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Lage in den KrankenhäusernArbeiten bis zur Erschöpfung

Fehlendes Personal und immer mehr Co­ro­na­pa­ti­en­t:in­nen – nicht nur in München arbeiten die Kliniken nach dem Oktoberfest am Limit.

München, Anfang des Monats: Das Oktoberfest war ein Brandbeschleuniger für Corona Foto: Michaela Rehle/reuters

Berlin taz | Es reicht ein einziger Tropfen“, sagt die Notfallmedizinerin Viktoria Bogner-Flatz, „um das System Krankenhaus über die Belastungsgrenze zu bringen.“ In München war es, um im Bild zu bleiben, gleich ein ganzer Maßkrug voll. Jetzt, 10 Tage nach Ende des Oktoberfests, ist die Überlastung in den Krankenhäusern so hoch, dass Bogner-Flatz von einem „neuen Tiefpunkt in der gesamten Pandemie“ spricht.

„Das Oktoberfest war wie ein Brandbeschleuniger“, sagen sie und ihr Kollege Dominik Hinzmann, beide sind ärztliche Leiter der Rettungsdienste und Krankenhauskoordination in München. Aber das Phänomen ist in vielen Kliniken in ganz Deutschland das gleiche: Mit dem frühen Beginn der Herbst-Winter-Krankheitswelle sind sie schon jetzt, Anfang Oktober, am Limit. Dazu kommt die existenzielle Bedrohung durch die Preissteigerungen in fast allen Bereichen. Und so zeichnet auch der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, (DKG) Gerald Gaß, ein düsteres Bild: „Die Stimmung in den Kliniken ist so schlimm wie noch nie.“

In München hat der Betriebsrat einer Klinik diese Woche in einem Brandbrief von einem Sicherheitsrisiko für Pa­ti­en­t:in­nen und Mit­ar­bei­te­r:in­nen gesprochen. Die Zahl der coronapositiven Pa­ti­en­t:in­nen hat sich dort binnen drei Wochen mehr als verdreifacht. Ein Münchner-Oktoberfest-Phänomen werde das aber nicht bleiben, sagt auch DKG-Präsident Gaß.

Jahreshöchstwert an Corona-Patient:innen

In ganz Deutschland gebe es Steigerungsraten bei der Bettenbelegung zwischen 40 und 60 Prozent pro Woche. Es sei abzusehen, dass in der kommenden Woche der bisherige Jahreshöchstwert an Covid-19-Patient:innen überschritten werde. „Wir haben schon jetzt eine Vielzahl von Kliniken, die sich wegen Überlastung zeitweise von der Notfallversorgung abmelden“, sagt Gaß.

Was die hohen Infektionszahlen genau für die Kliniken bedeutet, erklären Bogner-Flatz und Hinzmann. „Dank Impfung und milderen Varianten sehen wir nicht mehr diese katastrophalen Verläufe, bei denen Menschen in wenigen Stunden sterben.“ Sehr schwere Verläufe gebe es fast nur noch bei Menschen mit multiplen Vorerkrankungen und Ungeimpften.

So sei die Angst vor Corona, die in den ersten Wellen den Umgang mit der Infektion beherrschte, auch beim Personal gewichen. Es gibt eine Corona-Normalität in den Krankenhäusern. Und trotzdem: Je­de:r Patient:in, die mit einer Covid-19-Infektion im Krankenhaus liegt, bedeutet: Isolation, Arbeiten im Vollschutz, rund 90 Minuten zusätzlicher pflegerischer Aufwand pro Tag und Patient:in. „Deshalb ist es auch egal, ob die Menschen mit oder wegen Corona ins Krankenhaus kommen“, sagt Bogner-Flatz.

Dazu kommen enorme Ausfälle durch Corona- und andere Infektionen beim Personal. „Wir sehen Abteilungen, in denen hundert Prozent des Personals ausfällt“, erzählen Hinzmann und Bogner-Flatz. Wo in vergangenen Wellen eine Personalverschiebung zwischen Abteilungen Engpässe recht gut auffangen konnte, ist nach fast drei Jahren Pandemie und zahlreichen Überlastungskündigungen auch das kaum mehr möglich.

Die, die noch da sind, arbeiten bis zur Erschöpfung. „Ich werde angerufen, weil der Kollege im Dienst kollabiert ist“, sagt Bogner-Flatz, die auch Chefin der Notaufnahme einer Klinik bei München ist. „Wir schauen jeden Tag und jede Nacht in den Abgrund, dass Menschen Schaden nehmen könnten, weil wir zu wenig Personal haben.“

In seinem Brandbrief forderte der Betriebsrat der Münchner Klinik, alle verschiebbaren Behandlungen vorerst abzusagen. Eine Praxis der „stillen Triage“, die die Kliniken schon durch weite Teile der Pandemie begleitet hat. „Wir verschieben in eine Zeit, von der wir auch nicht wissen, ob es besser sein wird und in der der verschobene Patient dann vielleicht selbst zum Notfall wird“, so Hinzmann. Nicht noch einmal wollten sie so viele Herzinfarkte und schwere Tumorverläufe sehen wie nach der Absage fast aller Behandlungen und Untersuchungen in der 1. und 2. Corona-Welle.

Als wäre das alles nicht dramatisch genug, gibt es auch noch den Krieg in der Ukraine und seine Folgen: Energiekrise, Inflation, Beschaffungskrise. Sie spürten etwa in den Notfallaufnahmen, dass gewisse Medikamente und Materialien nicht mehr verfügbar sind, sagt Mediziner Hinzmann. „Aber wir sind froh, dass wir nicht auch noch den Taschenrechner rausholen müssen.“

Das ist dann wohl der Job von Gerald Gaß. Um 6 bis 8 Prozent seien die laufenden Kosten der Krankenhäuser gestiegen, so der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Nur ein Drittel davon betreffe Energie, der Rest die allgemeinen Sachkosten – Lebensmittel, Medizinprodukte, Dienstleistungen. In dem gesetzlich vorgegebenen Finanzierungssystem, bei dem Fallpauschalen bereits vorab verhandelt werden, sind aber nur Kostensteigerungen bis 2,3 Prozent gesichert. So entstünden bereits in diesem Jahr 5 Milliarden Euro ungedeckte Kosten.

Die laufenden Kosten der Kliniken sind um 6 bis 8 Prozent gestiegen

„Die Lage wird schon im November dramatisch, weil viele Kliniken nicht wissen, wie sie das tarifvertraglich zugesicherte Weihnachtsgeld auszahlen sollen“, sagt Gaß. Das würde bedeuten: Insolvenzantragspflicht. Viele Krankenhäuser hätten schon im August Liquiditätsprobleme gemeldet, aktuell schrieben bereits über 60 Prozent der Kliniken rote Zahlen.

Das 200-Milliarden-Euro-Hilfspaket der Bundesregierung soll Privatpersonen und Unternehmen durch diese Krise helfen. Vergangenen Montag hatte die Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on Gas und Wärme einen Vorschlag zur Verteilung vorgelegt. Der darin vorgesehene Hilfsfonds für Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen reiche überhaupt nicht aus, schließlich betreffe er nur die Energiekosten, sagt Gaß.

Zu wenig Personal, zu wenig Geld

Alle Hoffnung ruht also auf einem Hilfspaket speziell für die Krankenhäuser, das Gesundheitsminister Karl Lauterbach schon vor einem Monat versprochen hat. Er sei dazu auch mit der Krankenhausgesellschaft und deren Präsidenten in engem Austausch und es werde „rechtzeitig“ eine Lösung geben, sagte Lauterbach am Mittwoch bei einer Befragung im Bundestag.

In den letzten 14 Tagen habe es keine Rückmeldung und kein Gesprächsangebot dazu vom Gesundheitsminister gegeben, sagt dagegen Gaß. „Im Moment sind die Krankenhäuser auf sich allein gestellt.“ Als schnelle Lösung fordert die Krankenhausgesellschaft einen Aufschlag von 4 Prozent auf alle Rechnungen, die die Krankenhäuser an die Krankenkassen stellen. Wobei dann deren bereits milliardenschwere Unterfinanzierung noch weiter anwächst.

