Kampf gegen die ’Ndrangheta: Schweigen auf der Insel
Über eine bedeutende Anti-Mafia-Operation wird in den italienischen Leitmedien nur zurückhaltend berichtet. Woran liegt das?
Und das, obwohl der Verantwortliche und wohl prominenteste Mafia-Jäger europaweit, der Leiter der Staatsanwaltschaft in Cosenza, Nicola Gratteri, die Operation als die größte seit dem Maxi-Prozess in Palermo 1986/87 bezeichnete: Ein Verfahren, das den Anfang vom Ende der sizilianischen Mafia als den Staat unterwandernde und herausfordernde Terrororganisation markierte.
Gratteri erklärte sich damit selbst zum Nachfolger der für diesen und folgende Prozess verantwortlichen und deswegen von der Mafia ermordeten Juristen Giovanni Falcone und Paolo Borsellino – zweier italienischer Nationalhelden.
Naheliegend als Begründung für das Schweigen im Walde wäre also die Vermutung, der in Italien sonst medial omnipräsente Gratteri habe es diesmal zu weit getrieben mit der Selbststilisierung – ein Begriff, den man für einen zweifellos eitlen Mann, der sich aber seit Jahrzehnten nur mit einer Eskorte bewegen kann und über dem ein Todesurteil der kalabrischen Mafiagruppe ’Ndrangheta schwebt, nur ungern verwendet.
Patriarchale Strategie
Wenn es stimmt, dass Gratteri und andere staatliche Mafiabekämpfer in Italien von Politik und Medien zunehmend allein gelassen werden, dann haben sie sich das allerdings ein Stück weit selbst zuzuschreiben – und hier wird es relevant für diejenigen, die nicht nur einfach Polizeimeldungen abschreiben beziehungsweise lesen wollen, für eine kritische Mafiaberichterstattung also.
Die Staatsanwälte haben es nämlich versäumt, die von unten gewachsene Antimafia-Bewegung mit ins Boot zu holen. In der Logik der Behörden gibt es den Bürger, der anzeigt und die Justiz, die zur Tat schreitet. In Kalabrien aber, wo die ’Ndrangheta alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrungen hat, wenn nicht beherrscht, kann eine solch patriarchale Strategie keine dauerhaften Früchte tragen.
Kalabrien muss sich selbst befreien, so wie es der Priester und Mentor von „Libera“, der wichtigsten zivilgesellschaftlichen Antimafia-Bewegung kürzlich gesagt hat: „Ich glaube nicht an die Macht. Ich glaube daran, dass wir zusammen etwas aufbauen müssen – als Gemeinschaft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt