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Ende des Grünen-ParteitagsKonflikte lieber im Stillen

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Geschmeidig klären die Grünen Dissens lieber hinter den Kulissen. Fraglich ist, ob die eigenen Grundsätze so noch sichtbar bleiben.

Eine Art Sigmar Gabriel mit Herz für Kinder: Baerbock auf dem Parteitag Foto: Benjamin Westhoff / reuters

L aut Zeitplan wäre der Grünen-Parteitag eigentlich schon vorbei gewesen, als es zum ersten mal knallte. Am Sonntagnachmittag diskutierte die Partei über Kohle, Klima und das Dorf Lützerath – und das zum ersten mal an diesem Wochenende in einer wirklich kontroversen Debatte. Zum ersten und einzigen Mal endete eine Diskussion auch in einer Abstimmung, deren Ausgang nicht schon vorher absehbar war.

Die Kri­ti­ke­r*in­nen des grünen Regierungshandeln verloren zwar knapp. Mit 294 zu 315 Stimmen scheiterte ihr Antrag, mit dem sie die von grünen Regierungen beschlossene Abbaggerung von Lützerath verhindern wollten. Bei den grünen Mi­nis­te­r*in­nen in Bundes- und Landesregierungen dürfte die Botschaft ob des knappen Ergebnisses trotzdem angekommen sein: In Klimafragen dürfen sie sich nicht mehr viele Kompromisse erlauben. Alles wird ihre Partei nicht mitmachen.

Es war der einzige Moment des Wochenendes, in dem die offene Rebellion in der Luft lag. In anderen Themenfeldern ging es weit weniger aufregend zu. Heißt das im Umkehrschluss, dass sich die Partei jenseits von Klimafragen in der Beliebigkeit eingerichtet hat; dass sie im Namen der Vernunft alle Zumutungen abnickt, die ihnen die Spitze vorgibt?

Der Eindruck liegt nahe, aber täuscht. Zwar reicht das Verständnis für Pragmatismus und Kompromissbereitschaft inzwischen tatsächlich bis in die Breite der Partei. Trotzdem setzten die Delegierten am Wochenende auch jenseits von Lützerath eigene Akzente und Grenzen für das grüne Regierungshandeln. Es knallte nur weniger: Wenn es geht, machen sie es lieber im Stillen.

Klarer Beschluss zur AKW-Frage

Besonders deutlich zeigen das die Beschlüsse zu längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke. Der Parteitag hat festgeschrieben, was die grüne Bundestagsfraktion in den vergangenen Wochen vorbereitet hat: enge Vorgaben für den eigenen Wirtschaftsminister. Robert Habeck würde sich im Konflikt mit der FDP womöglich noch weiter strecken als bisher, um einen Kompromiss zu erzielen. Die Partei aber geht höchstens bei ein paar Wochen Streckbetrieb für zwei AKWs mit. Dass sie Habeck nicht mehr erlaubt, ist jetzt Beschlusslage.

Richtig sichtbar wurden dieser parteiinterne Konflikt und viele andere in Bonn aber nicht. Das liegt am Modus des Konfliktmanagements, das in der grünen Funktionärsebene und darüber hinaus alle verinnerlicht haben: Den Dissens trägt man nach Möglichkeit nicht auf der Bühne aus. Man sucht schon vorher hinter den Kulissen den Kompromiss, feilt an gemeinsamen Formulierungen und geht dadurch Kampfabstimmungen aus dem Weg, wo es geht.

Kritische Positionen fließen so oft auch ohne großen Knall in die Beschlüsse ein, im Fall der Atomkraft sogar beinahe im Wortlaut. Diese Art des innerparteilichen Korporatismus passt gut zum Land: Zerstrittene Parteien mögen die Wäh­le­r*in­nen in Deutschland nicht.

Verwässerte Anträge

Der Nachteil dieses Verfahrens: Kompromisse tragen es in sich, dass Forderungen verwässern. Nicht immer setzen sich die An­trag­stel­le­r*in­nen so umfassend durch wie im Fall der Atomkraft. So heißt es im Beschluss zu höheren Bürgergeldsätzen nicht mehr, dass diese noch in dieser Legislatur kommen müssen, sondern nur noch, dass sich die Grünen noch in dieser Legislatur dafür einsetzen.

Aus einem Antrag für eine Vermögensabgabe ist gar der Begriff Vermögensabgabe verschwunden. Und Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien? Der Parteitag bestätigt in seinem geeinten Beschluss zwar, dass er solche Lieferungen ablehnt. Dass die Bundesregierung mit grüner Beteiligung gerade erst welche genehmigt hat, wird aber nicht mehr erwähnt. Neu hinzugekommen ist dafür das Zugeständnis, dass solche Entscheidungen eben nicht leicht seien.

Bei so viel Verständnis für die eigenen Leute im Kabinett: Was haben die grünen Mi­nis­te­r*in­nen denn zu befürchten, wenn sie sich nicht an den Beschluss halten? Wenn sie sich bald wieder vor die eigenen Leute stellen und beichten, dass sie mit ganz großen Bauchschmerzen weiteren Exporten zustimmen mussten?

