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Normalisierung rechter ParteienMan gratuliert keinem Faschismus

Der Erfolg der Neuen Rechten offenbart eine Linie, die rot und straff sein sollte, aber blass und ausgeleiert auf dem Boden liegt wie ein Absperrband.

Italiens Premierministerin Meloni vor ihrer ersten Kabinettssitzung am 23. Oktober 2022 in Rom Foto: Guglielmo Mangiapane/reuters

D er „Marsch auf Rom“ ist ziemlich genau einhundert Jahre her. Einhundert Jahre, seit Benito Mussolini im Oktober 1922 in Italien die Macht übernahm. Nun bin ich weder Historikerin noch kenne ich mich besonders gut mit dem politischen Italien aus.

Was ich aber weiß, ist, dass Mussolini eine totalitäre Diktatur errichtete. Dass Zeitungen verboten und Oppositionelle verfolgt wurden. Und dass Mussolinis Diktatur als Vorbild für viele weitere Faschisten galt, auch für deutsche Nazis und Adolf Hitler.

Was ich auch weiß, ist, dass einhundert Jahre später Spitzenpolitiker*innen, die sich sozialdemokratisch, liberal und feministisch nennen und sich den dazugehörigen Werten verbunden und verpflichtet fühlen wollen, Italiens neuer, ultrarechter Ministerpräsidentin und ihren Kabinettsmitgliedern zum Amtsantritt gratulieren.

Nun bin ich weder Politikwissenschaftlerin noch kenne ich mich besonders gut mit diplomatischen Konventionen aus. Was ich aber sehe, als eine, die die Welt beobachtet und sie beschreibt, ist eine Linie, die rot und straff sein sollte, aber blass und ausgeleiert auf dem Boden liegt wie ein vergessenes Absperrband.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen twittert: „Herzlichen Glückwunsch an Giorgia Meloni zu ihrer Ernennung zur italienischen Premierministerin, der ersten Frau in diesem Amt“, als sei eine rechtsradikale Präsidentin eine feministische Errungenschaft. Bundeskanzler Scholz „freut sich“ auf eine „weiterhin enge Zusammenarbeit mit Italien“, Außenministerin Baerbock auf die Zusammenarbeit mit ihrem neuen Amtskollegen, der übrigens findet, Mussolini hätte „positive Dinge getan“. Die Normalisierung von Faschismus als diplomatische Konvention.

Es sollte eigentlich schockieren

Für viele ist das keine Überraschung. Wie sollte es auch anders sein in einem Land, in dem man immer wieder das Gespräch mit Nazis sucht, wo man sich schon mal mithilfe von AfD-Stimmen zu Ministerpräsidenten wählen lässt, wo Linke mit Putin verhandeln wollen. Stimmt ja, es überrascht nicht. Deshalb schockiert es auch nicht mehr.

Sollte es aber, genau wie es noch immer schockieren sollte, dass die AfD im deutschen Bundestag sitzt. Es ist eine demokratische Aufgabe, wachsam zu bleiben, wenn die Grenzen des Sag- und Machbaren sich verschieben – besonders dann, wenn sich Gewöhnung und Resignation breitmachen.

Wie sollte es auch anders sein? Ich bin keine Politikerin, und das ist sicher kein leichter Job. Man sollte aber im Zweifelsfall eher Choreografien der Freundlichkeit über Bord werfen statt Haltung. Dass man öffentlich widersteht und keine Angst hat, als radikal zu gelten, wenn man etwas tut, das besonders in Deutschland völlig normal sein sollte – nämlich konsequent antifaschistisch zu sein.

Die blasse Linie sollte so rot sein, wie sie leichtfertig beschrieben wird. Und es sollte heißen: Wir gratulieren zu demokratischen Wahlen. Aber wir gratulieren niemals einem erstarkenden Faschismus.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag.
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8 Kommentare

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  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.   

    Die Moderation

  • Im Grunde stimme ich der Autorin zu, möchte aber zu Bedenken geben, dass diese roten Linien permanent auch von solchen Leuten übertreten werden, die diese roten Linien gerne ziehen wollen. Siehe Friedenspreis an den Querfront-Poeten Zhadan...

  • 4G
    47351 (Profil gelöscht)

    Der Kommentar wurde entfernt. Unsere Netiquette können Sie hier nachlesen: taz.de/netiquette

    Die Moderation

  • "Normalisierung rechter Parteien: Man gratuliert keinem Faschismus"

    Volle Zustimmung. Danke.

  • Der Meinung bin ich auch taz.de/!5886926/#bb_message_4411316 !

    Auch in Hinblick auf die Ukraine:

    》Kann man, darf man nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Äußerungen ihrer Vertreter kritisieren, ohne sich dabei dem Vorwurf auszusetzen, Putins Handeln zu legitimieren? [...] Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, twitterte am 3. April: »Weder die Russen, noch die Deutschen haben das Recht zu bestimmen, wen die Ukrainer als Helden verehren. Stepan Bandera & Hunderttausende meine Landsleute kämpften sowohl gegen Hitler, als auch gegen Stalin für den ukrainischen Staat. Lasst uns in Ruhe mit euren Belehrungen.«[...] Milizionäre der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) übernahmen nach dem Einmarsch Nazi-Deutschlands in Lwiw/Lwow/Lemberg am 30. Juni 1941 zum Teil die Kontrolle über die Stadt. [...] In den darauffolgenden Tagen trieben Banderas Leute Tausende Juden in die Hände der Einsatzgruppe C der deutschen Sicherheitspolizei, die sie dann ermordeten. Ich kann nicht schweigen, wenn Mörder, Verbrecher und Antisemiten zu Helden hochstilisiert werden《

    Der Antisemitismus-Beauftragte der jüdischen Gemeinde Berlin, Sigmount Königsberg, hier www.juedische-allg...en-hochstilisiert/

    Dazu muss wan wissen: Stepan Bandera - dem in der Westukraine Denkmäler errichtet werden, nach dem keine 10 km von der Gedenkstätte Babyn Yar eine große Avenue in Kiew benannt ist, war einer der Anführer der OUN.

    Und: 》Im April 2015 erklärte dieWerchowna Rada, das ukrainische Parlament, die Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten offiziell zu Unabhängigkeitskämpfern《 (Wikipedia)

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Es ist unfassbar, dass die Präsidentin der europäischen Kommission, der deutsche Bundeskanzler und die deutsche Außenministerin einer faschistischen Partei bzw. deren Spitzenkandidatin zur Übernahme der Regierung in einem der wichtigsten Länder der EU gratulieren.



    Gratulieren!!



    Oder glaubt man inzwischen wieder, glauben gerade deutsche Spitzenpolitiker, man könne Faschisten quasi demokratisch domestizieren, sie politisch einhegen?



    Du liest sowas und denkst, du hättest selbst einen an der Waffel. Das könne doch wohl nicht wahr sein.



    Du liest es zwei Stunden später - und fasst es nicht.



    Es ist Tatsache.

  • Ob der Dame aus Deutschland gratuliert wird oder nicht, ist ihr total egal. Das Gegenteil ist der Fall. In Europa segelt es sich sehr gut, wenn man sich von Deutschland distanziert. So richtig beliebt sind die Deutschen nämlich in Europa nicht mehr und in der EU ziemlich isoliert.

  • Das Schlimme ist, dass es ja keine neue Rechte ist. Die Rechte zeigt sich nur ungeniert, weil ein großer Teil der Gesellschaft sich nicht dagegen stellt, sondern sogar selbst eher rechte Positionen vertritt.