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Experte zu Krankenhausreform„Das Fallpauschalen-System bleibt“

Die Regierungskommission verspricht, den finanziellen Druck in Krankenhäusern abzuschwächen. Experte Kalle Kunkel glaubt das nicht.

Das Transparent lässt sich wohl wiederverwenden: Demo vorm Gesundheitsministerium 2020 Foto: Christian Mang
David Muschenich
Interview von David Muschenich

taz: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, Pa­ti­en­t*in­nen würden in Krankenhäusern zukünftig weniger nach wirtschaftlichen und stärker nach medizinischen Gesichtspunkten behandelt. Läutet er damit eine Revolution im Gesundheits­wesen ein?

Kalle Kunkel: Eine Revolution kann ich jetzt, zumindest was die Ökonomisierung angeht, nicht erkennen: Das Fallpauschalen-System bleibt erhalten. Es wird nur ergänzt durch andere Formen von Finanzierungen, wobei diese anderen Formen zum Teil auch problematisch sind. Gleichzeitig geht es sehr stark darum, jetzt über die Art der Finanzierung die Krankenhausstrukturen zu verändern. Wie das wirkt, müssen wir dann genauer anschauen.

Im Interview: 

Kalle Kunkel, Jahrgang 1980, promoviert aktuell zu gewerkschaftlicher Krankenhauspolitik. Er hat im Jahr 2015 den ersten Streik zu tariflichen Personalvorgaben an der Berliner Charité mit organisiert.

Sehen Sie an diesem Vorhaben noch Änderungsbedarf?

Das Hauptproblem des Vorhabens ist, dass weiterhin Profite in Krankenhäusern gemacht werden könnten. Und es stellen keine Regelungen sicher, dass Personalkosten kostendeckend finanziert werden. Wir haben ja bei der Pflege am Bett die sogenannte Kosten­deckung. Ein wirklicher Fortschritt wäre es gewesen, wenn man das auf weitere Berufsgruppen ausgeweitete hätte – Ärzte, Physiotherapeuten oder die Verwaltung zum Beispiel. Dann würden Krankenhäuser also das Geld kriegen, was sie auch wirklich fürs Personal ausgeben. Genau das passiert aber nicht in dem Entwurf, und dadurch bleibt der Kostendruck auf Personal grundsätzlich erhalten.

Aber Karl Lauterbach wollte doch explizit den finanziellen Druck auf das Personal verringern. Passiert das gar nicht?

Ich sehe das, ehrlich gesagt, in diesen Vorschlägen, so wie sie jetzt formuliert sind, nicht, dass der finanzielle Druck auf das Personal relevant abnimmt. Diese Finanzierung durch sogenannte Vorhaltepauschalen, die die bisherigen DRGs (das Fallpauschalensystem der Krankenhäuser; Anm. d. Red.) ergänzen sollen, sind ebenfalls keine Pauschalen für das Personal. Das ist auch Geld, das die Krankenhäuser dafür bekommen, dass sie bestimmte Leistungseinheiten vorhalten. Wie viel Personal sie dafür einsetzen, steht weiter im Belieben der Krankenhäuser. Der Anreiz, Leistungen mit möglichst geringen Personalkosten zu erbringen, bleibt.

Die Reform greift mit dem Übergangsprozess frühestens in fünf Jahren. Die Situation ist aber gerade akut sehr angespannt. Wie könnte denn eine Regierung dem akuten Personalmangel begegnen?

Das Erste wäre, jetzt möglichst schnell eine umfassende Personalbemessung in den Krankenhäusern einzuführen, die auch möglichst schnell scharfzuschalten. Das heißt, dass sozusagen die Krankenhäuser sich wirklich danach richten müssen, wie viel Personal da ist, und dass dann genau geguckt wird, wie viel Leistung lässt sich eigentlich im Moment noch mit dem bestehenden Personal erbringen. Eine schwierige Entscheidung, vor der wir jetzt stehen.

Was meinen Sie mit „schwieriger Entscheidung“?

Wir sind jetzt durch eine seit 30 Jahren neo­liberale Gesundheitspolitik in eine Situation gekommen, in der wir es mit einem akuten Ressourcenmangel zu tun haben. Deswegen müssen wir jetzt Entscheidungen darüber treffen, wie wir jetzt die Krankanhauskapazitäten an dem vorhandenen Personal anpassen. Das steht im Spannungsfeld zum Versorgungsbedarf. Das ist das Problem.

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