Waffenexporte wegen Kindergrundsicherung

Abwegig ist das nicht. Auf dem Parteitag klang Annalena Baerbock an dieser Stelle zumindest nicht einsichtig. Die Außenministerin trat als eine Art Sigmar Gabriel mit Herz für Kinder auf: Sie rechtfertigte die Waffenexporte an die Saudis damit, dass ohne sie soziale Projekte wie die Kindergrundsicherung in Deutschland in Gefahr seien. Am Ende der Rede – bloß keine Risse zeigen – erhielt sie dennoch Standing Ovations.

Widerspruch am Redepult gab es dagegen nur von vereinzelten Basismitgliedern. Bei den Grünen von heute belächelt man diese Leute gerne als schrullige Gestalten von vorgestern. Jenseits der Klimapolitik gilt jedoch: Dass der Streit hinter den Kulissen ausreicht, damit die Partei im Ergebnis bei allem Pragmatismus die eigenen Grundsätze nicht vergisst, dass müssen die Grünen nach diesem Parteitag erst noch beweisen.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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14 Kommentare

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  • Reporter Schulze erwähnt, dass die "schrulligen Gestalten", also die alten Vorkämpfer bei den Grünen auf dem Parteitag, belächelt wurden.



    Dass dieser Hochmut ein knallharter Verrat an den grundlegenden Idealen der Grünen und einer ganzen Region in der Eifel ist, wäre klargeworden, wenn Schulze über die Rede von Karl-Wilhelm Koch berichtet hätte, der einen sehr wichtigen Antrag stellte, mit dem der Einsatz heimlich gelagerter US-Atombomben in Büchel (Eifel) sehr erschwert worden wäre. Koch wollte, dass die Grünen Geld für den Ausbau des Flughafens verweigern. Er setzte sich auch dafür ein, bei der Bundesregierung herauszufinden, ob die heimlichen taktischen Atombomben in Büchel existieren. Der Antrag wurde abgelehnt.



    Die Ignoranz der Grünen gegenüber althergebrachter Friedenspolitik zeigt sich auch an seiner Aktualität. Die Nato startete nach dem Parteitag ein großes Manöver mit taktischen Atombomben. Es geht um das Szenario eines Atomkrieges, dass viele Menschen in Zusammenhang mit der Ukraine zurzeit sehr beunruhigt.

    www.tagesschau.de/...to-uebung-109.html

    Es scheint, dass nicht nur die Grünen die alte Garde der Grünen nicht ernst nehmen, sondern auch die taz.

    Denn die taz informierte ihre Leser auch nicht darüber, dass ein Redner aus Ostdeutschland die Grünen in Westdeutschland aufforderte, alte ostdeutsche Parteimitglieder (ehemals Bündnis 90) mit ihren Bedenken gegen die taffe neue Rüstungspolitik der Grünen ernst zu nehmen.

    Die emotionale Stellungnahme des Ostdeutschen, der sich persönlich für Waffen für die Ukraine aussprach, machte keinen großen Eindruck auf die zumeist westdeutschen Grünen.

  • Waffenexporte an menschenverachtende Diktaturen damit rechtfertigen, dass man nun mal das Geld braucht und sie ja eigentlich innerlich irgendwie ablehnt und sich dann trotzdem als "Friedens- und Menschenrechtspartei" abfeiern... zynischer geht´s ja kaum noch.



    Die Grünen haben wirklich nur ein Jahr gebraucht, um die schlimmsten Befürchtungen bezüglich ihrer neuerlichen Regierungsbeteiligung wahr werden zu lassen.

  • 4G
    43354 (Profil gelöscht)

    Ganz, ganz ernsthafter Vorschlag: Faktenchecker, Journalisten und alle, die sich berufen fühlen, betreiben eine öffentliche Checkliste. Wahlversprechen, Parteiprogramme, Pressemeldungen, Beschlüsse und Zitate werden jeweils auf ihren Wahrheitsgehalt und den Grad ihrer Umsetzung hin geprüft und in einem bewerteten Gesamtergebnis (ähnlich dem Wahl-O-Mat) ermittelt. Politiker und Parteien bekommen dann die sogenannten Glaubwürdigkeits- und Vertrauenswerte zugewiesen (kurz: PGVW). Das schafft Jobs und spornt an zur Leistung, denn die zählt doch am Ende, wie bei vielen Arbeitnehmern doch auch (dezenter Hinweis: Leistungsmessung per Software am Arbeitsplatz. Tolle Sache, oder? Wie, Sie wissen davon nix?).

  • Im " im Namen der Vernunft" weiter Kohle abbaggern und AKW s laufen lassen?? So eine Formulierung auch in der TAZ zeigt, daß die Erziehung/Abrichtung der Nachkriegsgenerationen zum Kapitalismus ganze Arbeit geleistet hat! Um ' sichere Endlager' für Atommüll für Millionen Jahre brauchen wir uns im Namen der Vernunft keinen Kopp mehr zu machen. Vielleicht haben wir nach 20 Jahren, und da sollten wir es nochmal so richtig krachen lassen.

