piwik no script img

Gipfel zur Rettung der BiodiversitätKein Leben ohne Frösche

Heike Holdinghausen
Kommentar von Heike Holdinghausen

Der UN-Gipfel bringt hoffentlich wenigstens dies: Das Verständnis dafür, dass der Schutz der Biodiversität nicht Nashörner retten will, sondern uns.

Sein Lebensraum soll besser geschützt werden: Ein Netzglasfrosch aus Mittelamerika Foto: Julie Larsen Maher/Wildlife Conservation Society/ap/dpa

F ast zwei Wochen verhandeln die 196 Mitgliedstaaten der UN-Konvention über die biologische Vielfalt ab Mittwoch über das Überleben der Menschheit. Denn darum geht es auf der Conference of the Parties, COP. Biodiversität retten meint mehr als Bienen und Gänsegeier. Biodiversität umfasst das Netzwerk der Natur, das Zusammenspiel von Bakterien, Pilzen, Tieren und Pflanzen. Wie diese Lebewesen und Organismen zusammen wirken, sich gegenseitig benötigen, begrenzen, befördern, haben wir nur in Ansätzen verstanden. Aber wir wissen, dass es Böden fruchtbar hält, Süßwasser verfügbar und die Luft sauber. Es sichert unsere Ernährung und hilft, das Klima zu stabilisieren.

Man kann diesen Blick auf das Thema für utilitaristisch halten und es ablehnen, an der Natur nur das zu schätzen, was sie für Menschen leistet und was sich in Euro, Yuan und Dollar umrechnen lässt. Natürlich sind die Existenz der Feldlerche oder des Nördlichen Breitmaulnashorns ein Wert an sich. Eine intakte Natur kann Erholung bieten und spirituelle Kraft schenken, und auch einfach Freude bereiten. Paddeln macht mehr Spaß, wenn am Flussufer Fischadler brüten.

Es geht beim Schutz der Biodiversität also nicht nur ums Geld. Aber sie zieht weltweit den Kürzeren, wenn es ums Geld geht. Frösche sind gut und schön; wenn wir in ihrem Lebensraum aber Bergbaugebiete, Siedlungen oder Maisäcker anlegen wollen, sollen sie bitte keinen Stress machen. Und Ackerböden widmen wir solange den Weltbodentag (der ist übrigens am 5.12.), bis wir in Deutschland vier Millionen Wohnungen bauen wollen. Die sind dann wichtiger und der Schutz des Bodens eine Variable zu viel.

Der Klimawandel hat uns da weitergebracht. Das liegt an Aktivisten etwa von Fridays for Future, aber vor allem an der Tatsache, dass auch Försterinnen und Waldspaziergänger, Chefs von Chemieparks und Arbeiterinnen in Stahlfabriken inzwischen am eigenen Leib erfahren haben, dass und wie sehr ihnen die Erderwärmung, kahle Wälder, austrocknende Flüsse und instabiles Wetter, schaden. Nur wenn Menschen betroffen sind, sind Menschen auch bereit, über Verhaltensänderungen wenigstens nachzudenken.

Um Verhaltensänderungen geht es beim UN-Gipfel: Um wirksame Regeln, der Natur Raum zu geben, 30 Prozent streng geschützte Naturschutzgebiete bis 2030, in denen Menschen, die schon immer in und mit der Natur gelebt haben, weiter wirtschaften können. Indigene Gemeinschaften im globalen Süden etwa dürfen durch Naturschutz nicht beeinträchtigt werden – das haben die die UN inzwischen überwiegend verstanden.

Für Industriestaaten wie Deutschland würde ernsthafter Schutz der Biodiversität bedeuten: Kommunen weisen keine Baugebiete für Einfamilienhäuser, Gewerbegebiete oder Straßen mehr auf der grünen Wiese aus. Wir essen überwiegend pflanzlich und kaum noch Kühe und Schweine. Wir nutzen deutlich weniger Ressourcen aus dem artenreichen Süden, und berücksichtigen das in unserer eigenen Transformation – etwa bei der Produktion von Elektroautos.

Dass aus Montreal ein Vertragstext folgt, der all das sicherstellt, ist wohl Wunschdenken. Zu angespannt ist die geopolitische Lage, zu groß sind die Widerstände in den satten Industriegesellschaften und den hungrigen Schwellenländern. Wichtig ist der Gipfel trotzdem, weil es das Thema auf die Agenda bringt. Im Augenblick lässt sich wohl nicht viel mehr erreichen als dies: dass möglichst viele Menschen begreifen, dass der Schutz der Biodiversität nicht Nashörner retten will, sondern uns.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Heike Holdinghausen
Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 72, schreibt über Rohstoffthemen, Chemie und gerne auch den Wald. (Mit-)Autorin verschiedener Bücher, zuletzt eine Stoffgeschichte über Seltene Erden.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Wieder einmal hat Heike Holdinghausen einen exzellenten Kommentar zum Thema Biodiversität geschrieben, und wieder einmal werden das nur wenige Leser bemerken, weil sie das Thema immer noch nicht für dringend genug halten.

