Sorgerecht für Kinder nach Trennung: Veraltetes Familienrecht
Das Familienrecht macht ein nicht-emanzipiertes Lebensmodell geradezu schmackhaft. Das Wechselmodell wäre ein gleichberechtigtes Konstrukt.
H ier geht es nicht etwa um „Machtdurchsetzung“ zwischen Müttern und Vätern auf dem Rücken von Kindern, sondern um Impulse für eine moderne Gesellschaft, denn tatsächlich existiert sie einfach nicht: die Gleichberechtigung der Frauen. Sie würde den Grundrechten entsprechen, soll durch das Antidiskriminierungsgesetz realisiert werden, Quotenregelungen sollen sie durchsetzen und Gerichte gleichen einiges aus, aber die Missstände sind beruflich und gesellschaftlich verfestigt. Warum nur?
Eine denkbare Ursache ist, dass Emanzipation die Überwindung veralteter konservativer Rollenbilder notwendig macht, insbesondere beim elterlichen Bezug zu Kindern – auch bei Trennungen. Das klassisch-konservative Familienrecht aus dem Jahr 1900 fördert Gleichberechtigung keineswegs. Es erscheint als kontraproduktiv, denn es entspringt einem Ideal, das „klassische Hausfrauenehe“ genannt wird.
ist Rechtsanwalt in Frankfurt am Main und Hochschullehrer an der privaten International School of Management (ISM) in Berlin und Frankfurt.
Die gesetzlichen Grundlagen im Bürgerlichen Gesetzbuch stammen nämlich noch aus der Kaiserzeit, bestanden im faschistischen Obrigkeitsdeutschland und sind bis heute nicht überwunden. So besteht über Generationen hinweg die Rollenverteilung „Kind und Küche für Mama, Arbeit und Geld für Papa“, konsequent konservativ konserviert. Damit Frauen und Männer sich gleichberechtigt entfalten können, sollte sich das endlich ändern.
Im Kern ist allerdings familienrechtlich vorgesehen, dass das Sorgerecht bei dem Elternteil liegt, das den intensiveren Kindesbezug und Zeit für elterliche Sorge hat. Zwangsläufig ist das zunächst regelmäßig die Mutter. Ohne Eheschließung weist das Gesetz dies sogar explizit zu. Wer vor diesem Hintergrund rein pragmatisch denkt, könnte auf berufliche und soziale Selbstverwirklichung verzichten, um familienrechtliche Chancen nicht zu verschlechtern.
Konservative Geschlechterklischees
Diese Lebensgestaltung ist Wasser auf die Mühlen für konservative Geschlechterklischees, die besonders von Männern gerne als Argument genutzt werden: Emanzipation sei allseits nicht gewollt, weil die althergebrachte „Normalität funktioniere“. Selbstverständlich sollte jede Frau und jeder Mann frei über die individuelle Lebensführung entscheiden dürfen, aber solange staatlich ein nicht-emanzipiertes Lebensmodell geradezu schmackhaft gemacht wird, ist das gesellschaftliche Ergebnis nicht verwunderlich.
Um dem zu begegnen, ist eine Änderung des Familienrechts oder zumindest der oft unflexiblen Routine überfällig. Kernproblem ist dabei, ob als Regelfall „Trennungskinder“ ganz überwiegend, wie bei dem sogenannten Residenzmodell, bei einem Elternteil bleiben, oder ob der Umgang, zumindest bis zu einvernehmlicher Einigung, entsprechend des sogenannten Wechselmodells hälftig geteilt wird.
Beim Wechselmodell ist auch die Ausgestaltung möglich, wonach der Umgang jeweils in derselben Wohnung stattfindet, was Kindern Geborgenheit geben kann, wenn es finanziell machbar ist. Beide Lebensmodelle stehen alternativ zueinander, sie haben Vor- und Nachteile. Gleichwohl überzeugt eher das gleichberechtigte Konstrukt. Alle hätten dann gleiche Umgangsrechte, und um Gleichberechtigung geht es.
Der oft leider monetäre Anreiz für Zerstrittene, Druck und Gegendruck auszuüben, würde vermindert. Beide Elternteile blieben für das Kind präsent. Dem entgegen fällt bislang nach mehr oder weniger jeder zweiten Trennung faktisch ein Teil komplett. Oft ist das der Vater, aber vermehrt auch die Mutter. „Besuch“ an nur jedem zweiten Wochenende reicht sicher nicht aus.
Nichts muss für immer gelten
Kindern wird noch immer der belastende interne „Loyalitätskonflikt“ aufgebürdet, weil sie den fehlenden Elternteil vermissen und vielleicht ihr Recht durch Auszug mit den Füßen durchsetzen, was staatlich kontrolliert, aber grundsätzlich nicht verhindert werden darf. Die hälftige Aufteilung des elterlichen Umgangs ist für Kinder gewiss nicht immer die beste Lösung, etwa bei Trennungen noch vor der Geburt oder bei Desinteresse eines Elternteils. Außerdem kann das Modell für zusätzliche Unruhe im Alltag sorgen.
Andererseits wirkt Abwechslung bisweilen durchaus bereichernd. All dies ist jedoch stets abhängig von der individuellen Lebenssituation. Wichtig ist deshalb, dass die hälftige Aufteilung keineswegs eine Dauerlösung sein muss und dass versöhnliche Eltern frei in ihrer Abstimmung bleiben. Wenn dann wieder eine Vertrauensgrundlage aufgrund der solidarischen Elternverantwortung aufgebaut wird, können konsensfähige Eltern individuell andere Modelle entwickeln, aber eben aus einer Position auf Augenhöhe.
Dabei sollte beratend unterstützt werden. Kommt es zu Reibereien, bleiben Gerichte und Behörden berechtigt, um zur Seite zu stehen oder auch um zu sanktionieren. Ein solches Einschreiten ist selbstverständlich geboten, wenn sich konkrete Risiken für das Kind abzeichnen, insbesondere wenn Gefahr von Gewalt droht. Für diese Abkehr von klassischer Rollenverteilung hat der Bundesgerichtshof schon vor Jahren die Weichen gestellt.
Familienrechtlich wurden die Vorteile paritätischer Einigungsbasis wissenschaftlich fundiert und empirisch wurde Datenmaterial beschafft. Die frühere Regierung lehnte es gleichwohl kurz vor ihrem Ende ab. Die Ampelkoalition kann nun gesellschaftlich verändern. Ein Weg zu mehr Kinderrechten in gleichberechtigter Gesellschaft mit authentischer Akzeptanz kann so geebnet werden. Das wäre in Deutschland ein überfälliger sozialer Fortschritt.
In nordeuropäischen Ländern sind die Altstrukturen lange überwunden. Zumindest bestünde dann die Chance, durch ein neues Konzept Vorteile für alle Menschen zu entwickeln, anstatt in nicht mehr zeitgemäßer Tradition zu verharren. Streit nicht zu begünstigen und reale Gleichberechtigung fördern wäre deshalb eine wünschenswerte solidarische Basis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei