterie vorbeizuschauen.

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18 Kommentare

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  • Selbstverständlich gibt es bei Amazon auch handgeschöpfte Papiere - etwa 200 verschiedene Sorten zur Auswahl.

    • @TheBox:

      und wenn mensch ganz ganz feste dran glaubt, hat mensch auch handgeschöpftes Bütten ;-))

      • @felixul:

        Alles andere wäre wohl Betrug und justiziabel.

        • @Ingo Bernable:

          tja, es ist aber täglicher Wahnsinn im Onlinehandel und verklagen Sie `mal eine Firma in China oder sonstwo im ostasiatischen Bereich ... viel Spaß.



          Die Kollegen könnten Ihnen Geschichten erzählen ...

          • @felixul:

            Es ging hier konkret um Amazon, die dürften wohl über eine ladungsfähige Adresse verfügen. Warum also die, mE reichlich abwegige Idee, man könne seine Bütten entweder nur im netten, kleinen Lädchen vor Ort erwerben oder online aus dubioser Quelle irgendwo in Fernost?

  • Nehmen wir an ich mache ein Kaffeeladen auf - quasi Starbucks Konkurenz.



    Ich mache alles genauso wie Starbucks. Und es kommen sogar Kunden. Trotzdem geht mein Laden pleite und Starbucks nicht. Wie kann das sein?

    Der Unterschied ist, dass ich regulär Steuern zahlen muss. Starbucks sich aber arm rechnet und kaum Steuern (in Deutschland) zahlt. Diese Differenz wird Starbucks meinem Laden immer voraus haben, selbst wenn es nur 10% sind. Sie senke ihre Preise um 5%, unterbieten mich und machen immernoch mehr Gewinn als. Und drängen mich aus dem Markt.

    Das kann man auf jede Branche übertragen. Und der Staat toleriert das. Warum?



    Er könnte etwas tun, er könnte sagen die Steuern sind hier fällig. Keine Abschreibung kein gar nichts. Gilt für alle. Gilt für meinen Laden, gilt für Starbucks. Das wäre Chancengleichheit.



    Warum tut der Staat das nicht? Weil wir Exportweltmeister sind. Wenn das alle machen würden (also die Steuern da kassieren wo das Geschäft stattfindet), dann würde dem Staat mehr Geld entgehen, als er von ausländischen Firmen die in Deutschland verkaufen einnehmen würde. Also bleibt es dabei und der Ausverkauf geht weiter.

  • Und wenn der letzte inhabergeführte Laden verschwunden ist, werden wir merken, dass auch Lebensqualität gespart wurde!

    • @felixul:

      Für mich ist der größere Gewinn an Lebensqualität, gar nicht in Läden gehen zu müssen, nicht mit Menschen reden zu müssen, deren Interesse an mir daran besteht, mir etwas verkaufen zu wollen, meine Einkäufe gemütlich nach Feierabend auf dem Sofa am Handy machen zu können, wo ich viel besser Produkte vergleichen kann und gezielt das finden kann, was ich suche - und die dadurch gesparte Zeit mit Menschen verbringen kann, mit denen mich Freundschaft verbindet.

      Es spricht ja nichts dagegen, dass ihre Lebensqualität von Kleinunternehmern mit einem bestimmten Business Model abhängt, aber dann müssen Sie dieses Unternehmen ausreichend unterstützen, dass es wettbewerbsfähig ist - nicht andere, die daran gar kein Interesse haben oder die Steuerzahler.

      • @Ruediger:

        Der Steuerzahler alimentiert vor allem die großen Firmen indem er 1. zulässt, dass sie hier fast keine Steuern zahlen und 2. die Mitarbeitergehälter aufstocken muss und wenn diese dann RentnerInnen sind, muss er auch noch deren Grundsicherung finanzieren!

    • @felixul:

      Aha, und welchen Unterschied macht es genau für meine Lebensqualität ob die geschäftsführende Person eines Ladens in dem man kauft auch Inhaber*in ist oder nicht?



