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CDU will Tempelhofer Feld bebauenDirekt gegen die direkte Demokratie

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Die CDU will eine Volksbefragung einführen, um die A 100 und die Bebauung des Tempelhofer Feldes durchzusetzen. Die Macht der Regierenden würde noch größer.

Würde mit tausenden Wohnungen viel schöner aussehen, findet die CDU: Tempelhofer Feld Foto: dpa

E s brauchte ein paar Tage, bis sich die Erkenntnis verbreitet hatte, dass Berlin die konservativste Regierung bevorsteht, die nach dem 12. Februar machbar ist. Am Wochenende herrschte in linken Kreisen Entsetzen darüber, dass die CDU wohl das Rote Rathaus übernimmt, und Wut, dass sich die angeblich linke Berliner SPD als Steigbügelhalter dafür hergibt.

Zu präsent ist noch das rassistisch motivierte Verhalten der CDU und ihres Spitzenkandidaten Kai Wegner in der Debatte über die Silvesterrandale – was den meisten Sozialdemokraten inzwischen nichts mehr auszumachen scheint. Immerhin hat der migrantisch geprägte Kreisverband Neukölln – politische Heimat der Noch-Regierenden Franziska Giffey – der angepeilten Koalition nun eine knappe Absage erteilt.

Vielleicht öffnen andere Ankündigungen weiteren SPD-Verbänden die Augen, auf welche reaktionäre Gemeinschaft sie sich einlassen würden. So hat Wegner am Wochenende die Randbebauung des Tempelhofer Feldes und den Weiterbau der A100 gefordert, sofern sich die Ber­li­ne­r*in­nen in einer Volksbefragung dafür aussprechen. Was wie ein demokratisches Angebot klingt, ist das Gegenteil: der Versuch, der Bevölkerung Mitspracherechte zu rauben.

Bisher gibt es einen solchen „Entscheid von oben“ in Berlin nicht, sondern nur Volksentscheide, die über langwierige Beteiligungsprozesse aus der Zivilgesellschaft herbeigeführt werden müssen. Etwa der Klima-Entscheid am 26. März, der einen Vorlauf von drei Jahren hatte. Am Ende kann, wenn die Ber­li­ne­r*in­nen dafür stimmen, ein demokratisch legitimiertes Gesetz stehen, an das sich die Regierung zu halten hat.

Ziel der CDU ist, direktdemokratische Entscheidungen schnell wieder kassieren zu können

Volksbefragungen hingegen sollen, so die Vorstellung von CDU und Teilen der SPD, die Regierung selbst herbeiführen können. Die Hürden dafür wären deutlich niedriger. Am Ende ließen sich so aber direktdemokratisch herbeigeführte Entscheidungen kassieren, wenn diese der Regierung nicht passen. Das ist ja genau das Ziel beim Tempelhofer Feld, für dessen Unveränderlichkeit 2014 eine Mehrheit der Ber­li­ne­r*in­nen votiert hatte.

Während den Bür­ge­r*in­nen vorgegaukelt wird, sie könnten über strittige Fragen mitreden, gäbe eine Volksbefragung der Exekutive noch mehr Macht. Direktdemokratisch erkämpfte Projekte wie Tempelhof, DW enteignen oder eine engagierte Klimapolitik würden schnell infrage gestellt. Wie gut, dass es für die Volksbefragung eine Verfassungsänderung und entsprechende Mehrheiten bräuchte.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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23 Kommentare

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  • Ich verstehe die Argumentation des Autors nicht ganz. Warum geht er davon aus, dass eine "von oben" initiierte Volksbefragung automatisch Resultate im Sinne der Regierung ergeben würde? Ich bin kein Berliner, aber wenn ich als Berliner eine Meinung dazu hätte, ob z.B. das Tempelhofer Feld bebaut werden soll oder nicht, würde ich in einer Volksabstimmung bzw. -befragung diese doch wohl unabhängig davon, ob sie "von unten" oder "von oben" initiiert wurde, äussern? Oder meint der Autor, eine solche Volksbefragung würde dermassen tendenziös durchgeführt, dass das Stimmvolk manipuliert würde? Oder was ist genau die Idee?

    • @Herumreisender:

      Hier in den Kommentaren werden die Begriffe Volks-Entscheid, -Befragung und -Abstimmung munter durcheinandergeworfen.



      Bert Schulz findet es zurecht der Demokratie ned förderlich, wenn ein Volksentscheid mit Ergebnis (Nichtweiterbebauung) einfach mal mit einer Straßenumfrage und anschließender Abstimmung im Abgeordnetenhaus übern Haufen geworfen wird.



