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Sichtbarkeit queerer PersonenMehr Perlenketten für alle

Atay Küçükler, ein junger Journalist, berichtete in einer Instagram-Liveschalte über die Landtagswahlen in Niedersachsen. Das gefiel vielen nicht.

Gibt`s ja auch überall zu kaufen: hübsche Perlenketten Foto: Andreas Gebert/dpa

A ls mittelalte weiße Frau kriege ich viele Dinge nicht mehr so richtig mit oder muss sie mir von meinen Söhnen erklären lassen. Als Trendsetterin oder Speerspitze der Bewegung habe ich mich lange nicht mehr gefühlt, vielleicht noch nie, wenn ich es recht bedenke. Eigentlich hatte ich immer ein seltsames Talent, „late to the party“ zu sein. Deshalb hat mich die Geschichte um Atay Küçükler ein bisschen verwirrt.

Zur Vorgeschichte: Atay Küçükler ist ein junger Journalist und aktuell Trainee bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ). Als solcher sollte er für eine Instagram-Liveschalte von der Landtagswahl berichten.

Weil er dabei zum weißen Shirt und dunklen Sakko/Blazer eine Perlenkette und Ringe trug, beschäftigten sich einige Kommentare prompt nicht mehr mit dem Inhalt der Schalte, sondern nur noch mit seinem Aussehen, was er wiederum auf Social Media und in einem Interview im Onlinemedium „Übermedien“ thematisierte. Mittlerweile lassen sich in den Kommentarspalten nur noch zustimmende, ermunternde, schulterklopfende Kommentare finden.

Was ich daran bemerkenswert finde: Ich hätte Küçüklers Auftritt bei der HAZ als Zeichen der Normalisierung gewertet. Zumindest ist es in meinem (kaum hipsterigen) Umfeld nun schon seit ein paar Jahren so, dass queere Personen sichtbarer werden – erst medial, dann auf der Arbeit, in der Kneipe, in Kitas und Schulen, überall.

Wenn nun einer bei einem biederen Regionalzeitungsverlag auftritt, in einem spießigen Jurastudent*innen-Outfit bei einem Anlass wie der Landtagswahl – dann ist das Thema doch eigentlich durch, oder? Ist es aber offenbar nicht. Schon gar nicht, wenn man nicht nur die ätzenden Kommentare, sondern auch die gewaltsamen Übergriffe der letzten Zeit anguckt. Ich verstehe es nur nicht. Was genau triggert eigentlich diesen Ekel, diese Wut und diesen Hass?

Natürlich erinnere ich mich an die Irritation, die das auslöst, wenn einem jemand gegenüber sitzt oder steht, der oder die sich den üblichen Schubladen von weiblich oder männlich entzieht. An die Frustration und den Ärger, wenn man sich – trotz bester Vorsätze – mal wieder in alten sprachlichen Gewohnheiten verheddert hat und sich denkt „Scheiße, muss das denn so anstrengend und kompliziert sein?“.

Ich habe auch manchmal ein Problem mit dem tussihaften Bild von Weiblichkeit, das manche trans* Frauen zelebrieren. Aber ich habe eben auch gelernt, dass sich vieles davon erst noch zurechtruckeln muss, Teil eines Identitätsfindungsprozesses ist, der sehr viel anstrengender ist als die Suche nach dem richtigen Pronomen. Am Ende ist der Deal für mich vergleichsweise simpel: Als Feministin bin ich einfach wild entschlossen, alles zu begrüßen, was uns von diesem zementierten Rollenbilderquark befreit, ihn zerbröseln, kippeln oder aufweichen lässt.

Vielleicht kann ich deshalb nicht nachvollziehen wie unfassbar bedrohlich sich das Ganze anfühlen muss, für jemanden, der sich häuslich eingerichtet hat, in diesem binären „Hier Tarzan, da Jane“-Weltbild.

Ist das so, dass der Anblick einer Perlenkette an einem fremden Hals dann ausreicht, um den ganzen Frust hochzuspülen, über all das, was man sich abgeschnitten und verkniffen hat, um brav ins Raster zu passen? Wäre der angemessen Umgang mit solchen Kommentatoren dann eher Mitleid als Empörung? Oder sollten wir ihnen Perlenketten schicken?

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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8 Kommentare

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  • "Als Feministin bin ich einfach wild entschlossen, alles zu begrüßen, was uns von diesem zementierten Rollenbilderquark befreit, ihn zerbröseln, kippeln oder aufweichen lässt."

    Die traditionellen Rollenstereotype aufzubrechen, war das Projekt des Second-wave-Feminismus, für den heute noch z.B. Alice Schwarzer steht. Und es war ein sehr erfolgreiches Projekt - bis weitest in die 'Normalbevölkerung' hinein.

    Ein Mann mit mehr oder minder großen Anteilen dessen, was nach traditionellen Stereotypen als 'weiblich' galt, wurde nun dennoch als 'richtiger Mann' angenommen.

