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Sexuelle Gewalt als KriegswaffeBillig, nachhaltig, perfide

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Den Haag und New York erkennen sexuelle Gewalt als Kriegswaffe an. An Lösungsstrategien mangelt es noch. Oft können die Täter nicht ermittelt werden.

Männliche Leichen mit abgeschnittenen Genitalien: Exhumierung eines Massengrabes in der befreiten ukrainischen Stadt Isjum Foto: Gleb Garanich/reuters

S exuelle Gewalt ist eine effiziente und die billigste Waffe in einem Krieg. Sie sorgt nicht nur dafür, dass die Opfer körperlich und seelisch verletzt werden, sondern sie sind in den meisten Fällen längerfristig traumatisiert. Diese perfide Form der Kriegsführung gibt es, seit es Kriege gibt – weil sie so „einfach“ und so „nachhaltig“ ist. Die Opfer haben auf vielfältige Weise mit den Folgen zu kämpfen: chronische körperliche Schmerzen, mitunter Unfruchtbarkeit, Depressionen, Angst, Hass, Ekel.

Nicht wenige können später weder sexuelle noch soziale Beziehungen führen. Das zerstört Familien, Partnerschaften, soziale Kontakte. Nahezu alle Betroffenen können gar nicht oder erst viele Jahre später über ihre schrecklichen Erfahrungen sprechen. Man bezeichnet sie daher als „stumme Opfer“. Allein das Schweigen verbuchen die Täter als Erfolg.

Die Betroffenen sind zu großer Mehrheit Frauen, aber auch Männer werden zunehmend Opfer sexueller Gewalt. In den Massengräbern, die jüngst in der Ukraine ausgehoben worden sind, fanden UN-Mitarbeiter:innen männliche Leichen mit abgeschnittenen Genitalien. Die Täter handeln aus einem selbsternannten Machtanspruch heraus und sie sind Teil der Zerstörungsmaschine, die auf das Sozialgefüge der angegriffenen Gesellschaft zielt und gemeinschaftliche humanistische Werte in toxische Kräfte verwandelt.

Das gelingt vor allem dadurch leicht, dass die Betroffenen demoralisiert, vereinzelt, entmutigt werden und in einem religiösen Kontext für eine „reine Ehe“ nicht mehr „brauchbar“ sind. Auch das trifft mittlerweile Frauen wie Männer, wenngleich Frauen in einem weitaus höherem Maße.

Der Internationale Gerichtshof und die Vereinten Nationen (UN) erkennen unterdessen sexuelle Gewalt als Kriegswaffe an. Seit 2008 müssen UN-Sonderbeauftragte jedes Jahr über das Ausmaß sexueller Kriegsgewalt berichten. Pramilla Patten, die aktuelle UN-Sonderbeauftragte, wirft Russland vor, Vergewaltigungen als „eindeutige Militärstrategie“ im Ukraine-Krieg einzusetzen.

Die Erkenntnisse sind da, an Lösungsstrategien indes mangelt es. Das jedoch ist den Er­mitt­le­r:in­nen und Behörden kaum vorzuwerfen. Bei sexueller Gewalt können zwar Beweise gesichert und Vergewaltiger, soweit sie bekannt sind, benannt werden. Trotzdem ist den Tätern nicht so leicht beizukommen – erst recht nicht in Kriegssituationen.

Die Prozesse durch das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen massenhafter Verurteilungen im Bosnien-Krieg haben das auf beispielhafte Weise gezeigt: Nur eine Handvoll der zahlreichen Täter wurde verurteilt, die Prozesse dauerten jahrelang. Es bleibt zu befürchten, dass auf die tausenden Opfer sexueller Gewalt im Ukraine-Krieg ähnliche Erfahrungen warten.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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9 Kommentare

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  • Simone Schmollack wiederholt hier ein in der Gesellschaft weit verbreitetes Vorurteil über Opfer von sexueller Gewalt. Es ist im Gegenteil so, dass nahezu alle Betroffenen berichten, dass ihnen kein Gehör und oft auch kein Glauben geschenkt wird. Auch dass Opfer nicht reden wollen, weil sie nicht mit all den Ressourcen, die sie im Grunde haben, auf angeblich für immer ohnmächtige und geschädigte "Trauatisierte" reduziert werden wollen. Folglich ist die Strategie denkbar einfach: Wir müssen Opfern bloss zuhören und verstehen, dass sie für sich selbst sprechen können.



    Ausserdem: Es liegt nicht in der Natur der sexuellen Gewalt selbst, dass die Opfer sich entwertet und ausgegrenzt fühlen, sondern es ist die Bedeutung, die sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft hat. Dies machen sich Täterinnen und Täter zu nutze.



    Solange die Mehrheit der Gesellschaft diese Zusammenhänge nicht versteht, wird sich nichts ändern.

  • Bitte mit dem Gendern nicht bei negativ konnotierten Begriffen, wie Vergewaltiger*innen und Täter*innen aufhören.

    Darüber sollten wir hinweg sein.

    • @perebor:

      Sexuelle Gewalt wird von Männern und Frauen, Transmenschen, Jugendlichen und Kindern ausgeübt. In den meisten Fällen sind die Täter cis und männlich. In vielen Fällen aber auch nicht.

  • Somit gilt es, die russische Armee schnellstmöglich aus der Ukraine zu schaffen. Und wenn sie nicht freiwillig geht, muss mit militärischen Mitteln nachgeholfen werden.

  • Bleibt zu hoffen, dass Selbsthilfestrukturen politische Veränderungen in allen beteiligten Gesellschaften erzeugen.

    • @aujau:

      Neben "Selbsthilfestrukturen" sollte es für Täter endlich mal Konsequenzen geben. Nicht nur im Krieg. Sondern immer! Dier Verantwortung darf nicht für immer auf die Opfer abgeschoben werden. Aber nein, die Ehre eines Mannes könnte 'ruiniert' werden. Er ist ja auch gar nicht selbst an seinem Verbrechen Schuld... Der Preis eines Frauenlebens ist da ja viel leichter zu ertragen!

  • Das ist für mich ein weiterer Grund, dass man Kriege unbedingt vermeiden bzw. durch Verhandlungen verkürzen muss.



    Egal, ob diese Verbrechen Auswüchse des Krieges sind (z.B. weil ein Soziopath hier eine "Gelegenheit sieht") oder eine gezielte Waffe im Krieg.



    Der beste Schutz vor Kriegsverbrechen bleibt der Frieden.

    • @Kartöfellchen:

      Über was außer dem vollständigen Abzug der russischen Armee aus der Ukraine soll denn verhandelt werden? Ein Waffenstillstand führt nur dazu, dass das Gemetzel in den russisch besetzten Gebieten weitergeht und Russland Zeit hat, eine neue Offensive vorzubereiten.

  • Gerade in der Ukraine wird deutlich, dass diese Verbrechen zunehmend organisiert sind und befohlen werden. Das sind keine "Auswüchse", das ist die geplante Zerstörung von Menschen. Die Täter werden von ihrer Regierung geschickt und dann eben auch selbstverständlich geschützt. Auch von kommenden Regierungen. Die Hoffung auf Rechtsprechung ist reine Illusion.