      Volksentscheid=aufwendig und mit Hürden bzgl. Zahl der Entscheiider*innen, Befragung=besserer Stimmungstest.



      Warum blöd und ned unbedingt demokratisch siehe z.B. Brexit-Geschichte.

  • Verkehrte Welt.

    Eine Regierung möchte die Bevölkerung zu einem kritischen Regierungsprojekt befragen und die taz ist dagegen?

    Solche Bürgerbeteiligungen gibt es doch bereits (mein.berlin.de/). Es macht doch keinen UNterschied, ob so ein Projekt "von unten" oder "von oben" initiiert wird.

    Die Tempelhofentscheidung hat keine Ewigkeitsgarantie sondern galt für die Dauer einer Legislaturperiode. Jede Folgeregierung hat die Möglichkeit, das Gesetz zu ändern. Im Übrigen hat sich R2G durch die Bebauung ja nicht daran gehalten und unter anderem den Zirkus rechtswidrig stehen gelassen. Wo war der Aufschrei von Herrn Schulz?

    Und DW enteignen war vollkommen unverbindlich.

  • Der Autor will offensichtlich Volksabstimmungen nur dort, wo er glaubt das das Volk seiner Meinung ist.



    Aber Meinungen können sich ändern.



    2014 war die Wohnungsnot noch nicht so extrem. Also kann eine aktuelle Abstimmung zum Tempelhofer Feld heute ganz anders ausfallen. Wobei es wirklich Unsinn ist, eine Brachfläche mitten in der Stadt dauerhaft brach liegen zu lassen. Entweder bebauen oder renaturieren, aber nicht alle beim alten lassen.

  • Im Makler-Jargon nennt man das "Die Immobilie ist total unternutzt". Das geht den Immo-Haien zusammen mit einem Sabbern über die Lippen, wenn sie das ganz große Geld wittern.



    Da wird auch gerne Geld für Meinungsbeeinflussung locker gemacht. Aber die meisten Medien sind ohnehin in der Hand weniger reicher Familien. Die finden, mit ihrem Einfluss auf die Volksmeinung, die "direkte Demokratie" sowieso ganz toll ...

    • @Christian Lange:

      Das Tempelhofer Feld kann die Stadt Berlin nach erfolgreicher Abstimmung doch selbst bebauen. Dann können die landeseigenen Gesellschaften zeigen dass sie besser,schneller und für die künftigen Mieter preisgünstiger bauen können.

  • Bei Vermieter enteignen waren die Linke noch ganz begeistert und wenn es ein Thema ist, zu dem eine gegensätzliche Meinung herrscht, passt die Bürgerbefragung mit einem Mal nicht mehr in den Kram.

    Ja klar ist ja auch was ganz anderes ...

    • @insLot:

      Da könnte man natürlich fragen, was eigentlich mit der Volksabstimmung zur Enteignung geworden ist. Die wurde ja mit 60% bestätigt, wenn mich nicht alles irrt. Oder wird nur umgesetzt was in den Kram passt? 🤔

      • @Okti:

        Offenkundig soll zumindest nur gefragt werden, wenn es in den Kram passt.

        Was den Entscheid zur Enteignung angeht, ist hierbei das Grundgesetz zu beachten. Sofern der Entscheid rechtswidrig ist, wird er nicht zu Recht, weil 60 % der Teilnehmer an der Abstimmung in Berlin das für eine tolle Idee halten! Enteignung bedeutet auch Entschädigung.

        Und warum man gewillt ist, diese Summen für bereits vorhandene Bebauung auszugeben, statt durch die Schaffung zusätzlichen Angebots mit diesen Mitteln den Druck vom Mietmarkt zu nehmen, konnte mir kein Befürworter bis heute schlüssig erklären.

        • @insLot:

          Das muss Ihnen auch keiner erklären, weil Sie irrelevant sind, wenn etwas demokratisch entschieden wurde. Mir gefällt auch nicht alles was die Regierung tut, aber so sind nun mal die Gesetze, und die sollten Sie und ich akzeptieren, wenn wir in Deutschland leben.



