Schelte und Lob für Letzte Generation: Rüge vom WWF, Einigung mit Marburg
Aktivisten der Letzten Generation gewinnen mehr Städte für ihr Anliegen. Die Farbaktion beim Grundgesetz-Kunstwerk sorgt aber für Unverständnis.
Berlin/Marburg dpa | Farbattacken auf Kunstwerke oder sich selbst auf Straßen festkleben? Die Aktionen der Klimaaktivist:innen der „Letzten Generation“ spalten – auch in der eigenen Community. Aber sie zeitigen auch kleine Erfolge – etwa Vereinbarungen mit inzwischen schon drei Kommunen, die Klimakrise stärker in den Fokus zu nehmen.
Christoph Heinrich, geschäftsführender Vorstand der Umweltorganisation WWF, etwa findet die Aktionen der Letzten Generation nicht grundsätzlich schlecht: Sich auf Straßen festzukleben, sei „nervig, aber so ist Protest nun mal“. Außerdem richteten sich solche Formen gegen den Autoverkehr, der ja auch klimarelevant sei. Aktionen wie die jüngste Farbattacke der Gruppe auf das Grundgesetz-Kunstwerk im Berliner Regierungsviertel hält er jedoch für kontraproduktiv. „Das ist falsche Symbolik. Hier wird dem Klimaprotest ein Bärendienst erwiesen“, sagte Heinrich den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
„Ich habe die Sorge, dass Klimaschutz durch solche Aktionen im Bewusstsein der Bevölkerung nur noch als Anliegen von Extremisten wahrgenommen werden könnte“, so der WWF-Mann. Grundgesetz-Denkmäler zu beschmutzen, wirke, wie das Grundgesetz in Zweifel zu ziehen.
Am Samstag hatten Aktivisten der Gruppe Letzte Generation eine schwarze Flüssigkeit an die gläsernen Wände der Kunstinstallation „Grundgesetz 49“ des israelischen Künstlers Dani Karavan geworfen. Darüber klebten sie Plakate etwa mit der Aufschrift „Erdöl oder Grundrechte?“.
Marburger Einigung
Ganz grundsätzliche Unterstützung bekommen die Aktivist:innen nun auch in Marburg. Nach seinen Kollegen in Hannover und Tübingen hat sich der Marburger Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) mit der Letzten Generation geeinigt. Er habe einen Brief an die Bundesregierung sowie die demokratischen Fraktionen im Bundestag geschrieben, in dem er „inhaltliche Forderungen der Letzten Generation unterstützt“, hieß es in einer Mitteilung am Montagabend. Dafür wollen die Aktivist:innen künftig auf Klebeaktionen verzichten. Ein Sprecher der Letzten Generation bestätigte die Einigung.
Die Gruppe bietet einen Stopp ihrer Proteste im ganzen Land oder in einzelnen Kommunen an, wenn die jeweilige Regierung auf ihre Forderungen eingeht. Dies war teils auf scharfe Kritik gestoßen. „Erpressung ist keine Ausdrucksform legitimen Protests“, hatte der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin, der Welt gesagt. Deshalb halte er es „für naiv und gefährlich, wenn einzelne Kommunen dieser Erpressung jetzt nachgeben. Denn die nächste Eskalation folgt bestimmt.“
„Beschlusslage der Stadt“
Spies hingegen erklärte am Montag: „Ich freue mich, dass es gelungen ist, im konstruktiven Gespräch Lösungen zu finden. Unser Handeln und unsere Haltung in Marburg hat offensichtlich überzeugt.“ Die Stadt habe sich nicht erpressen lassen, sondern sei auf die Abmachung eingegangen, weil sich die Ziele der Aktivist:innen mit denen der Stadt deckten. Der Brief an Scholz bringe „zum Ausdruck, was in der Universitätsstadt Marburg Beschlusslage ist“, so Spies.
Zugleich erklärte er: „Natürlich ist das rechtswidrig, was die da machen. Da gibt's überhaupt kein Vertun. Ich finde, meine erste Pflicht ist, dafür zu sorgen, dass in meiner Stadt Recht und Gesetz umgesetzt werden kann. Genau das habe ich damit geschafft. Dass ich einen Brief geschrieben habe, der die Beschlüsse der Stadt transportiert.“
Auch die Stadt Hannover hatte sich mit der Letzten Generation verständigt. Beide Städte unterstützen die Forderung nach der Einberufung eines „Gesellschaftsrates“ aus repräsentativ und zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern. Sie sollten „die Frage beraten, wie wir in Deutschland Nullemissionen bis 2030 erreichen“.
Leser*innenkommentare
Nilsson Samuelsson
Es stellt es sich inzwischen als unübersehbare Tatsache heraus, dass unsere gegenwärtige Gesetze nicht ausreichend greifen um uns vor die Klimakatastrophe, Umweltzerstörung und Artensterben schnell genug zu schützen.
An dieser Punkt kann ich dann wieder gut verstehen, dass Aktivist:innen und auch andere unterschiedlichen Wege suchen um die notwendigen schnellen Veränderungen irgendwie herbeizuführen.
95820 (Profil gelöscht)
Gast
@PIRATENPUNK
„Gelungene Eingehung..“
So tun, als ob sie tut,
Kann Politik so gut.
Das macht den Menschen Mut.
Das Grundgesetz in Öl getaucht –
Wo sind Mühl und Nitsch,
Wenn man sie braucht?
Gegen Mühl und Nitsch
Ist das doch nur Kitsch.
de.wikipedia.org/w...Wiener_Aktionismus
de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Nitsch
Troll Eulenspiegel
Habe so das Gefühl, die Kritiker sind interpretationsschwach. Sehen nur, das GG in Denkmalform wurde beschmiert, dann auch von der letzten Generation, welche sogar von WWF oder Greenpeace kritisiert werden.
Kleine Interpretationshilfe für die Schwachen: Letzte Generation hat kein Tomatensaft benutzt, sondern Öl. Was sehen wir? Öl verschmutzt Grundgesetz! Oder einen Gedanken weiter gedacht: Ölkonzerne geben einen Dreck auf unsere Menschenrechte.
Piratenpunk
Der werte Herr Höferlin liegt falsch. Das ist keine Erpressung, das ist gelungene Eingehung.
Thomas Derrek
Wenn es wirklich Kunst ist, dann wurde sie soeben geehrt.
Steine sind tot, das Grundgesetz existiert nur in uns Menschen
fly
und es bleibt dabei,
der "Gesellschaftsrat" ist undemokratisch in der jetzigen Form. Er soll eben nicht nur beraten - dafür gäbe es genug Expert/in - sondern seine Meinung des Rates soll die Regierung umsetzen. So ist die Forderung.
Ansonsten, Marburg setzt sich schon länger innerörtlich für Tempobeschränkungen ein - das ist nicht weit weg von den LG Forderungen.
Jim Hawkins
Also reicht es, einen Brief zu schreiben, um von weiteren Aktionen verschont zu werden. Auch irgendwie schräg.
Gerade lese ich, dass die LG das Verkehrsministerium mit einem Löschfahrzeug angespritzt hat. Um dem Verkehrsminister "eine kalte Dusche zu verpassen."
Die sind mächtig in Sachen Symbolik unterwegs. Ich weiß nur nicht, was ich davon halten soll.