piwik no script img

Proteste in IranNur ein Leben in Freiheit

Kommentar von Bahman Nirumand

Es sind die unter 40-Jährigen, die mit ihrem Zorn gegen die Islamische Republik auf die Straße ziehen. Sie lassen sich von der Gewalt nicht schrecken.

Die Gottesmänner sind überrascht: Präsident Raisi bei einer Kundgebung vor der US Botschaft in Teheran Foto: Vahid Salemi/ap

D ie landesweiten Proteste auf den Straßen, an den Universitäten und Schulen Irans dauern nun schon seit fast zwei Monate an, und es sieht nicht danach aus, als würden sie so bald beendet werden. Getragen werden die Proteste vorwiegend von jungen Frauen und Männern, die offenbar jede Hoffnung, der islamische Gottesstaat könnte auch nur annähernd ihre Bedürfnisse und Forderungen erfüllen, aufgegeben haben. „Islamische Republik, wollen wir nicht, wollen wir nicht“, skandieren sie.

Bemerkenswert ist, dass gerade die Generationen der Schüler und ihrer Eltern zu dieser Einsicht gelangt sind. Wer heute jünger als 43 Jahre alt ist, und das betrifft mehr als die Hälfte der 83 Millionen Einwohner, kennt nichts anderes als eben diese Islamische Republik, die alle Anstrengungen unternommen hat, um der Jugend eine neue Identität, eine islamische Identität zu verleihen. Die Geschlechter wurden an den Schulen und Universitäten getrennt, Schulbücher umgeschrieben.

Eine sogenannte Kulturrevolution sorgte für das totale Umwerfen der bis vor der Revolution geltenden Werte. Der aktuelle Aufstand zeigt, dass die Gottesmänner auch mit ihrer Kulturpolitik und ihrer verbohrten Ideologie gründlich gescheitert sind. „Frau, Leben, Freiheit“, schallt es im ganzen Land. Den jungen Iranern und Iranerinnen geht es um das Leben schlechthin, um ein selbstbestimmtes Leben, um ein Leben in Freiheit.

Die Gottesmänner sind überrascht, ja schockiert, sie begreifen die Welt nicht mehr. Wie sollten sie auch mit ihrer anachronistischen, menschenfeindlichen Lebensauffassung die Bedürfnisse dieser Generationen verstehen und nachvollziehen können? Ihre Antwort auf die Proteste ist nichts anderes als pure Gewalt. Skrupellos schießen die Schergen des Regimes auf Demonstranten und Demonstrantinnen, die zum Teil jünger als achtzehn Jahre alt sind. Die Zahl der Toten steigt von Tag zu Tag.

Letzte Woche befahl der Chef der mächtigen Revolutionsgarden, die Proteste umgehend zu beenden. Damit wollte er mit dem Einsatz der Garden drohen. Seine Warnung stieß auf taube Ohren. Der Chef des Heeres bezeichnete die Rebellierenden als „Fliegen“. Und 227 von 290 Abgeordnete im Parlament haben die Justiz aufgefordert, „Höchststrafen“ gegen inhaftierte Gefangene zu verhängen. Mehrere tausend Personen befinden sich in Haft. Gefangene berichten über Folterungen und Vergewaltigungen.

Einige stehen bereits vor Gericht, manchen droht die Todesstrafe. Doch die Rebellierenden scheinen ihre Angst überwunden zu haben. Die Drohungen zeigen keine abschreckende Wirkung. Wie auch immer die Zukunft aussehen wird, fest steht, dass der Gottesstaat diese jungen Iraner und Iranerinnen nie mehr für sich gewinnen wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Wenn man bedenkt, dass es bei dem Kopftuch ursprünglich um den Schutz vor dem bösen Blick ging, ist das Getue um die korrekte Kopfbedeckung, damit ja keiner geil wird, doch echt überholt. Selbst identitätspolitisch taugt es nicht wirklich.

  • "Die Gottesmänner sind überrascht, ja schockiert, sie begreifen die Welt nicht mehr" - Ich denke, solche "Gottesmänner" haben noch nie die Welt begriffen. Und nie zuvor war mir die Bedeutung der Maxime "Die Revolution frisst ihre Kinder" klarer, als jetzt, im bluttriefenden Jahr 43 der islamischen Revolution.

  • Es überrascht immer wieder aufs Neue, dass ausgeblendet wird, dass die Diktatur der Mullahs eine mindestens genauso schlimme Diktatur des Schahs abgelöst hatte. Die einzige Demokratie im Iran wurde mit Hilfe der Briten und Amerikaner 1953 weggeputscht. Interventionen von aussen, v.a. aus dem Westen, führen eher zu Situationen wie im Irak, Afghanistan, Syrien, Libyen... Es wird von Demokratie gesprochen, aber Rohstoffe gemeint. Das Mullah-Regime überlebt sich schon von selbst, auch ohne einen neuen Bürgerkrieg zu entfesseln.

    • @Thomas Müller:

      Redet oder schreibt hier irgendjemensch von Interventionen aus dem Ausland? Nein, oder? Also lassen Sie bitte das Volk bzw. die Jugend im Iran selbst entscheiden!

      Und es läßt sich schon darüber streiten ob das autoritäre Regime des Schah „mindestens genauso“ schlimm war: Gerade für die Frauen/Mädchen trifft das eben eher nicht zu…

    • @Thomas Müller:

      "Diktatur der Mullahs eine mindestens genauso schlimme Diktatur des Schahs abgelöst hatte." das stimmt nicht unter dem Shah sind viel weniger Menschen ums Leben gekommen und es gab viel weniger Hinrichtungen, Gefangene und deutlich mehr Freiheit: individuell, akademisch und künstlerisch.

      "Die einzige Demokratie im Iran wurde mit Hilfe der Briten und Amerikaner 1953 weggeputscht. " 1953 war der Iran keine Demokratie Mossadegh ließ per Not-Gesetz regieren und war und extrem autoritär. Außerdem war seine Allianz mit den Kommunisten extrem unbeliebt.1952 ließ er die Wahlen beenden sobald in den Städten gewählt worden war, damit die Oppositionskandidaten vom Land nicht ins Parlament kamen. Der Putsch war falsch, aber Mossadegh war kein Demokrat und der Iran war auf dem Weg zu einer anderen Form der Diktatur das ist alles. Vermutlich wäre es wie in Afghanistan gelaufen, ein nationalistischer Diktator ersetzt die Monarchie um später von einem kommunistischen Putsch abgesetzt zu werden.