          Was das Grundgesetz betrifft, so gibt es ein Verfassungsgericht bei dem man sich beschweren kann, wenn man meint ein Gesetz verstöße gegen das Grundgesetz, nur hat die Giffey den Volkswillen nicht mal in ein Gesetz gegossen als dass man sich darüber beschweren könnte. 🤷‍♂️

  • "Während den Bür­ge­r*in­nen vorgegaukelt wird, sie könnten über strittige Fragen mitreden, gäbe eine Volksbefragung der Exekutive noch mehr Macht." Steile These, die weder nachvollziehbar, denn vom Autor bewiesen wurde. Und bar jedes parlamentarischen Verfahrens ist.

    • @Lars B.:

      Eine starke Behauptung ist ja auch immer besser als ein schwacher Beweis, nicht wahr? Aber will man mit jemanden über Fakten sprechen, dessen Meinung feststeht?

  • Bei der großen Wohnungsnot in Berlin ein unausweichliches Thema. Man kann nicht beides haben, neue Wohnungen in der Stadt und eine so riesige Freifläche für ein wenig Spiel und Spaß einiger weniger.

    • @Lars B.:

      "und eine so riesige Freifläche für ein wenig Spiel und Spaß einiger weniger"

      Das Feld steht jedem Menschen offen zum spielerischen Vergnügen. Freiflächen sind für das Allgemeinwohl genau so wichtig, wie Wohnungen.

      • @Montagsdepression:

        Selbstverständlich sind sie das. Aber währen man in Berlin keinen preiswerten Wohnraum mehr findet, der soziale Wohnungsbau nur noch auf dem Papeir steht muß man sich die Frage gefallen lassen, ob das Tempelhofer Feld nicht zum Teil bebaut werden sollte, um der Wohnungsnot im sozialen Bereich zu begegnen.

    • @Lars B.:

      Wenn das Stadtklima durch Bebauung schlechter wird und die Infrastruktur durch zu viele Menschen aus den Nähten platzt, dann wird auch die Wohnungsnot zurückgehen. Bis dahin lockt die Stadt weitere Zuzügler an ...

  • Nach der unglücklichen Entscheidung, einen der schönsten und am besten vernetzten Flughäfen der Welt stillzulegen, war die Versuchung, den Feld zu bebauen, nur noch eine Frage der Zeit. Demokratisch oder auch nicht.

    • @Slimak:

      Wer sich darüber echauffieren kann, dass mitten in der Stadt keine Flugzeuge mehr starten und landen dürfen, hat wohl noch nie etwas von Fluglärm gehört.

  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Erst einmal Volksentscheide von oben sind in vielen Ländern Europas möglich. Was ist daran verwerflich.Ansonszen könnte FDP oder frei Wähler als proxy Vereine ja die Unterschriften sammeln wie für Tegel. Irgendwo schimmert immer die Angst durch, dass linke Politik vom wahlvolk die Grenzen aufgezeigt bekommt. Aber tatsächlich democracy, auch wenn man dem grichtigerweise nicht immer zustimmen muss.

    • Bert Schulz , Autor des Artikels, Ex-Leiter taz.Berlin
      @658767 (Profil gelöscht):

      Ich finde, jeder kann Unterschriften sammeln. Aber das ist halt ein Aufwand, der deutlich größer ist als einfach ne Befragung anzuordner per Amt

      • @Bert Schulz:

        Der jeweilige Aufwand ist für die Sache doch vollkommen unerheblich.

        Beim Volksentscheid gibt es sogar Mindestbeteiligungen. Das wird bei der Bürgerbefragung wahrscheinlich nicht der Fall sein. Auch das ist unerheblich.

        • @DiMa:

          Naja ein Quorum sollte es schon geben, damit auch eine gewisse Legitimität abgesichert ist.

          Gesetzgeberisch schwer ist das nicht, man müsste lediglich die Anforderungen des Volksentscheids kopieren. Das Gesetz ist copy&paste-mäßig innerhalb eines Arbeitstages zusemmengetrümmert.

          Wäre einen Versuch wert. Berlin ist auch das ideale Testfeld. Da kann man ohnehin nichts mehr kaputt machen.

          • @Kriebs:

            Ein Qurum ist vollkommen unnötig. Zur Erinnerung, wir haben eine parlamentarische Demokratie. Die gewhlten Abgeordneten dürfenund müssen daher bei einer Bürgerbefragung ganz unabhängig von der Wahlbeteiligung entscheiden - anders als bei einem Volksentscheid.

            Angesichts unterschiedlicher Voraussetzungen bedarf es keines copy&paste. Für eine Bürgerbefragung braucht es mangels Rechtsverbindlichkeit noch nicht mal eines Gesetzes, ergo auch kein copy & paste.