Serien-Award auf der Berlinale: Vielfältige Landschaften

„Der Schwarm“ sollte Star der Seriensektion auf dem Festival sein. Stattdessen gewann nun die Mafiaserie „The Good Mothers“ den ersten Award.

Eine Frau raucht nachdenklich, an eine Wand gelehnt

Valentina Bellè in „The Good Mothers“ Foto: Claudio Iannone/Berlinale

Ein Star soll bei jeder Berlinale dabei sein. Gemeint ist damit keine prominente Person, sondern eine Prestigeserie, mit der sich das Festival schmücken kann. Große deutsche Produktionen wie „Freud“ oder „Bad Banks“, aber auch internationale Serien wie „Better Call Saul“ feierten beim Berliner Festival ihre Weltpremiere. In diesem Jahr gab es Interesse an der postapokalyptischen Dramaserie „The Last of Us“, wie die Kuratorin der Sektion, Julia Fidel, in einem Interview verriet – doch die Computerspiel-Adaption ging zwei Monate zu früh an den Start. Stattdessen lief am Eröffnungsabend wieder mal eine deutsche Co-Produktion: „Der Schwarm“.

Mit dieser Auswahl scheint sich die Berlinale keinen Gefallen getan zu haben, denn nicht nur Frank Schätzing, auf dessen Buch die ZDF-Serie basiert, ist mit dem Achtteiler unzufrieden, auch die Medienkritiken fielen nach der Premiere am Sonntagabend negativ aus. Der MDR spricht von einer „misslungenen Verfilmung“, die Berliner Zeitung schrieb von einer „Katastrophe mit Ansage“ und die Süddeutsche überschreibt ihre Rezension einfach nur mit „Der Schmarrn“.

Und sie haben recht: Wenig gelungene Computeranimationen stören die Bildkompositionen, platte Dialoge verkitschen die komplexe Geschichte und lassen aus der bislang teuersten deutschen Produktion leider eine Enttäuschung werden.

Wenn auch aus anderen Gründen, ist es wohl eine kluge Entscheidung gewesen, dass „Der Schwarm“ nicht um den Berlin Series Award konkurrierte, der in diesem Jahr erstmalig vergeben wurde. Sieben Serien aus Ländern wie Rumänien, Norwegen oder China waren im Rennen um den Preis, der am Mittwochabend im Zoo Palast in Berlin-Charlottenburg überreicht wurde. Und unter den Kan­di­da­t*in­nen versteckten sich einige Stars.

Serienlandschaft immer vielfältiger

Im Hinblick auf Genre, Erzählart und Thema unterschieden sie sich stark – möchte man also einen Trend aus der Auswahl ablesen, dann kann man nur den erkennen, dass die Serienlandschaft nicht immer konformer, sondern immer vielfältiger wird.

Die extreme Spannbreite lässt sich an zwei gezeigten Serien verdeutlichen. Die Geschichte der chinesischen Serie „Why Try To Change Me“ ist in der Industriestadt Shenyang im Nordosten Chinas in den 90er Jahren angesiedelt. Während Dezeng Zhuang (Baoshi Dong) seinen Alltag mit der Arbeit in einer Zigarettenfabrik füllt, flüchtet sich seine Frau Dongxin Fu (Qing Hai) lieber in die Welt der Literatur. Probleme macht ihnen das fehlende Geld und ihr Sohn Shu (Zijian Dong), der den strengen Erwartungen der Erwachsenenwelt nicht standhalten kann.

So plätschert die Erzählung die erste Stunde vor sich hin: Eine Fahrt mit dem Fahrrad, eine Melone wird gekauft und gegessen, ein Kind lutscht an einem Eis, ein Junge guckt Fernsehen und knackt Sonnenblumenkerne, die Schalen stapeln sich auf dem kleinen Tisch. Der Vater arbeitet, die Mutter liest, auf der Straße singt jemand Karaoke. Kurz vor Ende der ersten Folge ändert sich die Stimmung, ein Mord passiert. Der Brauereileiter und seine Frau werden in ihrer Wohnung getötet. Kurz darauf wird ein Taxifahrer in seinem Auto angezündet. Und kurz nach den Tötungen ist Shu immer nicht weit.

Doch die Kriminalgeschichte scheint nur der Rahmen zu sein, um vom Wandel Chinas zu erzählen. So richtig klar ist nach zwei Episoden noch nicht, wohin die Geschichte möchte. Klar ist nur: Hier lässt sich jemand Zeit beim Erzählen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein deutscher Sender oder Strea­ming­anbieter die Serie von Yo Gong, Xiaohui Wang und Dalei Zhang in sein Programm nimmt. Allein die Langsamkeit der Erzählung geht gegen den Geschmack des großen Publikums und 90-minütige Episoden sind auf dem hiesigen Markt auch ungewöhnlich. Was für einige eine poetische Erzählung ist, werden andere schlicht langweilig finden. Doch auch dafür ist die Berlinale ja da – um den Blick zu weiten.

