Der Hausbesuch: Hier passiert die Magie
Matthias Möhring repariert in seiner Wohnung in Berlin-Pankow analoge Kameras. Lange schien das ohne Zukunft, nun ist er wieder gefragt.
Matthias Möhring kann etwas, das wieder wichtiger wird: Er kann so gut wie jede analoge Kamera reparieren. Die Ersatzteile dafür hat er auch. Sie sind sein Schatz.
Draußen: Die Wohnung liegt in einem Reihenhaus in Berlin-Pankow. Es ist kanariengelb gestrichen, vor der Tür ist steter Lkw-Lärm. Denn auf der anderen Straßenseite liegt der „Konsumtempel“, wie Möhring ihn nennt, eine große Filiale der Supermarktkette „Netto“. Manchmal kauft Möhring dort ein, auch wenn es ihn nervt, dass er aus seiner Werkstatt immer auf das „blöde Riesending“ schauen muss. Früher waren dort Wohnhäuser. Die sind schon lange abgerissen.
Drinnen: Auf 60 Quadratmetern befindet sich das wohl teilestärkste Ersatzlager der Analogfotografie in Deutschland. Ach was, vielleicht sogar in Europa, vielleicht sogar auf der Welt. Das Lager ist gleichzeitig seine Wohnung. 2018 musste Matthias Möhring seine Werkstatt gegenüber der Ostkreuzschule für Fotografie aufgeben. Das Geschäft lohnte sich nicht mehr. Die meisten Leute fotografierten inzwischen digital. Aber wegschmeißen wollte er die Sachen nicht. Deshalb zog die Werkstatt in sein Wohnzimmer. Von 80 auf 20 Quadratmeter. Wohnzimmer raus, Werkstatt rein. Die Wände sind voll mit Apothekerschränken; in den Schubladen stecken Ersatzteile für jedes Kamerasystem der Welt. Alte Kameras stehen natürlich auch rum. Es riecht nach Rauch, das Radio läuft. Rockmusik. Am liebsten alte Songs.
Elternhaus: Matthias Möhring kommt aus Pankow, einem Stadtteil Berlins, der früher im Osten lag; er ist Jahrgang 1958. Er wuchs an der Vinetastraße auf, unweit seines jetzigen Wohnorts. Durch die eine oder andere Beziehung landete er mal wo anders, aber nach Pankow sei er immer wieder zurückgekommen. Hier kenne er das Pflaster, hier fühle er sich wohl. Er liebt den Bürgerpark, der ist nicht weit.
Sein Traum: Eigentlich wollte er Schlagzeuger werden. Ein paar Fotos hängen in der Wohnung. Möhring hinter einem Schlagzeug, Möhring mit den Drumsticks, Möhring als Teil einer Band. Er spielte in ein paar DDR-Rockbands. Aber dann kam die Werkstatt. „Du kannst nur eine Sache machen“, sagt er und schaut lange auf die schwarz-weißen Fotografien. Das Schlagzeug ist längst verkauft, aber Musik ist bis heute seine zweite Liebe. Viel Geld hat Möhring nicht, aber wenn er sich mal was gönne, dann sei es eine CD. Gerade hört er viel Till Brönner. Im Flur stehen Platten von Led Zeppelin und Pink Floyd.
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Die Realität: Nachdem es mit der Musik nicht so richtig sein sollte, suchte er sich eine Ausbildung. Bei der DDR-Post machte Möhring eine Lehre zum Nachrichtenelektroniker. Schon als Kind hatte er mit technischen Geräten herumgespielt. Er habe sie auseinandergebaut und nicht wieder zusammenbekommen. Egal, früh war klar, er hat „ein Händchen“ für so was.
Ganz normale Arbeit: Nach der Ausbildung bekam er einen Arbeitsplatz bei der Firma Zeiss. Das Unternehmen, 1846 in Jena gegründet, gehört noch heute zu den führenden Herstellern von feinmechanischen Objektivgeräten. Bei Zeiss lernte Möhring Kameras und Objektive kennen. Irgendwann wurde ihm die Firma zu groß und er kündigte. Es folgte eine Stelle beim Berliner Verlag. Die hatten damals in der Fotoabteilung die neuesten Kameras, die neueste Technik, Hasselblad, Leica, Mamiya, Nikon. Diese Liebe zu denen, sagt er, hat standgehalten. Seine Beziehungen leider nicht. Deshalb lebt er heute allein.
Glück: Irgendwann machte der Verlag dicht. Die Hamburger von Gruner+Jahr übernahmen, für die Reparaturkräfte im Techniklager war kein Geld mehr da. Möhring bekam ein Angebot. 50.000 D-Mark Abfindung oder das gesamte Inventar der Kamerawerkstatt. Schon damals hatte er viele Kunden nebenbei, die auf ihn zählten. „Die sagten, Matti, wir brauchen dich!“ Also nahm er das Inventar und eröffnete seine eigene Werkstatt – gegenüber der Ostkreuzschule in Prenzlauer Berg. Die ist renommiert bis heute.
