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Oscar für Doku über NawalnyKein Entweder-oder-Prinzip

Am Sonntag gewann der Dokumentarfilm „Nawalny“ einen Oscar. Dessen Frau hätte die Bühne nutzen müssen, um auf den Kampf der Ukraine hinzuweisen.

Szene aus dem Dokumentarfilm „Nawalny“ Foto: Warner Bros./Ap

D er russische Regimegegner Alexei Nawalny polarisierte schon immer. Im Westen wird er bis heute als Gegenspieler des Präsidenten Wladimir Putin gehandelt. Man sah in Nawalny die Verkörperung einer demokratischen Alternative für Russland. Seine Kritiker bezeichnen ihn hingegen als Nationalisten und verweisen auf Äußerungen, für die man ihn zu Recht kritisieren kann. Er bezeichnete Kaukasier als „Kakerlaken“, nannte Zentralasiaten „Kriminelle“. Für seine Aussagen hat er sich nie entschuldigt, von seinen früheren politischen Positionen ist er aber abgerückt.

Nach seiner Vergiftung mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok im Jahr 2020 entschied sich Nawalny, nach Russland zurückzukehren – obwohl er wusste, dass ihm dort die Verhaftung drohen würde. Seitdem verrottet er also in einem russischen Straflager, an einem Ort, dessen Alltag geprägt ist von Erniedrigung und Folter. Durch die Abwesenheit von Menschlichkeit sollen die Gefangenen in den Straflagern langsam zermürbt werden.

Der ukrainische Regisseur Oleh Senzow, der 2014 auf der Krim verhaftet, nach Russland verschleppt und bei einem politischen Prozess wegen Terrorismus verurteilt wurde, schrieb nach seiner Freilassung durch einen Gefangenenaustausch 2019 über seine Haftzeit in einem solchen Lager. „Schläge, Erniedrigungen, Elektroschocks, nackt in einer kalten Zelle oder in einem nassen Knastkittel zu stecken – das ist nicht das Schlimmste, was dir passieren kann“, schrieb Senzow. Für den Häftling gebe es nur ein Mittel, sich zu wehren: „nämlich sich aufzuschlitzen“. Kein Wunder also, dass Nawalnys Frau Julija Nawalnaja und seine Kinder für dessen Freilassung aus der Hölle kämpfen.

Oscar für Doku

Am vergangenen Sonntag gewann der Dokumentarfilm „Nawalny“ einen Oscar. Die Doku zeichnet unter anderem nach, dass mindestens acht Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB für die Vergiftung verantwortlich sein sollen. In ihrer Dankesrede betonte Nawalnys Frau seinen Kampf für Demokratie und träumte von dem Moment, an dem ihr Mann und Russland frei sein würden.

Nawalnajas Worte haben eine Welle an Empörung ausgelöst – besonders unter Ukrainern. Um den ganzen Komplex zu verstehen, sei noch ein Text von Variety erwähnt, der zuvor von einer abgelehnten Anfrage des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski berichtet hatte, sich virtuell zuschalten zu lassen. Als Begründung soll der Verantwortliche für die Oscar-Zeremonie, Will Packer, gesagt haben, beide Kriegsparteien seien weiß. Jedenfalls behauptet das EINE anonyme Quelle, auf die sich Variety stützt. So sehr mich dieses Argument bestürzt, wirkt dieser Bericht aus journalistischer Sicht doch ziemlich dünn.

Eine nachvollziehbare Lesart ist: Die Ukraine wurde bei den Oscars verdrängt, stattdessen gab man Russen einen Platz. Die Gewichtung bei den Oscars wirkt dann wie eine Fortsetzung dessen, was der Ukraine seit langem widerfährt: Sie wird übergangen.

Unbeschreibliches Leid

Das unbeschreibliche Leid, das Ukrai­ne­r:in­nen durch Russland im Krieg erfahren, mit dem Unrecht, das Nawalny angetan wird, zu vergleichen, führt allerdings ins Nirgendwo. Es stimmt aber: Nawalnaja hätte die Bühne bei den Oscars nutzen müssen, um auf den Überlebenskampf der Ukraine hinzuweisen. Sie hätte verdeutlichen müssen, dass selbst politische Gegner Putins das imperiale Russland über lange Zeit mitgetragen haben. Sie hätte auf die Versäumnisse der russischen Opposition hinweisen müssen.

Politischer Kampf muss jedoch nicht nach dem Entweder-oder-Prinzip funktionieren. Es muss möglich sein, die Freilassung Nawalnys zu fordern, ohne den Freiheitskampf der Ukraine zu verraten. Denn kein Mensch, egal wo auf dieser Welt, sollte unter russischem Terror leiden müssen.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Beobachtet antidemokratische Bewegungen beim Verein democ. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.
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6 Kommentare

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  • Wo wird denn die Ukraine übergangen? Tagtäglich ist sie Thema. Aber schließlich gibt doch noch andere Baustellen; und es ist gut, dass die auch einmal einen Podestplatz bekommen.

  • Hypermoral an Frau Nawalny anzulegen, die versucht, den wichtigsten Oppositionellen Russlands, ihren Mann, aus dem Gefängnis zu holen, macht es sich sehr, sehr bequem.

    Wer in dem Zusamenhang alte Vorwürfe gegen Nawalny aus dem Karton kramt, macht es sich einfach, versucht nicht, die Perspektive einer sehr komplexen historischen innenpolitischen Situation einzunehmen, in der Nawalny einen schweren Fehler machte.



    Diesen Fehler hat Nawalny mit seiner freiwilligen Rückkehr nach Russland vollkommen abgebüßt.

    Frau Nawalny solle die Mitverantwortung der russischen Opposition für russischen Imperialismus ansprechen, schreiben sie sehr fern von Russland.

    Fakt ist: Nawalny kämpft jetzt für Demokratie in Russland, sein Leben ist morgen zu Ende ist, wenn Putin es will.

    Und Frau Nawalny ist keine Politikerin, sondern kämpft als Privatperson für die Freilassung ihres Mannes. Sie äußerte sich sehr kritisch zum System Putin in Russland und riskierte dafür ebenfalls ihr Leben.

    Vielleicht hält sie sich in Bezug auf den Ukrainekrieg zurück, um ihrem Mann nicht die letzte Chance auf eine Freilassung zu nehmen.



    Niemand hat das Recht, hierzu ein moralisches Urteil abzugeben!

    Der mit der Nawalny-Doku konkurrierende dänische Film über ukrainische Kinder (Heimweh) hätte einen Oskar verdient, aber die Aussage eines ukrainischen Mitglieds des Filmteams Nawalny sei ein Pseudoheld der russischen Propaganda ist infam.

    Ukrainer sollte sich schämen, wenn sie versuchen, den Fall Nawalny politisch zu instrumentalisieren.

    www.rnd.de/kultur/...GXXU7ADB6IW24.html

    • @Lindenberg:

      Naja Nawalny hat schon problematische Ansichten auf den Konflikt was die Krim-Frage oder sein Interview mit Igor Girkin (Kriegsverbrecher verantwortlich für MH-17-Abschuss und Krim/Donbass-Krieg) betrifft.

  • Bei der Dokumentation geht es ja wohl um die unterdrückte Opposition in Russland.



    Dass Navalny zurück in sein Land gegangen ist, obwohl er mit Gefängnis und Lager zu rechnen hatte, spricht von großem Mut.



    Es ist angebracht, einer solchen Persönlichkeit Aufmerksamkeit zu widmen.



    Die Opposition in Russland ist nämlich so sehr von den Nachrichten verschwunden, dass Einige behaupteten, es habe sie nie gegeben.

  • Im Zweifel war das eben der bessere Film.



    "Die Ukraine wurde bei den Oscars verdrängt, stattdessen gab man Russen einen Platz"??

    Unter Alexei Nawalny hätte es diesen Krieg gegen die Ukraine nie gegeben. Es kann nicht immer jeder alles sagen, auch nicht seine Frau. Vielleicht hat sich auch Angst vor Repressalien.

  • "Die Gewichtung bei den Oscars wirkt dann wie eine Fortsetzung dessen, was der Ukraine seit langem widerfährt: Sie wird übergangen."



    Die Ukraine wird übergangen? Das ist aber eine ungewöhnliche Sichtweise. Über kein Land wird seit dem 24. Februar 2022 mehr geredet als über die Ukraine.



    Nicht Nawalny oder seine Frau, sondern der Dokumentarfilmer Daniel Roher hat den Oskar gekriegt. Und Roher hat die Dankesrede gehalten und sich darin ausdrücklich auf Russlands Krieg gegen die Ukraine bezogen. Und dabei wörtlich zitiert, was Nawalny selbst über diesen Krieg gesagt hat. Frau Nawalny hat danach ein persönliches 30-Sekunden Statement abgeben können.



    "Nawalnaja hätte die Bühne bei den Oscars nutzen müssen, um auf den Überlebenskampf der Ukraine hinzuweisen. Sie hätte verdeutlichen müssen, dass selbst politische Gegner Putins das imperiale Russland über lange Zeit mitgetragen haben. Sie hätte auf die Versäumnisse der russischen Opposition hinweisen müssen."



    Wieso hätte sie das müssen? (mal abgesehen davon, dass all das zu sagen doch recht lange dauern und den Zeitplan einer Oskarverleihung sprengen dürfte). Sie ist keine Politikerin, und keine Sprecherin für "die russische Opposition."



    Außerdem sind das Floskeln von Frau Zingher. Welche Versäumnisse der russischen Opposition sieht denn die Autorin, die Frau Nawalny hätte ansprechen müssen? Welche politischen Gegner Putins haben das imperiale Russland über lange Zeit mitgetragen, und was hat Frau Nawalny mit diesen Personen zu schaffen?



    Die nachvollziehbarste Lesart für mich ist, dass die echte Aufregung (von echten Ukrainern) viel kleiner war, als es scheint. Kremlbots und ukrainische Bots haben in bezeichnender Einigkeit einen zu 80% virtuellen Shitstorm gegen Nawalny und den Film entfacht. Interessant wäre es darüber zu reden, warum.