  • Gute Analyse.

    Ich denke, das blindwütige Grünen-Bashing, wie hier in der Leser*innenbriefschaft üblich zu sein scheint bringt nix.

    Aber eine so saubere und treffende Analyse der Schwachstellen wie im Artikel geschehen ist viel Wert.

  • Auf früheren Parteitagen ging es bei den Grünen hoch her. Fundis gegen Realos hieß das damals. Als Joschka Fischer für die Beteiligung am Krieg in Jugoslawien warb, konnte er sich so Einiges anhören und in Folge des damaligen Parteitages sind etliche Mitglieder aus der Partei ausgetreten.

    Heute stellen die Grünen wieder die Außenministerin, es ist wieder Krieg und keiner rasselt mehr mit dem Säbel als die Partei, die einmal von Pazifisten gegründet wurde. Und dann erlebt man diesen Parteitag, bei dem über die Reaktion auf den Ukraine-Krieg vollkommene Einigkeit herrscht? Was ist mit diesen Leuten passiert? Ehemalige Kriegsdienstverweigerer rufen jetzt nach Panzern? Russland soll ruiniert werden, sagt die Außenministerin, und niemand hält diese Worte für problematisch?

  • "... klären die Grünen Dissens lieber hinter den Kulissen..." ei schau da!

    Da ist die Säule der offenen Diskussionskultur jetzt auch umgestürzt.

    Damit sind jetzt so viele einst tragende Säulen der ohnehin nur noch der Farbe nach grünen Partei gefallen, dass man sich fragt, was diese überhaupt noch trägt.



    Wie dem auch sei - viel ist es jedenfalls nicht mehr.

    Und noch eine kleine Marginalie:

    "... erhielt sie dennoch Standing Ovations. ..."



    Wunderbar.



    Wie man sieht gehen die grünen [kleingeschrieben] ganz mit der Zeit - und holen sich passend reichlich Claqueure iin ihre Tagungen.

    Oder ist jetzt die Basis bei den grünen auch zu reinem Stimmvieh mutiert ?

  • Zur Erinnerung: Bei der BTW hatten die Grünen knapp unter 15%. Es gab fast 25% Nichtwähler und der Rest hat "Augen zu und durch" gewählt. Da können die Grünen noch so viele Kröten schlucken, das rettet das Klima nicht. Die Regierungsbeteiligung war ein Fehler, der sich aber karrieretechnisch für einige ausgezahlt hat. Eine wirklich Alternative in der Opposition wäre ehrlicher, aber angesichts der Dickfelligkeit der Mehrheit. hätte es auch nichts geändert.

  • Die Dialektik der Kriegsdienstverweigerer-Partei ist längst nicht mehr zu ertragen!

  • 0G
    06455 (Profil gelöscht)

    Wafenexporte wegen Kindergrundsicherung.



    Dieser Satz it su unmenschlich, dümmlich, verachtend.



    Diese Frau müsste sofort zurücktreten.



    Stattdessen wir sie belatscht.



    Schlimmer geht immer.

    • @06455 (Profil gelöscht):

      Ja, sie ist nicht die hellste Leuchte im Lampenladen. Anne Spiegel reloaded. Mit Geschlecht und Parteizugehörigkeit hat das nichts zu tun. Das Peterprinzip ist universal. Kubicki, Merz, Trump, Putin, Truss usw. Menschen wie Gandhi in sind äußerst selten und leben gefährlich.

  • Die Frauen und Kinder im Jemen, die durch diese Waffen zerfetzt werden, werden keine Ovationen klatschen. Das ist eine einfach nur abgründige, widerliche Begründung für Kriegswaffen, jenseits jeder Moral.

    Hoffentlich hört sie nun wenigstens auf von einer wertebasierten und feministischen Außenpolitk zu sprechen, das ist nämlich einer Verspottung der Opfer dieser Politik.

    Wer die Lieferungt von Kriegswaffen an ein menschenverachtendes Regime mit der Kindersicherung für in Deutschland rechtfertigt, hat jeden Maßstab aufgegeben und verloren, den es früher bei den Grünen gab.

    • @PolitDiscussion:

      es gibt politikerinnen ...

      denen freie rede nicht gelingen will.



      ohne vorgegebenes manuskript sind sie sich selbst ein schatten.

      schon ein satz wie, 'damit lisa (gemeint ist lisa paus) die kindersicherung finanzieren kann, zeigt, welch ikea-gleiches duz-und-family-denkmuster in köpfen vorherrscht.

      nur gut, daß frau baerbock absehbar keinen aussentermin im jemen wahrnehmen wird. und jeministische mütter und kinder sie schon auf dem rollfeld mit fähnchen begrüßen.

      • @adagiobarber:

        Sie sprechen mir aus der Seele.