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Neuer Roman über Schule in IrlandDas Grauen am Tresen

In „Lächeln“ schickt Roddy Doyle seinen Protagonisten zurück in die Schulzeit. Und die Leserin in ein dunkles Kapitel irischer Geschichte.

Roddy Doyle Foto: Giulio Lapone/IPA/imago

Victor Forde, ein Mann im mittleren Alter, übt sich nach einer Trennung im Alleinsein: Die kleine Wohnung ist ein Loch, aber bezahlbar. Die Haushaltsführung gelingt leidlich. Und zum Glück, Forde ist schließlich Ire, liegt in fußläufiger Umgebung auch ein anständiger Pub, den er sich zum Stammlokal macht.

„Donnelly’s. Ein guter, altmodischer Name für einen Pub. Ich wohnte wieder am Meer und war an den Kneipen vorbeigelaufen, die ich noch aus meiner Kindheit kannte. Das Schooner, das Pebble Beach, das Trawler. Sie lagen alle eine kurze Autofahrt von meiner Wohnung entfernt oder einen langen Spaziergang, den ich nicht machen wollte. Oder zu nah an der Gegend, in der ich aufgewachsen war.“

Roddy Doyle, genialer Erzähler irischer Geschichten und Geschichte, braucht nur wenige Zeilen, um eine Spur des Unbehagens zu legen, die in der Vergangenheit seines Protagonisten lauert. Denn dieser Victor Forde, in jungen Jahren progressiver Schrecken der irischen Intellektuellenszene (er befürwortet offen Abtreibungen!) und liiert mit einer TV-Prominenten, war nicht immer ein Glückskind.

Der Roman

Roddy Doyle: „Lächeln“. Aus dem Englischen von Sabine Längsfeld. Jumbo Verlag (Goya), Hamburg 2022, 256 Seiten, 22 Euro

Er ist zunächst ein Junge aus bescheidenen Verhältnissen, der auf einer katholischen Oberschule in den Genuss höherer Bildung kommt. Bei den Christian Brothers, einem 1802 gegründeten Laienorden, herrscht ein Klima aus Angst und exzessiver Gewalt. Eine Zeit, die Forde mehr prägt, als er sich eingestehen will. Erst als ein mysteriöser Kerl namens Ed Fitzpatrick im Pub auftaucht, der behauptet, mit Victor zur Schule gegangen zu sein, kommt bei ihm lange Verdrängtes hoch:

„Ich war noch keine halbe Stunde in der neuen Schule gewesen, als ich zum ersten Mal geschlagen, am Ohr hochgezerrt und wieder fallen gelassen und von dem Scheißkerl im Chemielabor als Vollidiot beschimpft worden war, weil ich gedacht hatte, er hätte auf einen anderen Jungen gezeigt. Ich hatte mich verlaufen und war im Schulhof der Oberstufler gelandet und von einer Horde Typen mit Tritten traktiert worden. […] Doch damit war ich nicht allein. Wir alle, die wir neu waren, wurden rumgeschubst und fertiggemacht. Wir litten gemeinsam, und es war großartig.“

Gespenster der Vergangenheit

Je mehr Details aus Victors Zeit bei den Brothers zutage treten, desto unberechenbarer wird die Figur des „Zeitzeugen“ Ed. Mal belästigt er Victor mit Schoten: „Der Französisch-Bruder, der war scharf auf deinen Arsch. Hab ich recht?“

Mal erscheint er wochenlang gar nicht und lässt Viktor mit den Gespenstern seiner Vergangenheit allein: Der cholerische Musiklehrer mit Spitznamen Tom Jones, der einen Chor aus zwangsrekrutierten Schülern dirigiert – jeder nicht getroffene Ton ein potenziell gebrochenes Nasenbein. Der Schuldirektor mit seinen riesigen Pranken. Und irgendwann die Anordnung, nach der letzten Stunde noch allein im Raum des Direktors zu bleiben …

Das Grauen, das sich im Roman graduell entfaltet, hat einen realen Hintergrund: Die (sexuelle) Gewalt, die irische Kleriker über viele Jahrzehnte in Heimen und Schulen der katholischen Kirche ausgeübt haben. Es ist sicher kein Zufall, dass der Französischlehrer, der Victor begehrt, im Buch Murphy heißt:

Der Murphy-Bericht von 2009 untersuchte Vorwürfe von 1.090 Betroffenen von physischer Misshandlung und sexuellem Missbrauch im Erzbistum Dublin. Besonders im Fokus: die Christian Brothers. Da ist es natürlich auch kein Zufall, dass das politische Sachbuch, an dem der Möchtegernautor Victor Forde scheitert, „Irland – eine Horrorstory“ heißt.

Gewaltdurchtränkte Gesellschaft

Roddy Doyle, bekannt durch derb-warmherzige Storys aus der irischen Arbeiterklasse, beschreibt in „Lächeln“ Irland als gewaltdurchtränkte Gesellschaft im Würgegriff von toxischer Männlichkeit und katholischer Sexualmoral.

Am Ende überschlagen sich die Ereignisse und die Abwehrmechanismen, mit denen Victor Forde das Trauma auf Abstand zu halten versucht, brechen zusammen. Ein packendes, in seiner Abgründigkeit überzeugendes Buch.

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