Umgang mit negativen Gefühlen: Bitte kein Zwangsoptimismus

Ich jammere gerne und oft auch mit guten Gründen. Bitte stört mich nicht mit der Idee, jeden Scheiß als Chance zu feiern.

Ein Smiley steckt als Logo des Clubs der Optimisten an einem Sakko.

Es gibt ihn wirklich: Den Club der Optimisten – samt Smiley als Logo Foto: dpa | Marcus Brandt

Es ist vielleicht eine negative Eigenschaft, aber ich jammere bei guten Freunden (m/w/d) gerne ein bisschen herum. Ich will dann nicht, dass jemand meine Probleme löst oder mich tröstet. Ich will einfach nur ein bisschen quengeln – über Postshops oder Hautärzte oder so. Mich nervt es sogar, wenn andere mich mit unerwünschten Ratschlägen drangsalieren, obwohl ich selber dazu neige, diese zu geben.

Man soll mich beim lustvollen Lamentieren auch bitte nicht mit Zwangsoptimismus stören. Für Galgenhumor dagegen bin ich immer offen – aber jeden Scheiß ernsthaft als Chance zu feiern, um mich dadurch selbst zu optimieren? Nö!

Ich habe eine Freundin, die kann das kaum ertragen. Als unsere Tochter Olivia letztes Jahr schwer krank war, mochte ich nicht mehr mit ihr sprechen, weil sie mich jedes Mal aufforderte, auch noch etwas Schönes zu erzählen: Optimismus ist doch so wichtig für die Gesundheit. Sie selber hat immer etwas Schönes zu erzählen, nämlich, dass es ihr wegen diesem oder jenem bis gestern sehr schlecht ging, aber seit heute sieht sie alles positiv, macht alles ganz anders, und es geht ihr richtig toll damit.

Ich habe neulich einen schönen Anglizismus dafür gelesen: Toxic Positivity. Weil man in den (a)sozialen Medien durchgängig vermittelt bekommt, dass man mit der richtigen Einstellung (und den richtigen Produkten) dauerhaft glücklich sein müsste, verdrängt man negative Gefühle und findet am Ende sogar Beleidigungen anderer Leute oder den untreuen Partner noch richtig super, weil einen das ach so sehr weitergebracht hat. Ich jammere lieber. Eine andere Freundin von mir lächelt übrigens zu meinem Mimimi und bezeichnet es als Psychohygiene. DAS nenne ich Optimismus!

Ich fühlte mich, als würde ich vor einem Standgericht den Beweis für die seelische Gesundheit meiner Tochter antreten müssen

Als es mir mal wirklich schlecht ging, bin ich ein Jahr lang zu einer sehr netten Psychotherapeutin gegangen, die mir beim Klagen lauschte, ohne mich mit „Hausaufgaben“ zu nerven wie: „Bis nächste Woche nehmen sie sich einen Abend nur für sich.“ Ich habe trotzdem mein Leben ein bisschen verändert – aber nicht alles und schon gar nicht sofort.

Im vergangenen Jahr habe ich im Zusammenhang mit der Long-Covid-Erkrankung unserer Tochter dann mit ein paar mehr Psychologinnen und Psychologen gesprochen, als mir lieb war. Ausweinen durfte ich mich da leider nicht, obwohl ich – selbst von außen betrachtet – gute Gründe dafür gehabt hätte.

Vielmehr fühlte ich mich, als würde ich vor einem Standgericht den Beweis für die seelische Gesundheit meiner Tochter antreten müssen. Die Inquisitoren führten sowohl meine Therapie, als auch die Besuche mit unserer Tochter fünf Jahre zuvor bei einer Kinder- und Jugendpsychologin (wegen einer Leserechtschreibschwäche) als Beweisstücke für eine psychische Störung meines Kindes an. Dabei sollte man sich doch viel mehr Sorgen machen um die Familien, die sich keine Hilfe holen. Ich habe gar keine Berührungsängste mit psychiatrischen Diagnosen – nur, wenn sie falsch sind, wird falsch behandelt – das ist doch das Problem.

Einmal hat ein Therapeut uns übrigens geraten, Komplettausraster unserer Kinder als „Exklusive emotionale Beziehungsangebote“ zu werten. Das finde ich sehr schön! Der Mann hat echt Humor, das hilft selbst bei Hausaufgaben – oder wenigstens bei den dazugehörigen Amokläufen.

Sogar über die Psychologin, die meinte, meine Tochter sei nur mir zuliebe krank geworden, um mir den unbewussten Wunsch zu erfüllen, sie zu pflegen, kann ich heute manchmal lächeln. (Auch für diese Theorie gibt es übrigens einen Anglizismus, er lautet: „Bullshit.“) Aber manchmal jammere ich auch noch darüber. Und apropos: Mein Jammern darf ebenfalls als exklusives, emotionales Beziehungsangebot verstanden werden.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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