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Oder-Konferenz in FrankfurtEin Fluss, zwei Welten

Polen plant einen großflächigen Ausbau der Oder. Umweltschützer sind entsetzt: Das Gewässer gehört zu den letzten naturnahen Flüssen in Europa.

Oder-Ufer im branden­burgischen Ratzdorf. Die Fluss­landschaft ist unter anderem bekannt für viele seltenen Vogelarten Foto: Patrick Pleul/dpa

Frankfurt (Oder) taz | „Es geht nicht darum, die Oder zum Rhein zu machen. Es geht aber um eine Entlastung von Schiene und Straße.“ Robert Radzimanowski ist Leiter Regionalpolitik der IHK Ostbrandenburg und sieht angesichts des jüngsten Berichtes des Weltklimarates IPCC dringenden Bedarf für mehr Transporte auf den Wasserstraßen. „Binnenschifffahrt ist die klimafreundlichste Transportart“, erklärte Radzimanowski auf der Oder-Konferenz, zu der gestern die Bündnisgrünen ins Kleist-Forum nach Frankfurt (Oder) eingeladen haben. „Ein Großteil unserer Unternehmen spiegelt uns, wie wichtig eine funktionierende Wasserstraße für ihr Geschäft ist“.

Die Region entlang der Grenzoder ist eine der strukturschwächsten in Deutschland. Übrig geblieben sind drei große Arbeitgeber: Die Papierfabrik Leipa in Schwedt mit 1.700 Mitarbeitern, die dortige PCK-Raffinerie mit 1.200 Jobs und das Stahlwerk ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt mit 2.200 Beschäftigten. Solarfabriken wie Odersun, First Solar oder Conergy in Frankfurt mit ehedem 5.000 Jobs sind genauso verschwunden wie das Chemiefaserwerk in Guben (am Oderzufluss Neiße) mit damals 8.000 Beschäftigten oder die Halbleiterindustrie mit ebenso vielen Jobs.

Auf polnischer Seite sind die Werft in Szczecin (Stettin) und der dortige Hafen mit zusammen etwa 9.000 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber. Vor allem aber ist die Oder die Verbindung zum Oberschlesischen Industriegebiet. Polen will den Grenzfluss zum wirtschaftlichen Aufschwung nutzen: An der Mündung zur Ostsee soll bei Świnoujście (Swinemünde) ein 1,3 Kilometer langes Container-Terminal gebaut werden. Hannah Neumann, grüne Europaabgeordnete, sagt: „2026, spätestens 2027 wird der Hafen fertig.“

Ausgelegt ist die Anlage für jährlich zwei Millionen Standardcontainer, die über die Oder ins Landesinnere verschifft werden sollen, und darüber hinaus bis nach Prag, Budapest oder Belgrad: Polen, Tschechien und die Slowakei verfolgen ein Kanalprojekt, das die Ostsee mit dem Schwarzen Meer verbindet, den sogenannten Oder-Donau-Kanal. Dafür soll die Oder ausgebaut werden.

„Sportboote, viele seltene Vögel, keine Frachtschiffe“

Für Naturschützer ist das eine Katastrophe, denn die Oder gilt als einer der letzten naturnahen Flüsse Mitteleuropas. Marta Smigrowska-Mohn vom Bündnis „Czas na Odre“ (Zeit für die Oder) macht „wirtschaftliches Interesse und Verflechtungen in die Politik“ für die Ausbaupläne verantwortlich. Ziel ist, dass die Oder in ihrem unteren Bereich in mindestens elf Monaten eines Jahres die Wassertiefe von 1,80 Meter aufweist. Im oberen, polnischen Bereich ist sie bereits durch Staustufen reguliert.

Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär Bundeswirtschaftsministerium, sieht dagegen „eine große Chance für naturnahen Tourismus.“ Im Bundesverkehrswegeplan ist die Oder als Nebenwasserstraße ausgewiesen, „es gibt Sportboote, viele seltene Vögel, fast keine Frachtschiffe“. Im Unterlauf liegt der „Nationalpark Unteres Odertal“, Deutschlands einziger Auennationalpark. Allerdings wurden 2019 in den Einrichtungen des Nationalparks oder bei den Angeboten von Naturwacht, Natur- und Kanuführern lediglich 20.000 Besucher gezählt, so wenig wie in keinem anderen deutschen Nationalpark.

Ein Fluss, zwei Welten: Deutschland hat die Oder als „weitgehend unverbauten Fluss“ eingestuft, was die Bundesrepublik gemäß Wasserrahmenrichtlinie der EU verpflichtet, einen „guten ökologischen Zustand“ wiederherzustellen – also zum Rückbau von Uferbefestigungen, Steinwällen und anderen Flussbauten, für ein natürliches Ufer. Polen kategorisierte die Oder hingegen als vom Menschen „erheblich verändertes“ Gewässer und muss deshalb lediglich das „gute ökologische Potenzial“ ausschöpfen – und das definiert sich nur über die Wasserqualität.