Apartments in Tiefgaragen

Die norwegische Gesellschaftssatire „Arkitekten“ ist mit 75 Minuten in Gänze kürzer als nur eine Folge der chinesischen Serie. Im Oslo der nahen Zukunft sind Schaufensterpuppen echte Menschen, Nachrichten werden per Drohne übermittelt – und Wohnungen in der Stadt kann sich kaum ei­ne*r mehr leisten. Während einige sich absichtlich Stichverletzungen zufügen, um von dem Schmerzensgeld der Krankenversicherung ihre Miete zahlen zu können, ziehen andere in Parkhäuser. Da die Innenstadt eh autofrei ist, braucht auch niemand mehr Parkplätze.

Die Architektin und Dauerpraktikantin Julie (Eilie Harboe) entwickelt ein Konzept für Mini-Appartements in Tiefgaragen. „In Berlin leben schon viele Menschen in Parkhäusern“, pitcht sie ihre Idee bei interessierten Geldgebern. Die drängenden gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit werden in dieser Serie so messerscharf auf die Spitze getrieben, dass einem abwechselnd das Lachen im Hals stecken bleibt oder Tränen in die Augen treiben.

Comedyserien waren bei der Berlinale bislang eher Mangelware. In diesem Jahr war mit der dänischen Miniserie „Agent“ gleich noch eine zweite im Programm. Darin versucht Johan (Esben Smed) gleichzeitig die Probleme seiner Familie und seiner Film- und Musikklienten zu lösen. Durchaus unterhaltsam, aber hier sind die Jokes leider teilweise etwas erwartbar.

Eine Frau greift in eine leere Box, die an einer Drohne hängt, darin ist eine Nachricht

Der Geburtstagsgruß der Mutter kommt in „Arkitekten“ per Drohne Foto: Lillian Julsvik/Berlinale

Gewonnen hat keine der witzigen Serien. Stattdessen entschied sich die dreiköpfige Jury aus der dänischen Serienschöpferin Mette Heeno, dem US-Schauspieler André Holland und der israelischen Produzentin Danna Stern für die italienisch-britische Mafiaserie „The Good Mothers“. Die Disney+-Produktion, die ab dem 5. April beim Strea­ming­dienst zu sehen ist, basiert wie die Hälfte der gezeigten Serien ebenfalls auf einem Roman. Sie erzählt von drei Frauen, die in die reichsten Mafia­familien geboren wurden und sich gemeinsam mit einer Staatsanwältin zusammentun, um das System von innen zu zerstören.

„Ultrarealistischer Eindruck“

Der Sechsteiler setzt auf atmosphärische Bilder, die einem noch lange im Kopf bleiben, und kostet die Vorzüge des seriellen Erzählens voll aus. Die Geschichten der drei Frauen, die sich gegen die Unterdrückung wehren, werden gekonnt miteinander verwoben. Und die Widerstände, mit der alle Frauen in dieser Serie konfrontiert sind, werden nach und nach deutlicher. Während die Staatsanwältin erst einmal ihre Behörde davon überzeugen muss, dass der Kampf gegen die ’Ndrangheta am besten über die Frauen funktioniert, müssen sich die anderen gegen ihre eigene Familie stellen, um sich selbst und ihre Kinder zu schützen.

Die Jury begründet ihre Entscheidung mit dem „ultrarealistischen Eindruck“, den die Serie durch Kameraführung, Szenenbild und Schauplätze bekommt. Dass die Ma­che­r*in­nen auf Hyperrealismus anstatt auf Übertreibung setzen, ist einerseits angemessen, da die Geschichte auf wahre Begebenheiten und Figuren setzt. Andererseits ist es gerade dieser Realismus, der einen Szene für Szene schaudern lässt.

Zwischen düster und humorvoll

Das Kämpferische aus „The Good Mothers“ lässt sich auch in den anderen Serien wiederfinden. Im australischen „Bad Behaviour“ kämpfen Mädchen in einem Art Survival-Internat um Zugehörigkeiten und suchen nach Identität. „Dahaad“ – eine Produktion aus Indien – gibt einer Kriminalgeschichte, in der eine Reihe von Frauen getötet wird, eine gesellschaftskritische Dimension. Und in der HBO-Produktion „Spy/Master“ wird wieder einmal eine Spionage­geschichte aus dem Kalten Krieg erzählt – dieses Mal aus Rumänien statt aus Moskau.

Zwischen düster und humorvoll war bei der diesjährigen Serienauswahl alles dabei – und man kann sich nur wünschen, dass die Serien auch auf dem deutschen Markt ihren Platz und damit ein noch größeres Publikum finden. Die Seriensektion – in den ersten Jahren noch etwas belächelt auf der Berlinale – hat mittlerweile ihren Platz bei dem Festival gefunden. Der neue Award hat seinen Beitrag dazu geleistet.

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