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Autofreie Friedrichstraße in BerlinAus einer Debatte wird Ideologie

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Die Idee für eine autofreie City Ost stammt von der SPD. Das hat sie aber verdrängt. Doch auch die Grünen haben Schuld, dass die Diskussion schief lief.

Autos haben am Montag wieder Seltenheitswert auf der Friedrichstraße Foto: dpa

A n einem Sommertag 2016 hat der damalige Bausenator Andreas Geisel (SPD) Jour­na­lis­t*in­nen zum Gespräch geladen. Unter anderem berichtet er, dass er plane, Unter den Linden autofrei sprich zur Fußgängerzone zu machen. Das sei attraktiver, auch für die vielen künftigen Be­su­che­r*in­nen des Humboldt Forums. Berichten über die Pläne dürfen die Jour­na­lis­t*in­nen aber erst mal nicht: Man sei noch nicht so weit.

Geisel wird auch nie so weit sein: Nach der Wahl in jenem Jahr wird er Innensenator, die Stadtentwicklungsverwaltung wird geteilt und die Grünen übernehmen den Verkehrsbereich. Die autofreien Linden werden nie realisiert. Am Ende setzt Senatorin Regine Günther eine abgespeckte Version durch: den Verkehrsversuch in der Friedrichstraße ab August 2020.

Man könnte also sagen: Die zu guten Teilen autofreie Innenstadt war eine Idee der SPD. Nur scheint sie sich daran nicht mehr zu erinnern. Das liegt zumindest nahe, wenn man die harsche Kritik aus ihren Reihen an der erneuten Sperrung der Friedrichstraße für Autos hört, die Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) am Mittwoch bekannt gegeben hat.

Ab kommenden Montag wird die Nord-Süd-Verbindung zwischen Französischer und Leipziger Straße dauerhaft zur Fußgängerzone. Ein Gesamtkonzept für das ganze Viertel einschließlich Gendarmenmarkt werde in den folgenden Jahren mit den An­lie­ge­r*in­nen erarbeitet, kündigte sie an.

„Erst sperren, dann planen, ist keine gute Lösung“, äußerte sich die Regierende dazu; überhaupt sei „die Aktion“ nicht im Senat abgestimmt. Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für die SPD) sprach von alten Fehlern, die wiederholt würden, weil der letzte Schritt vor dem ersten gemacht würde. Das ist natürlich Wahlkampfgeplänkel, wenn auch massives: Jarasch hatte die Sperrung bereits im Sommer 2022 angekündigt.

Hätte es die SPD anders gemacht?

Es ist auch unwahrscheinlich, dass Berlins Sozialdemokraten in der gleichen Situation anders gehandelt hätten. Schließlich ging es darum, einen lange gehegten Plan zumindest teilweise umzusetzen. Jetzt erst ein Gesamtkonzept zu erarbeiten hieße auch, viele Jahre zu warten, bis dieses vorliegt. Politik muss aber Ergebnisse vorweisen können, gerade bei Prozessen, die lange dauern. So kann man, in Abwandlung der Kritik des Wirtschaftssenators, auch sagen, es werde eben Schritt für Schritt vorgegangen.

Aber warum tut sich die SPD so schwer mit einem Ziel, das in viel größerem Umfang einst ihr eigenes war? Oder anders formuliert: Warum ist ausgerechnet die Friedrichstraße, an deren südlichen Ende Panzer aus Ost und West am Checkpoint Charlie Rohr an Rohr standen, zum Ort einer neue ideologischen Auseinandersetzung geworden?

Das liegt zum einen daran, dass die Anfangszeit des Verkehrsversuchs in der Friedrichstraße in die Anfangszeit von Franziska Giffey in der Berliner Landespolitik fiel. Die damalige Noch-Bundesfamilienministerin profilierte sich im Wahlkampf 2021 erfolgreich mit konservativen verkehrspolitischen Positionen, die im Widerspruch zur Politik des rot-rot-grünen Senats unter Michael Müller standen. Giffey hat auf der Friedrichstraße eine alte Position zu verteidigen, auch wenn sie inzwischen selbst den Begriff Verkehrswende für sich entdeckt hat. In der Folge macht es FDP und CDU noch ein bisschen mehr Freude, ihre Ablehnung der Sperrung propagandistisch auszuschlachten.