Ausbau geht weiter, trotz fehlender Genehmigung

Ins deutsche Bewusstsein war die Oder im vergangenen Jahr durch Gift im Wasser und ein beispielloses Fischsterben gedrungen. „Wir konnten sehr, sehr salzhaltige Einleitungen aus dem Kohlebergbau nachweisen, salziger als die Ostsee“, erklärte auf der Konferenz Nina Noelle, die bei Greenpeace Deutschland die Katastrophe untersuchte. Hauptverursacher seien zwei Konzerne gewesen, die Polska Grupa Górnicza und Jastrzębska Spółka Węglowa. Doch was hierzulande als Skandal gilt, ist in Polen legal: Die Unternehmen besitzen eine Genehmigung, die Grubenabwässer einzuleiten.

Keine Genehmigung mehr gibt es für den Ausbau der Oder: Das Oberste Verwaltungsgericht Polens hatte vor zwei Wochen einen Baustopp verhängt. „Trotzdem arbeiten die Bagger weiter“, sagt die Landtagsabgeordnete Sarah Damus aus Frankfurt (Oder). Denn in der polnischen Lesart wird nicht ausgebaut, sondern Instandgesetzt. „Wie wir wissen, laufen gerade aber auch auf deutscher Seite Bauvorbereitungen“.

„Verkehrsminister Volker Wissing duckt sich weg“, erklärt Benjamin Raschke, Fraktionschef in Brandenburg. Denn auch der FDP-Politiker war nach Frankfurt eingeladen. Raschke: „Wissing sagte ab, um im Herbst eine eigene Konferenz auszurichten.“

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4 Kommentare

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  • Moin

    „Binnenschifffahrt ist die klimafreundlichste Transportart“, erklärte Radzimanowski…

    Hat man letztes Jahr gesehen. Die Wasserpegel waren so niedrig dass die Frachter nur halb so viel beladen werden konnten.



    Also doppelt so viele fahren, Oder?



    Anscheinend wird bald auch Schweröl als klimafreundlich bewertet. Es wird ja nicht extra raffiniert und führt dadurch ja zu Haufen an Energieeinsparungen ;)

    Gruß an die Mittwelt



    Roberto

  • Kleine Korrektur zur Bewertung von Oberflächengewässern nach dem Schema der WRRL: Sowohl das gute ökologische Potential als auch der gute ökologische Zustand werden in regelmäßigen Abständen über verschiedene sogenannte biologische Qualitätskomponenten (QK) bewertet. Diese sind EU-weit die gleichen, nämlich Fische, Makrophyten (höhere Wasserpflanzen),Makrozoobenthos (mit bloßem Auge sichtbare Wirbellose) und Phytoplankton (pflanzliches Plankton). Hinzu kommen immer die Wasserchemie sowie die Morphologie (Sohl-, Uferbeschaffenheit,etc.) ,die ebenfalls bewertet werden. Der Ist-Zustand wird mit einem Soll-Zustand (Referenz) verglichen und in einem komplexen Berechnungsverfahren über alle bewertungsrelevanten Komponenten miteinander verschnitten. So wird der aktuelle ökologische Zustand ermittelt. Ziel ist für alle Wasserkörper der gute ökologische Zustand (GÖZ) bzw. bei erheblich veränderten Wasserkörpern das gute ökologische Potential (GÖP), wobei für das GÖP ein paar Abstriche bei der Erfüllung der Ziele gemacht werden. Werden GÖZ/GÖP nicht erreicht,sind Maßnahmen erforderlich,um entsprechende Verbesserungen herzustellen.



    Von einem Ausschöpfen o. ä. kann also nicht die Rede sein. Auch Polen muss in der Oder das GÖP erreichen!



    Ansonsten aber guter und wichtiger Artikel!

  • Wie Polen das „gute ökologische Potenzial“ ausschöpft, das sich über die Wasserqualität definiert, hat 2022 die Oder-Katastrophe gezeigt. Dass sie menschengemacht war und bald eine neue dieser Art wahrscheinlich uns bevorsteht, will die PiS-Regierung nicht wahrnehmen.

  • Die Unternehmen sagen, was Sache ist. Im heiligen Namen des grünen Wachstums und des Klimaschutzes wird ein Opfer nach dem anderen gerechtfertigt.



    Die Wissenschaft, die seit Jahren auf das gigantische Artensterben hinweist, wird permanent ignoriert.



    Es hat System und alle Parteien, selbst die Grünen, spielen beim Monopoly mit.