piwik no script img

Doku über Synthesizerpionier Subotnick„Musik ist die Sache“

Ein Dokumentarfilm porträtiert den US-amerikanischen Synthesizerpionier Morton Subotnick. Er spricht über Gesten als Kommunikation und den Holocaust.

Morton Subotnick Anfang November 2022 in Berlin Foto: Waveshaper
Robert Mießner
Interview von Robert Mießner

taz: Herr Subotnick, am Ende des Dokumentarfilms „Subotnick – Portrait of an Electronic Music Pioneer“, der heute Weltpremiere in Berlin hat, sagen Sie, dass sie gar nicht wüssten, ob Sie die vollständige Fassung wirklich sehen möchten. Haben Sie es mittlerweile getan?

Morton Subotnick: Ich konnte zumindest 30 Minuten in San Francisco vorab ansehen, und das war gut. Herr Mießner, haben Sie den ganzen Film gesehen? Hoffentlich ist er nicht zu lang?

Im Gegenteil. Man hört und sieht und lernt dabei eine ganze Menge.

Ich sehe ihn heute zum ersten Mal in voller Länge. Danach spiele ich live. Sie müssen wissen, Auftritte machen mich nervös. Ich sage mir immer, das ist das letzte Mal, dass ich mir so was antue. Mein Kollege, der Berliner Produzent Lillevan, richtet mich dann wieder auf.

Mit ihm und Alec Empire haben Sie 2014 das 50. Jubiläum Ihres Albums „Silver Apples oft the Moon“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin gefeiert. Das Konzert und das Werk, es war 1966/67 die erste Komposition elektronischer Musik, die ein Majorlabel in Auftrag gegeben hat, tauchen nun auch im Film auf. Ihre Musik ist auf einem geradezu mythischen Instrument entstanden, dem Buchla-Synthesizer, benannt nach seinem Erfinder Don Buchla. Wie kam es dazu?

Der Künstler

Morton Subotnick, 1933 in Los Angeles geboren, ist Komponist und Musikpädagoge. Die elektronische Musik erfuhr durch sein Album „Silver Apples of the Moon“ (1967) maßgebliche Impulse.

„Morton Subotnick: Portrait of an Electronic Music Pioneer“ (Regie: Robert Fantinatto, Kanada 2022). Vorführung, Gespräch und Konzert „As I Live and Breathe“ mit Morton Subotnick, 3. 11., Kino Babylon, Berlin; 4. 11., Robert John­­son, Offen­bach

Zirka 1962 hatte ich eine Anzeige in der Zeitung San Francisco Chronicle aufgegeben und nach einem Toningenieur gesucht. Damals hatte ich das Gefühl, dass sich etwas tun würde und Computer das Zepter in der Musik übernehmen könnten. Die Zeit war leider noch nicht reif dafür. Ich wiederum war technisch nicht gerade begabt – das ist inzwischen besser geworden – und brauchte Unterstützung. Es haben sich dann einige Leute vorgestellt, die es nicht brachten, bis Don Buchla kam, und wir legten los.

Im Film sagen Sie über Buchla, er sei nüchtern gewesen. Warum betonen Sie das?

Nun, einer der ersten Bewerber konnte nicht mal geradeaus schauen. Buchla zumindest wirkte nüchtern.

Zur selben Zeit wurden Drogen zum Thema. Auch das sprechen Sie im Film an.

LSD kam erst später. Die Leute waren auf Heroin und Kokain, das war eine Epidemie. Ich habe da keinen Anteil daran, wobei ich mit dem Dichter Michael McClure und dem Künstler Bruce Conner einmal Peyote genommen habe. Das war eine mehrtägige, intensive Erfahrung. Aber ansonsten? In einer Phase, als es familiär schwierig war, hat mir ein Arzt Tabletten verschrieben, die eigentlich zum Abnehmen gedacht waren, aber gleichzeitig aufputschten. Wenn ich mit meiner Klarinette und der Musik von Mozart Geld verdiente, habe ich mir eine der Tabletten mit dem Finger auf die Zunge gelegt. Als ich einmal nur den Finger nahm und sich derselbe Effekt einstellte, sagte ich mir, dabei kann ich’s belassen.

War das ein Nachglühen der Beatnik-Szene?

Nun, wir hielten uns nie, beziehungsweise, ich hielt mich nie für einen Beatnik. Wenn ich zurückschaue und die Geschichte lese, weiß ich, wir waren Beatniks, obwohl ich Kategorisierungen wie diese nie gemocht habe. Eine Anekdote in diesem Zusammenhang: Wir lebten damals in North Beach, einer interessanten Ecke San Franciscos, wo sich zum Beispiel auch der „City Lights“ Buchladen befand. Damals waren die Mieten noch erschwinglich, es war die Zeit von Lyrik und Jazz. Berühmte, wirklich gute Dichter lasen ihre Texte zur Livemusik von Jazzbands, Kenneth Rexroth zum Beispiel, das Bier dazu kostete 5 Cents das Glas, man hörte zu und unterhielt sich.

Ganz normales Entertainment, oder?

