piwik no script img

Katarina Barley über 200-Milliarden-Paket„Keine militaristische Zeitenwende“

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments sieht Deutschland nicht als militärische Führungsmacht. Das 200-Milliarden-Paket verteidigt sie gegen Kritik.

Olaf Scholz besucht die Bundeswehr in Bergen am 17. Oktober 2022 Foto: Fabian Bimmer/reuters

taz: Frau Barley, Deutschland will mit 200 Milliarden Euro die Gaspreise für Ver­brau­che­r:in­nen und Unternehmen subventionieren. In der EU hat das für Empörung gesorgt: Das reiche Deutschland verzerre damit den Markt. Sind wir zu egoistisch?

Katarina Barley: Diese Kritik ist ein bisschen befremdlich. Und die Niederlande haben Deutschland da auch verteidigt. Denn 200 Milliarden sind für ein Land unserer Größe und Wirtschaftskraft und zudem für einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren etwa 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das haben auch Frankreich und Spanien in die Hand genommen. Die haben aber die Maßnahmen in den Vordergrund gestellt, Deutschland die Summe.

Also ungeschickt kommuniziert?

Nein, die 200 Milliarden so zu benennen, zielte auf das heimische Publikum. Es ist verständlich, wenn nationale Regierungen sich um ihre Bürger und Bürgerinnen kümmern und auch versuchen, eine europäische Einigung zu finden.

Im Interview: Katarina Barley

ist seit 2019 Abgeordnete des EU-Parlaments und dessen Vizepräsidentin. Zuvor war die SPD-Politikerin für jeweils ein Jahr Bundesministerin für Familie, für Arbeit und Soziales und für Justiz.

Es gibt einen Vorschlag von 15 EU-Ländern für einen EU-weiten Gaspreisdeckel – Deutschland sagt nein. Warum?

Das stimmt so nicht. Deutschland sagt nicht generell nein, sondern: Das darf zu keiner Gasknappheit führen. Dann hätten wir mit Zitronen gehandelt. Problematisch ist, dass Frankreich einen Preisdeckel für Gas ohne Konditionen eingeführt hat und damit keine Sparanreize setzt. Das ist nicht solidarisch.

Die deutsche Gaspreisbremse ist besser?

Es gibt ja bisher nur den Vorschlag der Expertenkommission. Man muss abwarten, was daraus für ein Gesetz wird. Aber die Idee, eine Basismenge zu subventionieren, ist richtig, weil sie Entlastung und Preisanreiz zum Sparen verbindet.

Bundeskanzler Olaf Scholz versuchte beim informellen europäischen Ratstreffen in Prag, die Wogen wegen der 200 Milliarden zu glätten. Ist damit wieder Ruhe eingekehrt – auch bei Hauptkritiker Polen?

In Polen ist es ja Regierungslinie, dass alles, was Deutschland tut, des Teufels ist. Von der polnischen Regierung haben wir kein Lob zu erwarten. Aber ich hatte das Gefühl, alle, die guten Willens sind, haben die deutsche Position nun besser verstanden.

Kommt der EU-Gaspreisdeckel trotz deutscher Skepsis?

Das kann ich nicht vorhersagen. Ich sitze nicht im EU-Rat. Aber ich glaube, wir werden beides, nationale und gemeinsame Maßnahmen, bekommen. Scholz hat in Prag angestoßen, sich als Gaskäufer nicht nur europäisch zusammenzuschließen, sondern auch die G7 miteinzubeziehen. Das ist ein Weg, um die extremen Preise, die auch Länder wie Norwegen und andere derzeit verlangen, zu senken.

In anderen EU-Ländern ging es viel schneller mit einem Gaspreisdeckel.

Wenn Sie Frankreich meinen, ja. Aber dort hat die EDF, Électricité de France, ein Monopol. Frankreich schützt über die EDF seine Märkte und verhindert auch, dass Gas per Pipeline aus Spanien in den Rest der EU kommt. Für die schnelle Reaktion hat die EDF viel Lob bekommen – aber europäisch handelt Frankreich nicht.

Fällt die EU auseinander, wenn es nicht gelingt, eine europäische Lösung beim Gas zu finden?

Nein. Dann wird jedes Land allein eine Lösung finden. Osteuropa hat auch Probleme mit dem Gas, nicht nur Deutschland. In Polen kam 2020 noch fast die Hälfte des Gases aus Russland. Das wird oft vergessen, wenn die polnische Regierung über Berlin schimpft.

Ungarn bezieht weiterhin Gas von Putin.

Ja, und Viktor Orbán wird seinem Freund Wladimir Putin den Gefallen tun, in der EU dafür zu werben: Nehmt doch auch wieder russisches Gas.

