Autorin über Befreiungskampf von Frauen: „Ich nehme eine Veränderung wahr“
Najat El Hachmi stammt aus einer marokkanischen Familie in Spanien. Die Autorin über den Befreiungskampf junger Frauen und Leben zwischen den Welten.
taz am wochenende: Frau El Hachmi, auch in Ihrem neuen Roman „Am Montag werden sie uns lieben“ geht es um junge Frauen, deren Familien aus Marokko einwanderten und die in Spanien aufwachsen. Sie hadern mit einem Leben, das sie mit zwei scheinbar unvereinbarer Welten konfrontiert. Wie viel von Ihrer eigenen Biografie steckt in Ihren Büchern?
Najat El Hachmi: Es ist nicht unbedingt meine eigene Geschichte, die ich erzähle. Aber der Kontext, in dem meine Romane stattfinden, ist der, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Die Probleme, die ich reflektieren möchte, haben viel mit diesem Kontext zu tun.
Welche Probleme sind das?
Das größte Problem ist, dass diese jungen Frauen nicht frei sind. Das mag wie ein Klischee klingen. Trotzdem ist es wahr. Denn von ihnen wird häufig erwartet, dass sie einen Weg einschlagen, der nicht der ist, den sie selbst wählen würden.
Was beinhaltet dieser Weg?
Viele von ihnen sollen sehr jung heiraten, sollen zu Hause bleiben. Wenn sie arbeiten wollen, müssen sie in sogenannten anständigen Berufen arbeiten. Dort, wo sie möglichst keiner Öffentlichkeit ausgesetzt sind. Die wenigsten dürfen studieren oder sich ihre Ehemänner selbst aussuchen. Und natürlich können sie sich nicht aussuchen, ob sie Kinder haben wollen oder nicht, – denn das sei nun mal Teil ihres Schicksals als Frau. Mit all diesen Problemen wachsen wir auf.
Geboren 1979 im marokkanischen Nador, kam Najat El Hachmi im Zuge einer Familienzusammenführung mit acht Jahren nach Katalonien, wo sie bis heute lebt. Als Schriftstellerin und Aktivistin setzt sie sich mit den Themen Identität, kulturelle Verwurzelung und der Bedeutung des Frauseins in der muslimischen Kultur auseinander. Sie ist außerdem als Journalistin und Kolumnistin tätig, unter anderem für Spaniens größte Tageszeitung „El País“. Ihr internationaler Durchbruch als Schriftstellerin gelang ihr 2008 mit dem Roman „Der letzte Patriarch“.
Dem Leben innerhalb der eingewanderten Familie, die weiter an Traditionen festhält, steht in Ihrem aktuellen Roman das Aufwachsen im Spanien, präziser im Katalonien der Neunzigerjahre gegenüber. Wie wirkt sich das auf die jungen Frauen aus?
Wenn man selbst nicht frei ist, aber in einer Gesellschaft lebt, in der es den Anschein hat, als lebe jede*r andere in Freiheit, dann löst das ein Gefühl der Isolation aus. Meine Großmütter zum Beispiel wuchsen in ähnlichen familiären Verhältnissen auf wie ich. Für sie war das aber die einzige Realität, denn eine andere kannten sie nicht. Sie wussten nicht um die Möglichkeit, ein ganz anderes Leben führen zu können. Wir aber wachsen damit auf, Frauen zu sehen, die Dinge tun, die wir nicht tun dürfen. Wir sehen sie im Fernsehen, sehen sie in Gestalt unserer Freundinnen in der Schule. Der Balanceakt, unseren Platz zu finden zwischen dem, was wir zu Hause vorgelebt bekommen und dem, was wir außerhalb sehen, ist immens.
Wie sind Sie selbst in jungen Jahren mit dieser Situation umgegangen?
Wie jedes Kind wollte ich so „normal“ wie möglich sein. Ich habe Strategien entwickelt, um meine häusliche Situation zu verbergen. Meine Freund*innen wussten nicht, dass mein Vater mir mit 13 Jahren sagte, ich solle heiraten. Ich wollte nicht anders sein, wollte dazugehören. Sie wussten auch nicht, dass mein Vater nicht wollte, dass ich zur Schule ging, geschweige denn studierte.
Also haben Sie sich geschämt?
Unsere Familien wollen nicht, dass wir diese Geschichten erzählen. Und wir, die wir Teil einer kleinen Gemeinschaft sind, wollen sie oft auch nicht erzählen. Es ist nichts, worauf wir stolz sind.
Nun erzählen Sie aber diese Geschichten, haben bereits mehrere Bücher dazu veröffentlicht …
Weil sie sonst unsichtbar blieben. Das Aufwachsen in zwei parallel nebeneinander existierenden Gesellschaften bedeutet gerade für junge Frauen einen Kampf, in dem sie ihre Rechte immer wieder neu verhandeln müssen. Ein einziger Roman reicht da nicht aus. Es gibt nicht nur die eine Geschichte, sondern viele unterschiedliche.