Business: Von da an kümmerte sich Möhring neben der Stammkundschaft vor allem um die Studierenden. Er ist kein Geschäftsmann. Meistens entscheidet er aus dem Bauch heraus, wie viel eine Reparatur kosten soll. „Das Verhandeln war nie meins“, sagt er. Aber etwas anderes habe ihm immer geholfen. „Der Ossi“, sagt er – Ossi, wie er einer ist –. „hat ja diese Macke, dass er niemals irgendwas wegschmeißt.“
Gewissenhaftigkeit: Kommerziell repariert Möhring seit 2018 nicht mehr. Die Werkstatt in seiner Wohnung ist sein Vermächtnis, seine Versicherung. Viele alte Kundinnen und Kunden haben seine Nummer. „Wenn was ist, bin ich da.“ Das macht diese Wohnung so besonders. Hier lebt er, aber hier kann er zur Not auch arbeiten. Reparatur war sein Leben. Gewissenhafte Arbeit das Wichtigste: „Wenn ich was repariere und dann geht es auf dem Job kaputt, das war wie ein Kopfschuss für mich.“
Der Schrank: Das Herzstück der Wohnung ist der alte Apothekerschrank in der Werkstatt. „Altes Eichenholz, schwer wie Sau. Der Umzug aus der Werkstatt war eine Qual“, sagt Möhring. „Jetzt steht er hier, der Riesenkoloss.“ Über hundert Schubladen, fein beschriftet mit Stabilo, Schrauben, Rädchen, Drähte, Unterlegscheiben, verschiedene Größen, verschiedene Marken, verschiedene Materialien. Niemand außer Möhring findet sich da zurecht. Wer sonst soll denn auch wissen, dass „Schraube, Kreuz, klein“ die letzte Hoffnung für das defekte Objektiv einer Mamiya 645 Kamera ist?
Der Schreibtisch: „This is where the magic happens“, sagt er. Auf einer kleinen Unterlage liegt sie, seine aktuelle Aufgabe. Eine Leicaflex SL. Der Spiegel will nicht mehr so richtig dorthin klappen, wo er soll. Zwischen Platinen, Messgeräten und einem kleinen Blasebalg gegen den Staub liegt das Kamera-Gehäuse wie eine offene Wunde. Pinsel helfen gegen sich verfangende Metallspäne, Tücher gegen verschmiertes Öl. Natürlich gibt es auch Modelle, die noch nie auf Möhrings Schreibtisch lagen. „Aber arg viele sind das wahrscheinlich nicht“, sagt er.
Friedhöfe: Technisch ist die Hasselblad, die schwedische Königin des Mittelformats, seine Lieblingskamera. Nur, die war zu groß für seine Zwecke. Deshalb hat er lieber die Nikon F1 genommen. Er brauchte etwas Mobiles, denn fotografisch trieb Möhring sich meistens auf Friedhöfen rum. Uralte Grabsteine auf altem Ost-Schwarz-Weiß-Film, das war sein Ding. Die erinnern ihn an seine Kindheit.
Sein Motto: „Wegwerfen ist scheiße. Lernt, wie man repariert!“ Dinge zu bewahren, sei ihm wichtig, sagt Möhring. Es sei doch Quatsch, alles neu zu kaufen, wenn wir doch Sachen wieder richten könnten. Er ist froh, dass zunehmend mehr junge Leute die analoge Fotografie neu für sich entdecken. „Reparieren heißt bewahren“, sagt Möhring. „Vielleicht verstehen wir Menschen irgendwann, dass das viel glücklicher macht, als ständig stumpf zu konsumieren.“
Das Comeback: Dass Analog-Fotografie ein Revival erfährt, damit hat Matthias Möhring nicht gerechnet. Es wundert ihn. Denn die Filme sind teuer, die Kameras noch mehr. „Vor zehn Jahren hast du eine alte Hasselblad für 100 Euro bekommen, heute kostet sie 3.000.“ Aber es gibt Hoffnung. Weil durch die hohe Nachfrage das Filmmaterial knapp wird, entschloss sich Kodak 2022, einen neuen Mittelformatfilm für die Hasselblad und ihre Schwestern im 120-mm-Bereich herauszubringen.
Legacy: In ein paar Jahrzehnten, wenn Menschen wie Möhring die Finger nicht mehr gehorchen, wird vermutlich niemand mehr analoge Kameras reparieren können. Das macht ihn fertig. „Es hält mich jetzt nicht wach, aber traurig macht es mich schon, wenn ich daran denke.“ So lange er noch kann, will er die Technik bewahren. Weil es eben „Technik“ sei und kein „zusammengelöteter Schrott.“
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