Schichtenweise Militärgeschichte: Gespenster in Feldgrau

Hohenlockstedt ist verstrickt in deutsch-finnische Militärgeschichte. Nur einer von deren Schauplätzen: das ehemalige Soldatenheim, der Högerbau.

Im Gegenlicht aus unklarer Quelle tanzt ein alter deutscher Stahlhelm ohne sichtbaren Soldaten darunter zwischen zwei Reihen von Stockbetten

Weltkrieg und Partykeller: Die Sanierung des Högerbaus bringt teils finstere Geschichte ans Licht Illustration: Jeong Hwa Min

Kränze werden niedergelegt, an der Gedenkstätte für die „Finnischen Jäger“ wehen Fahnen, nicht wenige Gäste tragen Uniform. Es sind deutsche und finnische Militärangehörige, manche noch aktiv, andere schon lange nicht mehr. Jeweils Ende Februar, Anfang März wird im schleswig-holsteinischen Hohenlockstedt der „Finnentag“ begangen. Der erinnert an das Jahr 1915. Aber worum es genau geht, das ist plötzlich wieder überraschend brisant: eine Art Entwicklungshilfe in Kriegszeiten – gerichtet gegen Russland.

Dass das Örtchen im Kreis Steinburg einen militärischen Hintergrund hat, zeigt sich an vielen Stellen. Zwar leben heute mehr als 6.000 Menschen hier, aber es dem Ort mangelt es – neben einem Bahnanschluss – auf merkwürdige Weise an einem Zentrum: Einen Wasserturm gibt es, aber keine das Bild prägende Kirche, keinen echten Marktplatz; ein typisches Straßendorf ist es aber auch nicht.

Bis 1956 hieß der Ort noch „Lock­stedter Lager“. Dabei hatte hier gar keines jener Lager gestanden, an die die Nachkriegsdeutschen sich nicht so gern erinnern. Ein Heereslager war man, und mal Preußens größter Truppenübungsplatz. Nach 1870/71 waren französische Kriegsgefangene hier untergebracht, die Wehrmacht kam und später die Bundeswehr: Bis 2004 diente der Flugplatz „Hungriger Wolf“ den Heeresfliegern als Standort. Heute wird zivil geflogen, es finden Autoschauen statt, ein Technofestival.

Umstrittene Schützenhilfe

Vor den „Finnischen Jägern“ nun mussten sich nicht Wolf oder Wildschwein in Acht nehmen, sondern russische Soldaten: Ab 1915 bildete das deutsche Militär Finnen an der Waffe aus. Unter konspirativen Bedingungen, denn Finnland gehörte noch zum zaristischen Russland, einem Kriegsgegner der Deutschen. Das dabei erworbene Know-how war elementar für die Gründung des finnischen Staats und seine Verteidigung gegen den Nachbarn im Osten: Das ist die vorherrschende Erzählung um den Finnentag; wie gemacht für Zeiten, da im Osten ein Aggressor wütet, und Finnland der Nato beitritt.

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Dass es komplizierter war, berichtete jetzt Peter Lüttge vom Kulturzentrum Abramsgården in Vörå: Nicht zuletzt kämpften die Jäger nämlich 1918 im finnischen Bürgerkrieg aufseiten der „Weißen“ gegen die „Roten“. Und mindestens einzelne finnische Offiziere nahmen im Zweiten Weltkrieg am deutschen Russlandfeldzug teil. Der Gedenkstein für die Jäger steht seit 1939, ausgerechnet.

Lüttges Vortrag war Teil des Begleitprogramms zum Tag der offenen Tür am Hohenlockstedter „Högerbau“. Der war 1912 als Soldatenheim errichtet worden. Mit Ende des Ersten Weltkriegs verlor der imposante Backsteinbau diese Funktion, diente zeitweise als Kirche (mit Turm!), war „Verzehrkino“ und Partyraum, es wohnten Menschen darin, eine Zahnarztpraxis hatte hier ihren Sitz. Zuletzt als Getränkelager genutzt, kaufte die Artur-Boskamp-Stiftung den Bau und lässt ihn seit 2019 sanieren.

Die Stiftung ist eng verbandelt mit dem Pharmakonzern Pohl-Boskamp, seit 1945 in Hohenlockstedt ansässig – ironischerweise verließ man den Berliner Stammsitz wegen der vorrückenden Roten Armee. In Hohenlockstedt betreibt sie die „M.1“, kurz für „Massivbaracke 1“, wieder so ein Hinweis auf die Geschichte; ein kuratierter Kunstort, wo man ihn nicht erwarten würde.

Die Besonderheit

Seinen Namen trägt der Högerbau nach Fritz Höger (1877–1949). Bekannt wurde der bekennende Nationalsozialist durch expressionistische Klinkerbauten wie das Chilehaus in Hamburg, das Anzeiger-Hochhaus in Hannover oder die Evangelische Kirche am Berliner Hohen­zollernplatz. Bei der Ausschreibung 1910 war er nicht die erste Wahl – sein Entwurf aber billiger als der favorisierte.

Die Zielgruppe

Es wird – auch aus Finanzierungsgründen – einige Mietwohnungen geben, auch sollen Teil­neh­me­r*in­nen eines künstlerischen Stipendienprogramms im Bau wohnen und arbeiten. Gerade aber auch die ganz normalen Ho­hen­lock­sted­te­r*in­nen sollen ihn nutzen können, mindestens den großen Saal und die Gastronomie in der ehemaligen Kegelbahn – und die Sauna natürlich. Bis zur Fertigstellung, nicht vor 2025, kann die Baustelle einmal im Monat besichtigt werden.

Hindernisse auf dem Weg

Neben steigenden Materialpreisen und ausgelasteten Handwerksbetrieben dauert alles länger – und wird teurer – durch Unerwartete: So stellte sich etwa heraus, dass das Dach nicht mehr da saß, wo es hingehört.

Ein Art Gegen- oder besser: Ergänzungsprogramm zu all den Fahnen und Uniformen: Neben mobiler Sauna, Fischbrötchen und Glühweinausschank bot man nun einen halben Tag lang Führungen durch den Högerbau an: Für viele Menschen im Ort schien das eine schöne Gelegenheit zu sein, ihn mal wieder zu betreten – und die Veränderungen zu bestaunen.

Sogar der Denkmalschutz bewegt sich

In dem zugigen, klammen Gebäude lassen sich die verschiedenen Nutzungen und Altersschichten ablesen, teils sogar anfassen: Ahornparkett von vor über 100 Jahren und die Reste von 70er-Jahre-Partykeller-Deko an den Wänden; aufdringliche Mustertapeten und schmucke Gründerzeitkacheln, die riesigen einfach verglasten Fenster, das derzeit akribisch auf seinen Zustand überprüft werdende tragende Gebälk, eine im Prinzip nie veränderte Toilette, Spuren einer Kegelbahn.

Wo noch die Gespenster der Kriegslehrlinge spuken, soll der Ort ein neues Zentrum bekommen: Barrierefrei und energetisch auf Stand wird das denkmalgeschützte Gebäude saniert. Es darf sogar eine Solaranlage aufs Dach, allerdings nur rote, nicht so effiziente Panels, und auch die nur so, dass sie ja niemand sieht. Sachte Zeichen denkmalschützerischen Tauwetters, könnte man sagen, die Vorahnung einer Energiewende. Und die hat ja auch was zu tun mit dem wütenden Aggressor da hinten im Osten.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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