Komponistin Éliane Radigue wird 90: Der Zeit die Schwere nehmen

Die französische Komponistin Éliane Radigue ist eine Pionierin der elektronischen Musik. Nun wird die Meisterin der Langsamkeit 90 Jahre alt.

Ein Schwarzweißporträt von Éliane Radigue.

Die Komponistin Éliane Radigue im Dokumentarfilm „Échos“ von Éleonore Huisse und François Bonnet​ Foto: Éleonore Huisse, François Bonnet

Im Frühjahr 1970 kommt ein Werk von Éliane Radigue zur Aufführung, welches das britische Musikmagazin Wire in einem gerade erschienen ausführlichen Artikel zum 90. Geburtstag der Komponistin zu ihren Schlüsselwerken zählt. Dass das fünfteilige „Opus 17“ erst Jahrzehnte später, im Jahr 2013, als Album veröffentlicht wurde, gehört auch zur Geschichte dieser Musik.

Man stelle sich einmal vor, „Opus 17“ wäre 1990 erschienen. Gut möglich, dass findige Ohren aus den pulsierenden 15 Minuten des dritten Teils „Epure“ eine Blaupause für Techno herausgehört hätten, eine, die aus der zeitgenössischen Musik der späten sechziger, frühen siebziger Jahre kommt, was ein schönes Beispiel für die gelegentlichen Umwege der Musikgeschichte ist.

Tatsache ist, vieles von dem, was wir heute als elektronische und experimentelle Musik wahrnehmen, hat Éliane Radigue mit angestoßen. Am 24. Januar 1932 kam sie in Paris im Quartier des Halles zur Welt, im Markthallenviertel, das seinen Namen von dem ehemaligen Großmarkt hat.

Als Kind bekommt sie Klavierstunden und hört klassische Musik, in ihrer eigenen werden Langsamkeit und Stille eine Rolle spielen. Radigue lernt den Maler und Objektkünstler Arman kennen, 1951 kommt die erste Tochter, 1953, in dem Jahr, als die Eltern heiraten, die zweite und 1954 ein Sohn. Arman wird 1971 ein zweites Mal heiraten.

Hypnotische Bandschleifen

Ebenfalls in den 50er Jahren begegnet Radigue dem Musique-concrète-Pionier ­Pierre Schaeffer und beginnt, bei ihm und seinem Partner Pierre Henry am Studio d’Essai des französischen Rundfunks RTF elektroakustische Komposition zu studieren. Wie jede gute Schülerin wird sie sich von ihren Lehrern emanzipieren. Eine frühe Veröffentlichung Éliane Radigues unter eigenem Namen ist „Vice – Versa, Etc …“ von 1970, das Faszinierende daran: Man meint, Synthesizer zu hören, doch sind es Tapeloops und Feedbacks, mit denen Radigue da hypnotisch-kristalline Sounds erarbeitet.

Tatsächlich wird Radigues erster Werkabschnitt als die Feedback-Phase bezeichnet, sie beginnt in den 60er Jahren und geht bis in die frühen 70er Jahre. „Opus 17“ gehört noch dazu.

Radigue verwendet in der „Étude“ unabhängig vom Komponisten Alvin Lucier einen Kniff, der seinem Verfahren in „I am sitting a room“ ähnelt, das Abspielen und wiederholte Aufnehmen von Sounds, bei Radigue ein Klavierstück Chopins, bis sich allmählich die Raumfrequenzen als Interpreten des Materials einschalten. „Opus 17“ endet mit „Number 17“, 22 Minuten aus hypnotischen Bandschleifen und Basstönen, eine gute Einstimmung auf die Klangwelt der Komponistin.

Meditation und Trauer

Radigues zweiter Werkabschnitt ist die in den frühen 70er Jahren einsetzende Synthesizer-Phase. Ihr war Mitte der 60er Jahre ein ausgedehnter New York-Aufenthalt vorausgegangen; Radigue hatte in dieser Zeit Komponisten wie John Cage, David Tudor und Steve Reich kennengelernt. Reich ist es gewesen, über den Radigue Michael Czajkowski traf.

Der heute weniger bekannte Komponist, zu Hause an der New York University, hatte Radigue einen Forschungsaufenthalt angeboten. 1970 nimmt sie ihn an und arbeitet mit Laurie Spiegel und Rhys Chatham am Buchla-Synthesizer der Universität. In diese Zeit fällt eine Komposition wie „Chry-Ptus“, die 2007 ein erstes Mal als Album erscheint. In die 70er Jahre fällt auch Radigues Konversion zum Buddhismus, in den 80er Jahren entstehen Werke wie „Songs of Milarepa“.

Radigues Musik hatte von jeher etwas Meditatives; interessant ist eine Interviewantwort von ihr, dass ihr das selbst anfangs gar nicht so deutlich gewesen sei. Die 90er Jahre sind für Radigue auch eine Zeit der Trauer, bis zum Ende des Jahrzehnts arbeitet sie an der dreistündigen „Trilogie de la Mort“ im Andenken an ihren Sohn Yves Armand (1954–1989) und ihren Lehrer Pawlo Rinpoche Tsuglag Mawey Wangchuk (1912–1991).

Nach der Jahrtausendwende beginnt Éliane Radigues akustische Phase. Man sollte darin keinen Widerspruch zu ihren früheren Kompositionen suchen. Die mit dem Cellisten Charles Curtis begonnene „Naldjorlak I“-Trilogie oder „Occam“-Serie schaffen das Kunststück, der Zeit die Schwere zu nehmen. Das ist allerhand.

Das Berliner Festival MaerzMusik widmet Éliane Radigue ab 21. März einen Schwerpunkt.

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