Wird er damit Erfolg haben?

Es ist zumindest eine Gefahr. Putin will die EU spalten. Und Orbán und die AfD helfen ihm dabei. Bei den Sanktionen gegen Russland ist Orbán zwar völlig isoliert in der EU. Aber was das Gas angeht, schon weniger. Es gibt Länder wie Bulgarien, Rumänien und auch die Slowakei, die sehr abhängig von russischem Gas sind. Deshalb ist es so wichtig, dass die EU beim Gaspreis und auch bei der Beschaffung gemeinsam vorgeht.

Was hilft denn gegen den Autokraten Orbán?

Er versteht nur ein Druckmittel: Geld. Die EU-Kommission will Ungarn einen Teil der Fördergelder sperren, weil Orbán nicht gegen Korruption vorgeht und Rechtsstaatlichkeit missachtet.

Reicht das?

Diesen Rechtsstaatsmechanismus hätte die EU schon 2021 gegen Ungarn anwenden können. Auf dem Verordnungsweg, also unmittelbar. Doch dann hat die Kommission diesen Mechanismus ohne Not verlangsamt – und ernsthaft bis zum Tag nach der Wahl in Ungarn gewartet.

Warum?

Wenn ich das so genau wüsste. Orbán ist nicht so isoliert, wie es nötig wäre. Seine Partei Fidesz war zehn Jahre lang Mitglied der EVP-Fraktion. Die CSU hat Viktor Orbán lange jedes Jahr als Ehrengast empfangen.

Wie gefährlich ist der Sieg der Rechten in Italien für die EU?

Wenn Giorgia Meloni Italien als Ministerpräsidentin führt, wird sie Orbán unterstützen. Auch wenn unklar ist, ob Meloni in der EU Fundamentalopposition machen wird oder nicht – das verändert die Machtverhältnisse in der EU.

Verändert der Ukraine-Krieg auch die deutsche Rolle in der EU? SPD-Chef Lars Klingbeil hat gefordert, dass Deutschland eine Führungsrolle spielen muss. Wie findet man das in der EU?

Das ist widersprüchlich. Aus Osteuropa hört man oft: Legt euren Minderwertigkeitskomplex und das Schuldbewusstsein gegenüber Russland endlich ab. Ein litauischer Kollege sagte mir kürzlich: Germany has to act according to its size. Deutschland muss entsprechend seiner Größe handeln.

Wie finden Sie das?

Ich habe ihm geantwortet: Überlegen Sie sich das genau. Sie werden es nicht immer gut finden, wenn Deutschland sich in der EU so verhält, wie es seine Größe zulässt.

Der Bundeskanzler fordert, das Einstimmigkeitsprinzip in der EU zu beseitigen, damit die EU handlungsfähiger wird. Und er will mehr Stimmen für Deutschland im EU-Parlament. Ein richtiger Schritt oder mobilisieren solche forschen Reden in der EU Gegenkräfte?

Ich finde es hilfreich, dass Olaf Scholz sich dem Thema Reform der EU gewidmet hat. Emmanuel Macron hat das auch getan. Und bei der Reform der EU steht die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips zu Recht ganz oben auf der Agenda.

Das aber kann nur einstimmig abgeschafft werden. Weil kleinere Länder sich sperren, wird es nicht passieren.

Ja, und deshalb versuchen wir, dieses Prinzip für einzelne Bereiche wie Steuern und Außenpolitik aufzuheben. Ich hoffe sehr, dass es uns in diesen beiden Bereichen gelingt.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat gesagt, Deutschland sei in der EU jetzt eine militärische Führungsmacht. Einverstanden?

Deutschland ist keine militärische Führungsmacht und sollte das auch nicht werden. Es gibt keine militaristische Zeitenwende.

Lambrecht sieht das anders.

Ich kenne den Zusammenhang dieser Aussage nicht. Aber die Bundeswehr ist verglichen mit der Bevölkerungszahl Deutschlands keine große Armee. Deutschlands Stärken sind Diplomatie, Krisenprävention, soft power. Da müssen wir eine Führungsrolle spielen, nicht beim Militär. Ich glaube: Germany has to act according to its history. Deutschland muss gemäß seiner Geschichte handeln. Und hoffe, dass dies so bleiben wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Das reiche Deutschland verzerre damit den Markt."

    Ich bin ja kein Ökonom, aber wenn sich ein Reicher eine Innenstadtwohnung leisten kann und damit die Preise sogar noch nach oben treibt, galt das bisher auch nicht als "Marktverzerrung". Sollte es vielleicht aber.

  • Klingt überzeugend.



    Leider hört man/ frau zu wenig von Katharina Barley!