Landtagswahl in Niedersachsen: Alte Liebe, neue Streitigkeiten
Im Wahlkreis Hannover-Linden zeigt sich, was Rote und Grüne eint, aber auch trennt. Die Koalitionsverhandlungen werden möglicherweise nicht so einfach.
Im Wahlkampf war Linden ein Hotspot ganz eigener Art – hier liefen Annalena Baerbock und Gregor Gysi auf – und „Die Partei“ feierte mit Punkmusik den Wahlsieg schon am Samstagabend vor dem Öffnen der Wahllokale. Als Direktkandidatinnen treten hier drei Frauen an: Dr. Thela Wernstedt (SPD), Evrim Camuz (Grüne) und Martina Machulla (CDU).
Am Ende entscheidet sich das Rennen hier zwischen Thela Wernstedt (SPD) und Evrim Camuz (Grüne). Wernstedt (55 Jahre) ist Ärztin und entstammt praktisch einer sozialdemokratischen Familiendynastie. Ihr Vater, Rolf Wernstedt, war lange Jahre Kultusminister und danach Landtagspräsident – „der schlimmste und der schönste Job, den man in der niedersächsischen Landespolitik haben kann“ – wie seine Tochter sagt.
Wobei es ein wenig unfair ist, so zu tun, als wäre sie hauptberuflich Tochter. Thela Wernstedt hat durchaus einen sehr eigenen Weg gewählt: Sie wurde Ärztin, spezialisierte sich als Anästhesistin auf Palliativmedizin und Medizinethik, arbeitete lange außerhalb Niedersachsens.
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Aber dann trat sie eben doch noch in die Fußstapfen des Vaters und nun steht sie an den Wahlkampfständen und beantwortet Fragen danach, wie es ihm geht. Zweimal hat sie diesen Wahlkreis direkt gewonnen, die aktuelle Wahl ist ihre dritte – und noch nie war es so knapp.
Klare Sprache und Buzzwörter
Ein Verlust wäre wirklich bitter, denn anders als ihre Konkurrentinnen ist sie nicht über die Liste abgesichert, würde also aus dem Landtag fliegen. Am Ende gewinnt sie knapp mit gerade einmal 1.355 Stimmen Vorsprung.
Dass ihre grüne Konkurrentin ihr bei einer Podiumsdiskussion unverblümt genau diese Privilegiertheit und Etabliertheit unter die Nase rieb, empört einen der älteren Genossen am Wahlkampfstand immer noch, schließlich versteht man sich selbst hier als natürlichen Vertreter der Armen und Benachteiligten.
Aber den Satz „sowas macht man doch nicht“ hört Evrim Camuz (Grüne) wohl öfter. Die angehende Juristin mit dem Schwerpunkt Rechtsinformatik hat zwar einen beeindruckend internationalen Lebenslauf mit Stationen in Barcelona, Toulouse, Maastricht, London und Boston vorzuweisen. Gleichzeitig gehörte sie aber auch zu jenen „migrantisch gelesenen“ Kindern, denen Lehrer am Gymnasium lieber mal vom schweren Jura-Studium abraten.
Aus den USA und England hat Camuz ein Faible für direkte, klare Sprache mitgebracht, gleichzeitig jongliert sie mühelos mit aktuellen Buzzwörtern wie „Tokenism“, die einer Thela Wernstedt kaum über die Lippen kommen würden.
Camuz glaubt, dass sich Politik und Verwaltung dringend besser erklären müssen, Wernstedt wirkt mit ihrer abwägenden, nachdenklichen Art und ihrer intimen Kenntnis des politischen Geschäfts eher als glaube sie, man müsse den Leuten Politik und Verwaltung besser erklären. Camuz, die schon länger in der Kommunalpolitik aktiv ist, stößt mit ihrer direkten und temperamentvollen Art manchmal auch Leute vor den Kopf, ohne das zu wollen.
Und auch wenn sie offiziell immer wieder beteuert, wie wichtig und gut das rot-grüne Bündnis sei: Wenn sie mit Kolleg*innen aus der Kommunalpolitik zusammensteht, geht es eben doch sehr schnell auch darum, wo die SPD nun schon wieder vorgeprescht ist oder was sie abgebügelt hat.
Schon 2013 knurrten einige Grüne
Das gehört zum Standardrepertoire der Geschichten, die man sich übereinander erzählt: Die SPD und ihr Hang zur Arroganz der Macht, die so tief in der Logik des Apparats feststeckt, dass sie keine kreativen Lösungen mehr zu finden vermag. Und die Mär von den Grünen mit ihrem naiven Idealismus, denen man erst einmal erklären muss, wer hier am Ende die Kapelle bezahlt und was sowieso alles gar nicht geht.
Es wird spannend zu sehen, wie sich das in den Koalitonsverhandlungen auswirkt: Auf der einen Seite haben die Grünen deutlich an Erfahrung und damit vielleicht auch an Pragmatismus gewonnen, auf der anderen Seite hat dieses neue grüne Selbstbewusstsein – Rekordergebnis, Zugewinne, zum ersten Mal drei Direktmandate – ein paar Kratzer bekommen, weil der Höhenflug nun eben doch nicht so hoch ausfiel wie erhofft.
Schon beim letzten Mal 2013 knurrten im Grünen Umfeld einige, die Partei habe sich vor lauter Begeisterung mitregieren zu dürfen, von den Sozis zu weit über den Tisch ziehen lassen.
Damals kamen allerdings beide Parteien aus der Opposition neu in Regierungsverantwortung – heute steht den Grünen eine SPD gegenüber, die zehn Jahre Regierungserfahrung und damit einen gewaltigen Apparat im Rücken hat – und überhaupt keine Hemmungen jede Art von Amtsinhaberbonus auszuspielen.
Wobei es eben auch nicht nur der Amtsinhaberbonus ist, wenn man noch einmal auf den Wahlkreis 25, Hannover-Linden blickt. Der besteht ja in Wirklichkeit auch nicht nur aus dem Hipster-Stadtteil, in dem die Grünen – sehr zur Kränkung der örtlichen SPD – bei den Kommunalwahlen schon länger ordentlich abräumten. Zum Wahlkreis gehören auch noch 15 weitere Stadtteile mit ganz anderen, zum Teil deutlich härteren Problemen. Vahrenheide zum Beispiel – einer der ärmsten Stadtteile in Hannover, wo Menschen häufig von Sozialleistungen leben müssen und selten wählen gehen.
Wernstedt (SPD) kennt diese Stadtteile alle sehr genau, Newcomerin Camuz (Grüne) hat einige davon zum ersten Mal betreten. Wernstedt profitiert dabei nicht nur von ihrer langen Erfahrung, sondern auch davon, dass hier die Ortsvereinsstrukturen und die Verankerung im sogenannten vorpolitischen Raum, in den Kirchengemeinden, den Vereinen und Verbänden, noch ganz gut funktioniert, während die Grünen oft Schwierigkeiten haben, aus ihrer Blase heraus zu finden.
Von außen betrachtet mögen das Nuancen sein, aber es ist vielleicht kein Wunder, dass SPD-Genossen, die sich als „Kümmerer“ verstehen, befremdet reagieren, wenn ihnen Grüne erklären wollen, wie Empowerment funktioniert.
Allerdings sind Rote wie Grüne auch entschlossen sich zusammen zu raufen. Aus beiden Fraktionen hört man, dass bei Hilfspaketen und Energiewende nun schnell etwas passieren müsse. „Keine Zeit für Sprüche“ plakatierte Weil im Wahlkampf, keine Zeit für Spielchen könnte die Parole für Koalitionsverhandlungen lauten.
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