Das war kein Barhopping, es war eine Kunsterfahrung. Eines Tages, es wird das Look-Magazin oder Time gewesen sein, gab es einen Artikel über diese Szene. Eine Woche hat es gedauert, bis ein Touristenbus kam voller Leute in Levis-Jeans, so wie wir sie trugen, und mit Notizbüchern. Einer von ihnen fragte mich, ob ich denn ein Dichter sei. Ein Komponist, antwortete ich, und ob er denn ein Dichter sei, schließlich hatte er ja dieses Notizbuch. Noch nicht, gab er zurück, aber bald werde er aus ihm ein Dichter geworden sein. Einen Monat oder zwei hat es gedauert, und wir alle sind weggezogen. Und jetzt raten Sie mal, wohin? Nach Haight-Ashbury!

Den späteren Hippie-Distrikt.

Tja, als wir dorthin zogen, war es noch ruhig und nicht teuer dort. Wir, das heißt meine Familie, wir hatten ein Kind, wollten das so. Eine gemischte Gegend, kein Ghetto. Einige von uns sind geblieben, als das Hippie-Ding losging, aber viele sind weitergezogen, Michael McClure zum Beispiel.

Ein Schlüsselwort bei Ihnen ist „Gestures“, Gesten. Das fängt mit der Faszination für die Bewegung des Posaunenzugs an.

Eine meiner Kompositionen aus den neunziger Jahren ist „Gestures“ betitelt. Ja, bei meinen täglichen Übungen gehört immer ein Hörbuch dazu. Wegen meines blinden rechten Auges fällt mir das Lesen schwer. Jedenfalls geht es in diesen Hörbüchern um Quantenmechanik oder die neurologischen Aspekte des Gehirns. Gesten sind mir immer wichtig gewesen.

Warum?

Die Geste ist wahrscheinlich ein gutes Wort, sie schließt Kommunikation ein. Durch Gesten verfügen Taube über eine Sprache. Wir benutzen permanent unsere Hände, so, wie Sie das beim Sprechen tun. Ich habe lange Zeit gedacht, ich täte das nicht, bis mir klar wurde, dass ich oft davon Gebrauch mache, besonders, wenn ich nicht sitze. Gesten fügen Bedeutungsfülle hinzu. Sehen sie, Musik an sich meint nichts, ist aber bedeutungsvoll. Musik deutet nicht auf eine Sache hin, sie ist die Sache. Ich habe ein Problem mit Worten, dabei sind sie in meinen Stücken nach und nach aufgetaucht.

Ihr Werk „Jacob’s Room“ von 1986 bezieht sich auf Literatur.

Mit „Jacob’s Room“ habe ich etwas mir sehr Wichtiges mit Musik und Worten ausgedrückt. Es geht um den Holocaust und die Erinnerung. Das schreckliche Geschehen und die ermordeten Menschen sind ein Fakt, aber dahinter steht die Erfahrung, dass Menschlichkeit zerstört worden ist und zerstört werden kann. Wir erfinden uns selbst, wir erfinden unsere Gesellschaft, Gottvater und den Sohn, was mit der Frau passiert ist, bleibt im Dunkeln. Aber es geht dabei um Regeln, um fragile Gebilde. Die Erfahrung, dass diese Regeln gebrochen werden, dass Menschlichkeit zerstört werden kann, führt zur universellen Einsamkeit. Wir sind schon wieder an diesem Punkt. Schauen Sie in die USA, schauen Sie nach Brasilien! Niemand weiß, was als Nächstes kommt. „Jacob’s Room“ endet übrigens auch in Einsamkeit. Mir ist während der Arbeit klar geworden, dass ich Worte nicht so gebrauchen kann, wie ich es möchte.

Dabei sagen Sie im Film, dass Sie weniger komponieren und mehr schreiben wollen. Zugleich erfährt man über eine Einblendung von einer neuen Komposition mit dem Titel „As I Live and Breathe“.

Während der Arbeit an dem Dokumentarfilm, die einige Zeit in Anspruch genommen hat, hatte ich schon den Eindruck, dass ich in die Schlussgerade eingebogen bin, aber auch davon, dass ich dem Ziel, das ich mir Ende der 1950er, Anfang der 1960er gesetzt hatte, näher komme. Was ich im Film mit Schreiben meine, das sind meine Memoiren. Was „As I Live and Breathe“ anbelangt, das wird ein Stück ganz verschiedener Formate, im Grunde eine neue Kunstform.

Wobei, letzte Nacht gab es einen Feueralarm hier im Hotel. Ich musste hinaus auf die Straße, nur mit den Sachen, die ich anhatte. „As I Live and Breathe“, der Titel, hat somit eine neue Bedeutung bekommen, während ich die Komposition oben in meinem Zimmer gelassen hatte. Stellen Sie sich vor, diese hätte den Flammen zum Opfer fallen können. Ich habe mit meiner Frau telefoniert; natürlich konnte sie nicht fassen, dass ich das Stück nicht mitgenommen hatte. Höre mal, habe ich ihr gesagt, ich habe es gerade mal so vor die Tür geschafft. Wenn das kein Fehl­alarm gewesen wäre, wäre es um „As I Live and Breathe“ geschehen gewesen. Was soll ich sagen? That’s life.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Danke. Da hab ich was zu entdecken - als analoger.



    (Gestisch/Haptisch - sagt mir als “ungelernter“ viel!



    Wenn nicht alles: “Wenn dich die Musik spielt!“ - wie auch anders?!



    That’s it •