Teilweise dilettantisch umgesetzt

Zudem ist sogar unter großen Fans des Versuchs unstrittig, dass dieser teilweise dilettantisch umgesetzt wurde. Die Verbindung von Fußgängerzone mit Radschnellweg hat erstere oft bedrängt, viele der Dekoelemente, etwa Sichtkästen, auf der Straße wirkten verloren, und natürlich ist die teils hochpreisige Einkaufsstraße nicht über Nacht eine beliebtes Szeneviertel mit tausenden Passanten geworden. Ein guter Teil der Kritik war berechtigt, das hat Jarasch am Mittwoch zugegeben.

Damit ist sie vielen Grünen voraus. Sie haben das Projekt – das viele für das einzig einigermaßen vorzeigbare aus den fünf Jahren Amtszeit von Regine Günther halten – gegen alle Einwände verteidigt und damit ihren Teil dazu beigetragen, dass am Ende nicht mehr Sachargumente zählten, sondern alle Einwände gleich als Absage an die Idee als solches gewertet wurden. Grüne und SPD standen sich zunehmend unversöhnlicher gegenüber. Daran hat sich nichts geändert, und das drückt sich auch in der teils persönlichen Auseinandersetzung der beiden Spitzenkandidatinnen aus.

Mit dem Ende des Versuchs und der dauerhaften Sperrung ist nun die Zeit gekommen, dem Dialog wieder eine sachliche Ebene zu geben – sobald die Wahl vorbei ist. Die Richtung, wie sich die Gegend entwickeln wird, ist jetzt auch jenen klar, die vorher noch gehofft hatten, eine Fußgängerzone zu verhindern – warum auch immer.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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8 Kommentare

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  • Nach Frau Jarasch ist jetzt also auch für die taz selber eine Fahrradspur mit Tempo 20 Beschränkung schon ein ‚Radschnellweg‘.

  • Nun typisch Berlin - anstelle dass man den Bereich in Angriff nimmt, in dem sich die U-Bahnstation befindet - nein!

    Es muss ein anderer der Friedrichstraße sein, so dass man lange dorthin gehen muss.

    Wenn man Akzeptanz für so etwas will, sollte man wirklich dort beginnen, wo zunächst U-Bahnstationen in unmittelbarer Laufnähe sind! Aber das ist den Berliner Planern schon zu viel der Weisheit.

  • Die Debatte ist das Eine.

    Viel wichtiger ist, daß alles mit rechten Dingen zugeht. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeiten der Verwaltung ist der wichtigste Grundsatz der Verwaltung und schützt und vor Willkür. Nachdem die Verkehrsverwaltung bereits einmal rechtskräftig verurteilt wurde, sollte sie die Gesetze achten. Dies ist hier nicht der Fall, da die Planungsunterlagen, die die Teilentziehung begründen nicht fertig sind. Die erneute Rechtswidrigkeit ist offensichtlich. Entweder die Senatorin weiß dies nicht oder es ist ihr egal.

  • Ideologisch ist hier nur die Autofraktion.

    Ich würde damit anfangen, für Parkplätze die Preise zu verlangen, die den marktüblichen Preisen entsprechen. Dann für den sonstigen Flächenverbrauch.

    Autos haben in den Innenstädten wenig verloren. Lieferverkehr, Krankenwagen u.ä. und die wenigen, die nicht anders können.

    • @tomás zerolo:

      Nein, idiologisch ist die Sperrung der Friedrichstraße ohne irgendeinen Plan zu haben, was danach kommen soll. Beschwert über den "Pilotversuch" haben sich weniger die Autofahrer, als vielmehr die Gewerbetreibenden und die Fußgänger/innen.

  • Der Einzige, der sich autofrei - also mit dem Fahrrad - in die Innenstadt getraut hat, war H.C. Ströbele von den Grünen.



    Ruhe er in Frieden im Fahrradhimmel.







    Alle anderen hätte man und würde man mit faulen Tomaten bewerfen.

  • Ausgerechnet die Friedrichstraße!



    Provinzieller gehts nicht!?



    Bedeutet Verkehrswende, häßliche Pflanzkübel und Werbekioske statt Autos? Die dann auf andere Straßen ausweichen?



    Verkehrswende würde bedeuten, daß die Takte von Bussen nicht von 10 auf 20 Minuten verlängert(!) würden, siehe Linie 101, nur als Beispiel, würde bedeuten, daß Uferwege für Fußgänger nicht für Schnell-Fahrradrouten zugeteert würden, siehe Ufer in Moabit..., zudem, ist das Klimaschutz?

    • @Toni Zweig:

      Hässliche Pflanzenkübel? Nee, potthässliche Straßenmöbel wie in der Bergmannstr. Dort gab es ja sonst keine Sitzgelegenheiten, von den vielen Dutzend Cafes mal abgesehen.



      Berlin darf nicht weiter Spielwiese für grüne Fantasten sein.