    Eine Frau, mit mehr oder minder großen Anteilen dessen, was nach traditionellen Stereotypen als 'männlich' galt, wurde nun dennoch als echte Frau angenommen.

    'Männlichkeit' wurde nun als Kontinuum verstanden, ebenso wie 'Weiblichkeit'.

    Gender-Non-Konformität - als Nicht-Konformität mit den traditionellen Stereotypen - hatte sich normalisiert. Die Stereotypen hatten ausgedient.

    Ein schwuler Mann mit 'weiblichem' Habitus wurde nun (endlich) dennoch als Mann akzeptiert.

    Die aktuelle 'Queertheory' bzw. 'Gender Identity Theory' (die auch vom 'intersektionalen' third-wave-Feminismus adaptiert wurde), sagt allerdings nun (wieder) diesem Mann: "Du bist wohl eigentlich eine Frau", weil sie Gender-Non-Konformität als Trans-Gender definiert - und empfiehlt Transition.

    Aufbrechen der traditionellen Rollenbilder-Stereotypen?? Fortschritt?

  • Erstaunlich wie Transfrauen wieder einmal dafür herhalten müssen für den Kampf gegen Geschlechterrollen. Wenn eine Transfrau sich nicht schminkt heißt es "ER gibt sich keine Mühe also muss ich IHN auch nicht als Frau respektieren."



    Wenn eine Transfrau sich schminkt und Kleider trägt dann "Zementiert Sie Geschlechterrollen."



    Im Grunde ist es egal was Transfrauen machen. Ihre Existenz wird ja so oder so in Frage gestellt.



    Alter schützt vor Torheit nicht.



    Wenn Sie Geschlechterklischees überbrücken wollen zwingen Sie doch bitte nicht anderen Transmenschen Ihr Bild von Weiblichkeit auf.



    Diskutieren Sie das mit Cismenschen. Das ist ihr Kampf.



    Eine Transfrau die nicht inkoknito geht ist stets in Gefahr angegriffen zu werden.



    Und man zwingt Sie nach dem TSG auch dazu. Eine Ally macht dieser Text aus ihnen nicht. Bilden Sie sich.



    "Contrapoints - gender Critical" geht nur ne halbe Stunde auf Youtube.



    Das wäre das mindeste was man mal schauen kann bevor man über fremde Menschen richtet.

  • Wer Männer, die Perlenketten tragen, für queer hält und daraus ein Indiz für "queere Sichtbarkeit" konstruiert, gräbt schon sehr tief in der Klischeekiste.

    Man sieht Menschen nicht an ob sie homo oder hetero sind und oft auch nicht, ob sie cis oder trans sind. Insofern ist die Idee der queeren Sichtbarkeit duchaus problematisch und tendenziell homo/transphob, sie macht aus Sexualität oder Geschlechtsidentität eine "Otherness", die für die meisten queeren Menschen nicht existiert und die Klischees befördert.

    • @Ruediger:

      So ist es. Mein Ex-Partner trug immer Ohrringe, Fingerringe, sehr bunte Kleidung, und manchmal hat er die Nägel lackiert. Dabei ist er total Hetero, hat aber keine Angst davor, aus der "männlichen Rolle" zu fallen.

      • @resto:

        Ich wüsste nicht, warum Heteros nicht queer sein könnten. Als "Othering" sehe ich eher, wenn man Schubladen auf "homo/trans exclusive" aufmacht. Queer ist für mich alles, was konventionelle, gesellschaftlich mehrheitlich nicht hinterfragte Schablone von Geschlecht und geschlechtlicher Anziehung in Frage stellt. Insofern halte ich z.B. viele Schwule für wenig queer, wenn sie sich in den Status quo "nur" eingliedern und damit sogar stützen ... was seine Berechtigung hat, aber halt nicht queer ist. Stattdessen läuft die "Queer-Linie" für mich eben queer zum Status quo - über hetero cis trans homo hinweg.



        Meine bescheidene Ansicht ...

        • @mats:

          Solange der Begriff Queer mit Homosexualität oder Transidentität in Verbindung gebracht wird, sollte man ihn auch so verwenden, dass er nicht etwas bedeutet, dass damit absolut nichts zu tun hat.

        • @mats:

          Ich hätte gerne die Auflösung solcher Kategorien queer, konventionell etc. Allen das ihrige, unabhängig vom Körper. Was bleibt, ist das biologische Geschlecht, das zum Beispiel für bestimmte Krankheiten und entsprechend deren Behandlungen ausschlaggebend ist; und nicht zu vergessen, die Fortpflanzung. Diese Sichtweise steht diametral zu derjenigen der Transbewegung, welche der Biologie gegenüber eher nihilistisch gegenübersteht.

  • Danke für diesen Artikel, mir geht es ganz genauso! Einschließlich Krampf mit den eigenen mentalen Schubladen und dieser Erklärung:



    "Als Feministin bin ich einfach wild entschlossen, alles zu begrüßen, was uns von diesem zementierten Rollenbilderquark befreit, ihn zerbröseln, kippeln oder aufweichen lässt."



    Genau das!