Wie reagiert die muslimisch geprägte Gemeinschaft auf Ihre Bücher?
Ich nehme eine Veränderung wahr: Als ich anfing zu schreiben, fühlte ich mich sehr einsam. Vor 20 Jahren gab es in Spanien kaum Stimmen junger Muslim*innen. Ich war mir nicht sicher, ob es Menschen geben würde, die meine Protagonistinnen mögen, sich mit ihnen identifizieren würden. Mittlerweile gibt es jedoch eine dritte und vierte Generation, die hier aufwuchsen. Diese Frauen sind, anders als ich, bereits hier geboren. Sie lesen meine Bücher, kommen zu meinen Lesungen, kontaktieren mich über Social Media. Und die, die sich sicher genug fühlen, erzählen mir ihre Geschichten. Das bedeutet mir viel. Ich wusste nie, ob ich mich eines Tages mit anderen Frauen zusammentun könnte. Es gibt aber auch Kritik aus unserer traditionellen Gemeinschaft.
Najat El Hachmi: „Am Montag werden sie uns lieben“. Aus dem Katalanischen von Michael Ebmeyer. Orlanda Verlag, Berlin 2022, 272 Seiten, 22 Euro
Wie äußert sich diese?
Einige versuchen uns zum Schweigen zu bringen. Ich kenne viele Frauen, die in sozialen Medien angefeindet werden. Sie erhalten Hassbotschaften einfach nur, weil sie über ihre Lebensrealität sprechen.
Ihr aktueller Roman legt einen Fokus auch auf den weiblichen Körper. Ihre Protagonistin hadert mit ihrer aufkeimenden Sexualität. Sie ist neugierig, hat aber einen geradezu verstörenden Hass auf den eigenen Körper.
Die weibliche Sexualität ist für mich wie der berühmte Elefant im Raum. Wir lernen kaum, darüber zu sprechen, und doch dreht sich so viel darum. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der die Körper von Frauen andauernd kontrolliert werden. Uns wurde vorgeschrieben, wie wir uns zu kleiden, wie wir zu sitzen und zu gehen haben. Es gibt so viele Regeln rund um unsere Körper, die vor allem den Zweck haben, ihn uns zu entfremden. Um den eigenen Körper zurückzuerobern, sich als Ganzes zu fühlen, bedarf es sehr viel Arbeit.
„Am Montag werden sie uns lieben“, der Titel bezieht sich auf Listen, die Ihre Protagonistin anfertigt. Listen, die mit einem Optimierungsgedanken verbunden sind. Anhand deren Abarbeitung sie hofft, endlich geliebt zu werden. Wird dieser Montag jemals kommen?
Natürlich nicht. Denn sie glaubt an die falsche Prämisse: geliebt zu werden, wenn sie perfekt ist. Um das zu erreichen, muss sie in allem besser werden. Doch dass sie nicht geliebt wird, hat nichts mit einer vermeintlichen Unvollkommenheit zu tun.
Sondern?
Sie glaubt, dass alles besser würde, wenn sie aus den patriarchalen Strukturen des familiären Umfelds ausbricht. Dass sie endlich die Frau sein kann, die sie sein will. Nur um festzustellen, dass auch die westliche Welt von Misogynie durchzogen ist, dass auch dort das Patriarchat herrscht. Mit anderen Regeln zwar, aber dennoch weit von wirklicher Gleichberechtigung entfernt.
So kommt es, dass Ihre Protagonistin und deren Freundin, obwohl sie alles anders machen wollten als ihre Eltern, doch wieder in traditionellen Familienkonstrukten landen. Mit Männern, die weniger emanzipiert sind als anfangs gedacht.
Beide suchen sich Männer aus, von denen sie zunächst denken, dass sie ihre Sichtweise teilen und auch für Gleichberechtigung in der Beziehung sind. Doch das verändert sich schnell, als der soziale Druck von außen wächst, der von ihnen erwartet, sich traditionellen Männlichkeitsbildern zu fügen. Dagegen kämpfen viele Männer nicht genug an. Die Not scheint für sie nicht groß genug zu sein. Für Frauen gibt es im Feminismus viel zu gewinnen, für Männer auf den ersten Blick nicht. Sie gehen davon aus, dass sie ihre Privilegien verlieren, was auch erklärt, warum Antifeminismus überall erstarkt. Dabei profitieren Männer ja auch vom Feminismus, wenn Erwartungen und Druck besser aufgeteilt würden. Leider lastet aber die Verantwortung, für eine gleichberechtigtere Welt zu kämpfen, weiter vor allem auf Frauen.
Wie auch bei den Protesten in Iran gerade zu beobachten ist.
Die Zustände in Iran zeigen, wie weit wir noch von einer gerechten Welt entfernt sind. Aber wenn ich etwas aus der Geschichte des Feminismus gelernt habe, ist es, dass es zwar ein langer Weg ist, aber einer, der es wert ist, ihn Schritt für Schritt zu gehen.
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