      Mal ganz davon ab, dass Selbst- und Fremdausbeutung im kleinen Einzelhandel gar nicht mal so selten noch viel krasser sind als bei den Großen, nur bekommt es da eben mangels Vertretung oft kaum jemand mit.

      • @Ingo Bernable:

        Das können Sie nicht verstehen, weil Sie sich offenbar noch nie in einem inhabergeführten Geschäft haben beraten lassen und das dann auch gekauft haben, ohne zu versuchen, etwas Ähnliches billiger bei Amazon zu bekommen.

        Die Erkenntnis, das es besser sein kann, "das Richtige" zu kaufen, anstatt eine Funktion möglichst billig einigermaßen erfüllt zu bekommen ist ein Stück Lebensqualität.

        Um Lebensqualität muss man sich übrigens auch selbst bemühen. Wenn Sie Lebensqualität nicht aktiv interessiert, haben Sie die auch nicht.

        • @Sonntagssegler:

          Wenn man mal all ihre Unterstellungen (die übrigens nicht mal ansatzweise zutreffen) wegstreicht, bleibt die These, dass inhabergeführte Läden besser beraten und bessere Qualität verkaufen.



          Die Begründung warum das so sein soll bleiben sie leider schuldig, ich gehe nämlich davon aus, dass jemand der von einem Verkauf unmittelbar profitiert eben idR nicht die beste oder gar unabhängige Beratung bietet. Noch weniger plausibel ist die Annahme es gäbe einen Zusammenhang von Größe oder Form der Geschäftsführung zur Qualität der angebotenen Ware. Meine Empfehlung, wenn sie Qualität wollen kaufen sie dort wo es auch die Profis tun, beispielsweise im Gastrofachhandel (ob inhabergeführt oder nicht) wird man ihnen kaum überteuertes Retro-Emaille andrehen, stattdessen soliden Edelstahl für die Hälfte des Preises der dennoch für den Rest ihres Lebens hält.

          • @Ingo Bernable:

            Ihr negativ pessimistisches Weltbild ist schon erschreckend.



            Ich jedenfalls habe in den letzten 50 Jahren Erfahrungen gemacht, die Ihren Thesen diametral widersprechen. Dabei bin ich sowohl finanziell als auch was die Qualität der Ware betrifft sehr gut gefahren!!



            In der Regel wird in kleinen Geschäften unabhängig und qualitativ hochwertig beraten und auch die Ware entspricht dem. Den Billigmüll können diese sich gar nicht leisten. Nach kurzer Zeit hätten sie keine Kunden mehr.

            • @felixul:

              Warum pessimistisch? Ich halte das, mit Verlaub, eher für Wunschdenken das der Sehnsucht nach der guten, alten und übersichtlichen Zeit geschuldet ist. Manufactum-Mentalität eben, die lieber gar nicht so genau darüber nachdenken will, dass die einezelne authentisch bei Hansens nach eingehender Bertung erworbene Kugelschreibermine aus exakt der selben Fabrik stammt wie jene die der weniger intime Großhandel im Regal liegen hat, nur eben zu ganz anderen Konditionen. Und was spricht - nüchtern betrachtet und jenseits von Einkaufserlebns und Distinktionsgewinn - für die Annahme, dass kleine Läden sich die Kundschaft mit schlechter Qualität verschrecken, aber die Leute bei großen Läden bereit sind das zu akzeptieren?

              • @Ingo Bernable:

                Die Erfahrung, dass die Menschen auf irreführende Werbung hereinfallen und glauben, die großen wären billiger!

                • @felixul:

                  Bei den Großen ist es Werbung und Gehirnwäsche, bei den Kleinen "Beratung" und die Menschen sind alle dumm und fallen darauf herein, aber wer in kleinen Läden kauft ist schlau, der weiß noch was gut und authentisch ist und lässt sich nicht so einfach an der Nase herumführen.

                  • @Ingo Bernable:

                    ja, eben, der weiß ja auch was er will und was das, das er will, wert ist!



                    Es kann so einfach sein, wenn mensch sein Hirn benutzt!

                    • @felixul:

                      Und wenn man sein Hirn nicht benutzt wird es sogar noch einfacher.