Zu wenig Personal, zu wenig Geld – eine Hoffnung auf wirkliche Verbesserung der desolaten Lage der Krankenhäuser geben nur grundlegende Reformen in der Finanzierung und Struktur. Die waren schon vor der Pandemie geplant, jetzt hat der Koalitionsvertrag wieder Hoffnung darauf gemacht, und Lauterbach versprach am Mittwoch, schon bald Gesetzentwürfe dazu vorzulegen. Aber auch da gebe es keinen Dialog zwischen Bundesgesundheitsministerium, Krankenhäusern und Bundesländern, mahnt Gaß.

Dabei könnten gute Lösungen nur im Konsens gefunden werden. „Das Ziel muss es jetzt sein, wieder Leute zu gewinnen für einen der schönsten und sinnstiftendesten Berufe überhaupt – auch wenn uns das erst in zwei, drei Jahren entlasten wird, aber dann werden wir es umso mehr brauchen“, sagen die Prak­ti­ke­r:in­nen aus der bayrischen Notfallmedizin.

Bis dahin werden Herbst und Winter noch lang, in Sachen Energiekrise und in Sachen Corona. „Wir stehen gerade erst am Anfang einer Infektwelle“, so Hinzmann und Bogner-Flatz in München. Wenn es noch schlimmer komme, müssten die Behandlungsstandards noch weiter abgesenkt werden. „Es geht nur noch um Schadensbegrenzung“, sagt Notfallmedizinerin Viktoria Bogner-Flatz.

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9 Kommentare

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  • @FEZI

    Bin dabei.

  • Die Hamburger Ausländerbehörden verweigern aktuell Geflüchteten, welche überwiegend Medizin in der Ukraine studiert haben, den Aufenthaltstitel für ein Freiwilliges Soziales Jahr. Die Menschen haben den „falschen Pass“. Alle haben bereits Einsatzstellen, insbesondere in Seniorenheimen. Sie wollen Deutsch lernen und sich qualifizieren. Solche Potenziale werden nicht erkannt! Menschen, die motiviert sind, sich sozial zu engagieren und sich vorstellen können in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu arbeiten, wird gesagt: für dich gibt es hier in Deutschland kein Bedarf. Und andererseits bilden schon einzelne Pflegeheimketten z.B auf den Philippinen aus, um ihren Personalmangel zu decken. Absurd.

    • @Regenbogenmensch:

      Der Artikel hat das Grundproblem ja schon angesprochen. Kein Personal, kein Geld, keine Änderung in Sicht. Weder in Krankenhäusern noch bei Arztpraxen auf dem Land.



      Jeder Mediziner der Willens ist findet in zig EU-Ländern, England und den USA vielfach bessere Arbeitsbedingungen. Vom Gehalt mal ganz zu Schweigen (jährliches Facharzt-Gehalt in den USA im Schnitt 280 000 $, Chirurgen bis zu 500 000 $ --- Gehalt eines Arztes in Deutschland : 90 000 €)

    • @Regenbogenmensch:

      Da wäre es doch mal an der Zeit diese Entscheider namentlich zu benennen.

      Ich will schließlich für mich ausschließen können eine solche Pappnase gar irrtümlich zu wählen.

  • Insolvenz als Chance nehmen und Krankenhäuser rekommunalisieren?! Zwei-Klassen-Medizin abschaffen?!

    • @Uranus:

      sind es nicht grade die kommunalen Krankenhäuser, die insolvenzgefährdet sind?

  • Die Dickfelligkeit unserer Gesellschaft denjenigen gegenüber, die sich im Ernstfall für uns den Arsch aufreisen ist... mir fehlen die Worte.

    Eigentlich müsste jede*r von uns im Krankenhaus immer mal wieder Schicht schieben, um das schätzen zu lernen.

    • 6G
      650228 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Wer hindert Sie daran, das zu tun? Ein Pflegepraktikum kann man jederzeit machen. Einfach Mal eine kurze E-Mail ans nächste Krankenhaus schreiben.

    • @tomás zerolo:

      Ich würde das gerne auf alle Bereiche, in denen soziale Arbeit im weitesten Sinn geleistet wird, ausdehnen.



      Auch auf den Einzelhandel.