  • Es fehlt das wichtigste, nämlich der Verweis auf die absolute Notwendigkeit der veganen Lebensweise. Sachlage ist, dass weltweit ca. 90 % der Sojaernte und fast 50 % der Getreideernte für Tierfutter verwandt wird.

    Damit ist eine massenhafte Abholzung von Naturgegenden verbunden und dies ist einer der größten Zerstörungsfaktoren der Biodiversität überhaupt. Kein Acker ist auch nur annähernd so gut für die Biodiversität wie Naturflächen. Auch kein Bio-Acker.

    Anders als völlig unsinniger Weise oftmals behauptet, lassen sich ALLE Flächen, auf denen Tierfutter angebaut wird, auch für den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln für den Menschen verwenden.

    Auch Futtergetreide kann vom Menschen verzehrt werden, oft sogar weiterhin im Brot und sonst halt im Getreidebrei. In einer Welt, in der Millionen vom Hungertod betroffen sind, ist es doch wohl nicht zu viel verlangt, Getreidebrei zu essen!

    Die Nicht-Erwähnung der Notwendigkeit zur veganen Ernährung in diesem Artikel - wie in fast allen zum Thema - trotz überwältigender wissenschaftlicher Beweise, ist einer der Gründe, warum wir aktuell wenig Grund zum Optimismus haben.

    Nicht einmal die "Letzte Generation", die ansonsten absolut recht hat, erkennt die Dringlichkeit und richtet ihre Aktionen nicht gegen die Tierausbeutungsindustrie. Dabei könnte sie mit solchen Aktionen bei weitem mehr Unterstützung erhalten und dies gleichzeitig mit mehr Effektivität verbinden. Hoffentlich erkennt sie dies bald.

    • 3G
      39538 (Profil gelöscht)
      @PolitDiscussion:

      Verstehe ich sie richtig, Herr Gebauer – Sie entziehen der letzten Generation ihre Unterstützung, und wären nur gewillt, ihnen wieder zuzustimmen, wenn die Zufahrten zu Schlachthöfen blockiert würden?

      • @39538 (Profil gelöscht):

        Ich frage mich bei aller Sympathie für die letzte Generation oft, was die zum Artenschutz beitragen wollen, (außer das Klima zu schützen, was ja nur ein Teil der Lösung ist) und welche konkreten Lösungen die haben.

    • 6G
      654782 (Profil gelöscht)
      @PolitDiscussion:

      Zitat @GUIDO F. GEBAUER: „In einer Welt, in der Millionen vom Hungertod betroffen sind, ist es doch wohl nicht zu viel verlangt, Getreidebrei zu essen!“

      Werter Kollege, Sie scheinen da auf einer Mission zu sein. Aus dem argumentativen Nichts heraus, setzen Sie ein Ausrufezeichen gegen die Breiverweigerung. Wäre es zu viel verlangt, wenn Sie das einmal erklären könnten?

      Persönlich wäre ich zu einer entsprechenden Ernährungsumstellung bereit, wenn mir Grießbrei erspart bliebe — nicht nur ein Trauma meiner Kindheit, sondern auch eine Glutenbombe!

    • @PolitDiscussion:

      Sachlage ist, dass weniger als 40% der landwirtschaftlichen Erzeugnisse für den unmittelbaren menschlichen Konsum geeignet sind, der Rest aber sehr wohl für zusätzliche Kalorienproduktion durch tierische Nahrungsmittel.

      • @gboar53:

        Völlig richtig! Menschen haben nun mal keinen Verdauungstrakt wie die wiederkäuenden Rinder, der Gras und Heu verwertet. Und: auf vielen für Viehzucht genutzten Flächen lassen sich keine für den Menschen verzehrbare Pflanzen anbauen. Die Rechnung ist ohnehin falsch: die Biomasse einer Getreidepflanze besteht zum geringsten Teil aus Körnern, der größte Teil kann als Stroh verfüttert werden.

        Außerdem trägt Beweidung bestimmter Flächen zur Landschaftspflege bei und verhindert die Freisetzung von Treibhausgasen.



        Mit anderen Worten: nachhaltig leben bedeutet nicht zwingend eine Produktionsweise ohne Nutztiere und eine fleischlose Ernährung. Übermäßiger Fleischkonsum, Massentierhaltung und Rodung von Urwäldern für Futtermittel-Monokulturen ist selbstredend schädlich.

        Wenn jemand sich vegetarisch ernährt, weil er/sie das Töten von Tieren ablehnt, verstehe ich das. Ebenso die Entscheidung für vegane Ernährung aus Klimaschutzgründen. Aber die von G. F. Gebauer hier vorgetragene Argumentation ist nicht schlüssig und extrem einseitig, die Notwendigkeit des Veganismus nur behauptet.

        Ich wünsche Guten Appetit bei Getreidebrei mit Biertreber und Ölpresskuchenkrumen, Herr Gebauer!